Lucerne Festival baut Angebot ab

Michael Haefliger: «95 Prozent der Zeit reden wir über das Sommer-Festival»

Lucerne-Festival-Intendant Michael Haefliger, als er die Streichung des Oster- und Piano-Festival verkündete.

(Bild: jwy)

Was als «periodische Strategie-Überprüfung» angekündigt war, hat sich als Hammerschlag erwiesen: Das Lucerne Festival konzentriert seine Aktivitäten auf den erfolgreichen Sommer. Wieso das Oster- und das schwächelnde Piano-Festival im Herbst bereits ab 2020 Geschichte sind.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, ergibt der Entscheid Sinn: Von den total 105’550 Lucerne-Festival-Besuchern 2018 gingen über 75 Prozent auf das Konto des 31-tägigen Sommerfestivals. Oster- und Piano-Festival (je neun Tage lang) zogen «nur» 9350 und 16’800 Besucherinnen an – das sind knapp 9 respektive 16 Prozent. Auf welches der drei Festivals würden Sie verzichten? Eben.

Aber natürlich funktioniert ein Klassikfestival mit weltweiter Ausstrahlung zum Glück nicht nur nach marktwirtschaftlicher Logik – darum sagte Stiftungsratsprädient Hubert Achermann klar: «Der Verzicht ist überhaupt keine Sparübung.» Es gehe nicht darum, Geld zu sparen, sondern die Energie, Ressourcen und Innovationskraft besser zu bündeln.

Und Intendant Michael Haefliger entpuppte sich als Bob-Dylan-Fan, als er den Entscheid am Dienstag kommunizierte: «The Times They Are A Changin’» Er bricht die intensive, lange und emotionale Debatte zur Strategie 2020 auf eine einfache Frage herunter: «Wo schlägt unser Herz am meisten?» Und da konnten das 1988 gegründete Oster- und das 1998 eingeführte Piano-Festival einfach nicht mit dem Sommer-Festival mithalten – deshalb werden sie nicht weitergeführt (zentralplus berichtete).

Das Festival ist ein KMU

Der Herzensentscheid wird unterstützt durch zwei Studien, die eine klare Vorliebe und viel mehr Wertschöpfung für das Sommer-Festival prognostizieren: Die «zentralen Erfolgsfaktoren» finden alle im Sommer statt.

«Wer gern Piano-Konzerte hat, wird das vielleicht als Abbau sehen.»

Hubert Achermann, Stiftungsratspräsident

Und so hat das Lucerne Festival gemacht, was jede Firma macht: Aktivitäten analysieren, auf Kernbereiche fokussieren. «Der Entscheid ist künstlerisch und unternehmerisch notwendig», sagt Haefliger, das Festival sei zu 95 Prozent eigenfinanziert. Haefliger musste aber selbst zugeben: «Bis vor kurzem hätte ich nie gedacht, dass es so weit kommt.»

Achermann: «Wir sind ein KMU, jedes Unternehmen hat beschränkte Ressourcen, die müssen sie dort einsetzen, wo sie sich am meisten versprechen. Nicht, was das Geld anbelangt, sondern in der Verwirklichung der Vision des Festivals.»

Ein Abbau oder nicht?

Wenn Haefliger über das Sommer-Festival spricht, brennt er und wirft mit Superlativen um sich. Dieselbe Begeisterung spüre man auch im Team: «95 Prozent der Zeit reden wir über das Sommer-Festival. Das ist einfach so und dazu stehen wir.» Die logische Konsequenz daraus sei, dass man die beiden kleinen Festivals im Frühling und Herbst aufgibt.

Damit man künftig nicht zu lange auf den Sommer warten muss, werden das Oster- und Piano-Festival durch zwei noch zu entwickelnde Konzert-Wochenenden mit Eigenproduktionen ersetzt. Achermann will denn auch nicht von einem Abbau sprechen, sondern von neuen Formaten, die man einführe. «Wer gern Piano-Konzerte hat, wird das vielleicht als Abbau sehen, aber wir empfinden das anders.»

Die Eröffnung der Piano Off-Stage mit der Wiener Pianistin Julia Siedl im KKL Luzern.

Ein Bild der Vergangenheit: Piano-Konzert am Lucerne Festival 2018.

(Bild: Priska Ketterer/Lucerne Festival)

Keine Piano-Konzerte mehr in Hotel-Bars

Wenn man sich vor Augen führt, wie das Lucerne Festival vor allem seit dem Bau des KKL und Beginn der Ära Haefliger 1999 gewachsen ist, macht es wohl durchaus Sinn einmal innezuhalten und sich zu fragen: Was wollen wir? (siehe Box am Textende) «Das Lucerne Festival hat sich unglaublich entwickelt, dessen ist man sich nicht wirklich bewusst», sagt Achermann, dauernd sei Neues geschaffen worden. Und Haefliger gab zu bedenken, dass auf dem «Nährboden» des Sommerfestivals faktisch vier bis fünf eigene Festivals entstanden seien.

Die Gratis-Konzerte «40min», das Strassenfestival, die Inseli-Übertragung, Kinder-Konzerte, Lucerne Festival Orchestra, Academy, Alumni – alle diese Angebote werden mit dem künftigen Fokus auf den Sommer gestärkt. Dafür fallen beliebte Konzertformate, wie die Piano Off-Stages in Hotelbars künftig weg. Kommenden November (16. bis 24.) bietet sich dafür die letzte Gelegenheit, dann findet das Piano-Festival zum letzten Mal statt.

Besucherrückgang im Herbst

Man muss auch feststellen, dass das Piano-Festival zuletzt einen Besucherrückgang von 14 Prozent hinnehmen musste. Die Auslastung sank von 87 auf 74 Prozent. Beim Sommer-Festival liegt diese bei 89 Prozent.

Wenn man fokussiere, gehöre es dazu, auf anderes zu verzichten. Was einfach tönt, ist den Verantwortlichen schwergefallen. «Ich kann offen sagen: Es war ein schwieriger Entscheid, wir haben gerungen damit. Es hat auch Bedauern gegeben, dass wir diese Festivals, die wir 21 und 31 Jahre durchgeführt haben, nicht mehr weiterführen», sagt Hubert Achermann.

Geschichte des Lucerne Festivals

1938: Gründung der Internationalen Musikfestwochen (IMF) mit einem Konzert in Tribschen.

1943: Gründung des Schweizerischen Festspielorchesters (1993 wurde es aufgelöst).

1988: Gründung des Oster-Festivals, das ab 1992 jährlich neben dem Sommer-Festival stattfand.

1998: Eröffnung des KKL mit dem neuen Konzertsaal – ein Durchbruch für das IMF. Das Piano-Festival wird gegründet.

1999: Michael Haefliger wird neuer Intendant des Festivals.

2001: Die Internationalen Musikfestwochen heissen neu Lucerne Festival.

2003: Claudio Abbado und Michael Haefliger gründen das Lucerne Festival Orchestra (LFO).

2004: Pierre Boulez und Michael Haefliger gründen die Lucerne Festival Academy als Ausbildungsinstitution.

2009: Hubert Achermann wird Präsident der Stiftung Lucerne Festival.

2014: Gründung Lucerne Festival Alumni: ein internationales Netzwerk ehemaliger Akademisten.

2016: Riccardo Chailly wird neuer Chefdirigent des LFO, er folgt auf Abbado, der 2014 verstarb. Wolfgang Rihm übernimmt die Academy für Pierre Boulez, der 2016 verstarb.

2020: Das Oster- und das Piano-Festival werden eingestellt.

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