Rätselhafte Luzerner Kunstinstallation

Wer traut sich ins Zimmer 18 im «Blue Motel»?

Ankommen, wohlfühlen, geniessen: Dem Blue Motel kann man ab sofort einen Besuch abstatten.

(Bild: Ralph Kühne)

Seit Donnerstag hat in Luzern das «Blue Motel» geöffnet: eine etwas in die Jahre gekommene Absteige. Das ominöse Zimmer 18 birgt manche Überraschung – ausgedacht vom Künstlerpaar Saskya Germann und Patric Gehrig. zentralplus hat die erste Buchung vorgenommen.

Ich schliesse die Tür auf: Zimmer 18 im «Blue Motel». Und ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Den Aufenthalt habe ich ein paar Tage zuvor über die Website gebucht: Donnerstag, 9. Mai, 18 Uhr. «Wir laden Sie herzlich ein, bei uns zu verweilen. Ankommen, wohlfühlen und unkompliziert geniessen ist die Devise.»

Die Bestätigungsmail von der netten Front-Desk-Managerin folgte sogleich: «Besten Dank für Ihre Buchung.» Man erfährt den Ort, der hier nicht verraten sei, und erhält einen Situationsplan sowie den Code für den Schlüsselkasten. «Das gute Preis-Leistungs-Verhältnis wird Sie überraschen.» Na dann.

Mehr Informationen gibt’s nicht. Das ist recht geheimnisvoll, ein wenig «creepy» und mir ist etwas mulmig zumute, als ich die Türe hinter mir schliesse und in den Raum blicke. Ein Bett, Teppichboden, ein Tisch, ein Schrank, ein Deckenventilator dreht seine Runden. Ein Motel im 70er-Jahre-Mief, wie man es aus den Ami-Filmen kennt.

Ich mache das Licht an, es riecht leicht muffig – und jetzt erst sehe ich: Da war jemand. Da liegen Sachen rum: ein Zigistummel, ein Bier. Auf dem Bett ein iPod, aus dem Musik ertönt.

«Unser Motel dürfte noch etwas abgefuckter sein.»

Saskya Germann, Szenografin

Bin ich hier richtig? Darf ich hier sein? Ja bestimmt, ich habe das Zimmer gebucht. Neugierig beginne ich das Zimmer zu inspizieren. Ich höre mir das Stück auf dem Player an, öffne Schubladen, den Schrank – da sind noch mehr Sachen. Darf ich darin wühlen?

Ich setze mich aufs Bett, mein Blick wandert zum Fenster in Form eines grossen Screens: Autos, Strassenlärm und ein Zimmer vis-à-vis. Da erkenne ich zwei Personen auf einer Couch, die TV schauen.

Bei der Premiere am anderen Ende der Welt

Die zwei Personen im Video sind Saskya Germann und Patric Gehrig. Das Luzerner Künstlerpaar hat das «Blue Motel» entwickelt – sie ist Bildhauerin und Szenografin, er Regisseur und Schauspieler.

Zum Zeitpunkt der Premiere sind die beiden über 7’000 Kilometer entfernt und bestreiten ihren Atelieraufenthalt in Chicago. Aktuell befinden sie sich auf einem Roadtrip. Aber weg sind sie nicht wirklich, sondern Chicago fliesst ins «Blue Motel» mit ein, sei es in Form von sich verändernden Audios und Videos – oder auch in Form von kleinen Requisiten.

«Wir haben das Motel so aufgebaut, wie wir es uns im Kopf vorgestellt hatten», sagt Gehrig im Skype-Gespräch. Jetzt, wo sie in den Staaten sind und bewusst in Motels übernachten, merken sie, dass sie es recht gut getroffen haben. «Unser Motel dürfte noch etwas abgefuckter sein», ergänzt Germann.

