«Zappa on the Hill» bläst einem die Rübe weg

«Liebeskummer ist für Arschlöcher» – und das Publikum lacht

Der Frank-Zappa-Darsteller in der Mitte während der Aufführung «Zappa on the Hill».

(Bild: zvg/Ingo Hoehn)

Eine erweiterte Faber-Band und das Luzerner Theater spielen Frank Zappa. Dort, wo in zwei Wochen das B-Sides-Festival stattfindet. «Zappa on the Hill» trifft Herz, Hirn und Ohr. Ein subversives Gesamtkunstwerk, aus dem Ärmel geschüttelt von einer Lausbubenbande. Besser ist schwierig.

Auf dem eiskalten Sonnenberg riecht es nach Fritteuse. Der Imbisswagen am hinteren Ende des Geländes verkauft «Tier» oder «Pflanze». Unter anderem einen Bio-Burger für 14 Franken. Wir sind im verträglichen Kapitalismus angekommen.

Die B-Sides-Infrastruktur steht halbwegs, zumindest die allernötigsten sanitären Anlagen sowie die Hauptbühne. Neben dieser steht ein längliches, einstöckiges Holzgebilde. Etwas erhöht darauf pastellfarbene Werbeschilder: «Centerville – a real nice place to raise your kids up» oder «Redneck eats», mit einer Wurst drauf. In der Mitte die «Arcade Bar», dort gibt es «Last chance liquors and spirits». Luzern – das versoffene Hinterwäldlerdorf. Framing, check.

Verdrehungen auf mehreren Ebenen

Zuerst wabern Vocal Samples von Zappa-Zitaten inmitten der Sonnenberg-Lichtung, rauf- und runtergepitcht. Analog dem verschwimmenden Fernsehbild entführen uns die akustischen Verzerrungen in einen innerschweizerischen Alptraum. Klassisch fängt es an: Das «Streichquartett op. 28» von Anton Webern erklingt. Bald fahren Delay und Reverb rein, ein modularer Synthesizer quietscht. Zappa-Vorbild und Elektromusik begegnen sich. 

Jetzt stehen auf dem Holzgebilde acht Frank-Zappa-Maskenträger und Ingo Ospelt als Talk Show Host. Er begrüsst uns «Laaadies aaand Gentlemeeen», während die acht Zappas im Chor das exzessive, nervenzerreissende Tourleben beklagen. Wechsel auf die Hauptbühne, ein weiterer maskierter Zappa betritt die Bühne, mit dem Rücken zum Publikum, die Maske auf dem Hinterkopf. Er schüttelt dem Talk Show Host rücklings die Hand. Verdrehungen auf mehreren Ebenen.

Bitterböse Abrechnung mit Liebesliedern

Es folgen nachgestellte Talkshows, Interviews mit Frank Zappa und Szenen aus dessen Kultfilm «200 Motels». Und natürlich: Songs, Songs, Songs. Zappa-Stücke wie «Muffin Man» oder «Call Any Vegetable», vermischt mit Eigenkompositionen von Tillmann Osterndarp, scheinbare Dumpftexte, Pop-Melodien, komplizierte Rhythmen. Die vergrösserte Faber-Band, das Goran Koč y Vokalist Orkestar und die LT-Opernsängerin Sarah Alexandra Hudarew harmonieren dermassen funky und tight, dass bei einem solchen Konzert das Publikumsgeschnatter am B-Sides-Festival wohl endgültig verstummen würde.

Die Stimmung mit der Bühne auf dem eiskalten Sonnenberg und dem Holzaufbau rechts.

Die Stimmung mit der Bühne auf dem eiskalten Sonnenberg und dem Holzaufbau rechts.

(Bild: zvg/Ingo Hoehn)

Mehrmals werden die konzertanten Darbietungen unterbrochen, ganz ähnlich wie die musikalischen Wechsel in Frank Zappas späten, experimentelleren Kompositionen. Plötzlich wird es ernst: «Ich glaube, der Grund, weshalb so viele Menschen depressiv sind, sind ‹Love Songs›». Es folgt eine bitterböse Abrechnung mit Liebesliedern, den Hollywood-Schmonzetten in Liedform, die den Kreislauf von idealisierender Liebe und verzweifeltem Liebeskummer ins Hirn programmieren.

Grenzen des Metatheaters strapaziert und übertreten

Es sage doch niemand im echten Leben «let’s make love», sondern «fegge», «verruume», «bomse». Liebeskummer sei «für Arschlöcher». Gelächter im Publikum. Diese Lacher sind offensichtlich Übersprungshandlungen, denn diese Sätze sind nicht als Witz gemeint. Es sind Frontalattacken auf einen eingerosteten, gesellschaftlichen Status quo. So, «und jetzt noch etwas Softes, Schönes für Radio Pilatus». Radio Pilatus ist übrigens Medienpartner des Stücks. Hier werden die Grenzen des selbstironischen Metatheaters aufs Bekömmlichste strapaziert, übertreten, ganz cool und ungekünstelt.

Und für alle, die diesen Faber doch so härzig und toll finden, weil der ja voll Erfolg hat und so, kommt bald der nächste Haken. Ingo Ospelt als Frank Zappa im hohen Alter redet im MTV-Interview davon, dass die Musikindustrie nicht an Musik, sondern am Geschäft interessiert sei. Julian Pollina, der Sänger von Faber, doppelt nach und spricht zum Publikum: «Heute ist es übrigens viel schlimmer. Wir veröffentlichen nur Alben, um unsere Tour zu promoten.»

Eine sich vergnügende Lausbubenbande

«Du, äh, wo esch ez dä Zappa?» – «Was machemer eigentlech do? Mer send scho vell z’lang uf Tour!» – Die Faber-Band nimmt an der Arcade-Bar noch einen Rotwein ohne Milch, singt ein Lied über Sonnenbrand (weil es davon zu wenige gibt) und tritt ab. Die jungen Musiker erinnern spätestens jetzt an eine Lausbubenbande, die vergnügt macht, was sie will, weil sie weiss, was sie drauf hat.

Eine exotische Liaison zwischen Luzerner Theater, Faber, der Hochschule Luzern – Musik, dem B-Sides, Radio Pilatus und Tele 1. Ein Zweijahresprojekt eines dauererhitzten Betriebs unter der Leitung eines Workload-Tausendsassas, übertourten Musikern aus Zürich, einer umziehenden Hochschule, eines Alternativfestivalteams, das kurz vor dem Festival wohl nicht alle Zeit der Welt hat, eine Ode an Frank Zappa, mediengepartnerschaftet von zwei CH-Media-Unternehmen.

Frontalangriff auf feststeckendes Bürgertum

Das kann doch eigentlich nur schief- und untergehen als megalomanisches Übermutsprojekt. «Zappa on the Hill» ist allerdings derart jenseitig, dass es einem die Rübe wegbläst. Tillmann Ostendarp, Maximilian Merker, Vanessa Gerotto, Damian Hitz, Dinah Ehm und Julia Jordà Stoppelhaar haben hier ein subversives Spektakel sondergleichen fabriziert, einen Frontalangriff auf ein feststeckendes Bürgertum, eine festgefahrene Gesellschaft, eine tote Welt. Ohne verkopfte Sprechtheatermetaphorik, trotzdem mit Aussagekraft, bis zum Schluss unterhaltsam. Zuppa!

«Zappa on the Hill»: 30., 31.5., 1. und 2.6., Sonnenberg.

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