Drei Stehauf-Philosophen in der Luzerner Seebadi

«4’000 Chinesen – in Shanghai nennt man das U-Bahn»

Roland Neyerlin (steht), Yves Bossart (Mitte) und Rayk Sprecher bei ihrem Auftritt im Seebad.

(Bild: jwy)

Die drei Luzerner Philosophen Yves Bossart, Roland Neyerlin und Rayk Sprecher haben eins gemeinsam: ein Faible für unterhaltsame Auftritte. Normalerweise erfolgreich im Kleintheater zu sehen, luden sie am Mittwoch in die winterliche Seebadi. Geistreich und witzig – mit wenigen Ausnahmen.

Seit einigen Jahren treten drei Luzerner Philosophen im Rahmen von «Standup Philosophy» im Kleintheater auf – unterhaltsame Philosophie als Bühnenformat. Und das tun sie mit grossem Erfolg. Am Mittwoch fand erstmals die «Unterwegs»-Variante statt, in der ausverkauften Seebadi (Empfehlung: warme Kleidung).

Die Wassertemperatur: 10 Grad, die Luft nicht merklich wärmer. Das war die Ausgangslage für «Die Quartalsbilanz» mit Yves Bossart, Roland Neyerlin und Rayk Sprecher. Eine ebenso «bisige» wie bissige Ausgangslage, die nicht zwingend ins Freibad lockte. Aber mit allerlei Wolldecken, Funktionskleidung und aufwärmendem Applaus machten die Anwesenden das Beste daraus.

Trockene Pointen und quakende Enten

Das Publikum sass um das Wasserbecken herum, das Trio auf der «Bühne» vor den Umkleidekabinen. Luzern hat ja ein grosses Glück, dass es gleich über drei gescheite, witzige und bühnentaugliche Philosophen verfügt. Wenn sie sich dann noch so gut verstehen wie Bossart-Neyerlin-Sprecher – geschenkt.

Bilanz zu ziehen, ist ein menschengemachtes Bedürfnis, und so legte Roland Neyerlin, der pensionierte Gentleman unter den Auftretenden, gleich mit einem Aufwisch der letzten Monate los: Greta–Notre-Dame–Bärtsch–Artensterben. Er sei ein schwieriges Kind gewesen, dauernd am Grübeln über die Welt, diese Angewohnheit hat sich Neyerlin glücklicherweise erhalten. Er schloss seinen Text mit der existentiellen Frage: «Wie viele Tonnen Metall braucht es in einem Offroader, um einen Chihuahua zu transportieren?»

«Sind Sie eher der Schlecker oder der Löffler?»

Yves Bossart mit der Glace-Frage

Ähnlich nah an der Lebenswirklichkeit knüpfte Rayk Sprecher an, der Dozent, Moderator und Berater mit einem Faible für trockene Pointen und spitze Zwischenkommentare. Er ist mit mehr komödiantischem Potential und Lesetalent gesegnet als mancher Poetry-Slammer. Die Badi erklärte er als existentiellen Ort – und hangelte sich von der angemessenen Distanz zur Moral, zur Anthropologie, zur Ästhetik, zur Ethik. Eine Ente quittierte es mit lautem Quaken.

Von der Glace zu Adorno

Auch Yves Bossart – bekannt von der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» – hatte seinen Text wohl in Erwartung eines lauen Frühsommerabends vorbereitet. Nun denn, seine Theorie der Glace-Wahl war auch bei schlotternden Temperaturen äusserst bekömmlich.

Die Entscheidung über die richtige Sorte am Glace-Stand, sie gleicht einem Lebensentwurf. «Sind Sie eher der Schlecker oder der Löffler?» Was sagt ein Magnum über den Typ aus? Und wieso verkörpert die Raketen-Glace die negative Dialektik nach Adorno – ein unlösbares Rätsel.

Die Zuschauer wickelten sich in die Wolldecken und lauschten in der Seebadi den drei Philosophen.

Die Zuschauer wickelten sich in die Wolldecken und lauschten in der Seebadi den drei Philosophen.

(Bild: jwy)

Chinesen gucken

Weiter ging’s im verbalen Pingpong, als die drei in bester Stand-up-Manier Weisheiten, Fakten und Kommentare zum Thema Wasser aneinanderreihten. Das war böse, inkorrekt, assoziativ und sehr unterhaltsam. Am besten sind sie ohnehin, wenn sie als altkluge Philosophen rumblödeln und dumme Sprüche klopfen.

Neyerlin gab aus seinem Alltagsbüchlein Weisheiten zum Besten wie: «Eintagsfliegen haben es eilig.» Und Rayk Sprecher sorgte für einen Höhepunkt des Abends mit Bezug zur regionalen Aktualität. «Waren Sie auch Chinesen gucken?», fragte er und führte die medial aufgebauschte Chineseninvasion vom Montag in Luzern mit Zahlenspielereien ad absurdum. 4’000 Chinesen – in Shanghai nenne man das auch U-Bahn.

Kälte ist relativ

Weniger auf das schlotternde Publikum zugeschnitten war dann der Part, in dem Neyerlin – zwar beherzt – Albert Camus rezitierte, Bossart dazu mit der Gitarre die Soundkulisse beisteuerte – das Ganze aber leider arg sentimental und etwas zu lang geriet. Wieso Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sein muss, war das Thema. Auch das folgende Zwiegespräch über die Existenz von Gott war zu theatralisch und gesucht. Das hätten die Philosophen definitiv nicht nötig.

Gegen Schluss waren die Glieder steif und die Nasen rot. Aber die Vorträge über das Verbrechen von rosaroten Hemden an Männern, über grammatikalisch problematische Vergleiche («Du siehst scheissiger aus wie ich»), Weisheiten wie «Das Leben ist wie eine Gurke, nur anders» und die klimapolitische Problematik des Kinderkriegens waren wieder voll herrlichem philosophischem Nonsense – und gleichzeitig von existentieller Bedeutung. Rayk Sprecher hat Recht: «Kälte ist Einstellungssache.»

Die nächste Quartalsbilanz folgt im Oktober im Kleintheater Luzern.

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