Die Inszenierung «Blue Motel» ist das Pilotprojekt einer Trilogie, die Germann/Gehrig in Koproduktion mit dem Südpol Luzern umsetzen. Die weiteren Arbeiten sind für 2020 und 2021 geplant. Es ist ein erstes Herantasten an diese neue Form, die gleichermassen Installation, Performance und Inszenierung ist. Das Finale schliesslich wird dann als grosse Rauminstallation in eine leer stehende Immobilie hineingebaut.

Patric Gehrig und Saskya Germann.

Momentan auf Roadtrip in den Staaten: Schauspieler Patric Gehrig und Szenografin Saskya Germann.

(Bild: Ingo Hoehn)

Warten auf ein Zeichen

Zurück ins Zimmer 18: Ich warte auf ein Zeichen im kargen Zimmer. Muss ich etwas herausfinden? Sieht mich jemand? Werde ich belauscht? Was hat es mit dem Polaroidfoto auf sich, dem Buch, den Kassenzetteln?

Ich setze mich wieder, horche, schaue dem Paar zu, das nichts tut. Dann plötzlich Stimmen, die scheinbar aus der Wand kommen. Vom Zimmer gegenüber? Und dann klingelt doch tatsächlich das Telefon …

Das Drehbuch sind hier der nackte Raum und dein Kopf.

Zu viel sei nicht verraten, aber der rätselhafte Aufenthalt, bei dem man ganz auf sich gestellt ist, löst etwas aus und wirft Fragen auf, die nachhallen: Wer war hier? Kommt die Person wieder? Habe ich Zeichen übersehen oder nicht verstanden?

Es ist gar nicht so einfach, das auszuhalten. Nur mit sich, dem Ventilator – jederzeit das mulmige Gefühl, dass gleich jemand hereinkommen könnte.

Jedes Mal eine neue Geschichte

Das Konzept ist durchdacht, dennoch gehört das Unvorhergesehene dazu. Germann/Gehrig untersuchen mit der Installation die Wechselwirkung zwischen Raum und Betrachter – und was sich daraus für eine Geschichte ergibt.

Das Zimmer wird sich verändern: Einerseits durch die Besucherinnen, die es anders hinterlassen. Zudem schleusen Germann und Gehrig neue Bilder und Eindrücke ein.

Dass man von der Buchung bis zum Besuch keinem einzigen Menschen begegnet, ist ebenso gewollt. Es verstärkt das diffuse Gefühl und spornt das Gedankenkino an. «Die Installation lebt davon, dass man auf sich allein gestellt ist», sagt Gehrig. Sie soll Geschichten generieren, ohne dass jemand eingreift. Und diese Geschichte wird bei jeder Besucherin anders ablaufen.

Obwohl weit weg, seien sie am Donnerstag ziemlich nervös gewesen vor der Premiere. «Es ist für uns genauso ein Experiment wie für die Besucher», sagt Saskya Germann.

Was machen andere im Zimmer?

Nach einer halben Stunde habe ich das Motelzimmer 18 wieder verlassen. Es wäre interessant zu erfahren, wie andere den Aufenthalt erleben. Was sie in diesem Zimmer machen, was sie lassen und was sie denken.

Klar ist jedenfalls: Das Drehbuch, das ist hier der nackte Raum und dein Kopf – und dem sind im besten Fall kaum Grenzen gesetzt.

«Wir hoffen, Sie haben Ihren Aufenthalt bei uns genossen. Wir vom Blue Motel sind bestrebt unseren Service laufend zu verbessern …», schreibt die Front-Desk-Managerin später in einer Mail.

Info: Das «Blue Motel» hat noch bis am 23. Juni geöffnet. Donnerstag und Freitag, 18–22 Uhr, Sonntag 14–18 Uhr. Buchung online, der Ort wird nach der Anmeldung bekannt gegeben. Koproduktion mit dem Südpol Luzern.

Künstlerische Leitung, Installation/Ausstattung: Saskya Germann, Inszenierung: Patric Gehrig, Video: Ruth Stofer, Audio: Rebecca Stofer, Bauten: Christof Bühler.

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