Luzerner Comic-Festival hat eröffnet

Das Fumetto inspiriert und beglückt

Ausstellung des Japaners Keiichi Tanaami im Kunstmuseum.

(Bild: Christian Kaufmann/Swankphotos.com)

Farbexplosionen und Ideenvielfalt: Das diesjährige Comic-Festival Fumetto wartet mit einer Fülle an geistreichen Illustrationen, Geschichten und Kunst-Vermittlungsformaten auf. In den Dschungel dieser Welt ein- und abzutauchen, bedeutet, den Alltag für einige Stunden gegen Poesie auszutauschen.

Die Veranstaltungen des Fumetto sind wie immer zahlreich: Ausstellungen verschiedenster Art, Comic-Börsen, Workshops, Filmvorführungen, Lesungen, Performances und vieles mehr. Das Fumetto besteht nun seit 28 Jahren und ist inzwischen eines der wichtigsten Comic-Festivals Europas. Es verfolgt keinen kommerziellen Zweck, sondern will Kunst zeigen, diese spannend vermitteln, Künstler der Szene vernetzen und junge Talente fördern.

Bis nächsten Sonntag erwartet das Festival wieder rund 40’000 Besucherinnen. Wir sind am Eröffnungswochenende in die Welt des Fumetto eingetaucht. Überall in Luzern wollen Geschichten entdeckt werden. Zahlreiche Comics können von den Festival-Besuchern gelesen werden, und ihre Bildwelten inspirieren zu eigenen Gedanken und Zeichnungen.

Ob es um den Sinn des Lebens geht, um sich selbst kreuzigende Pfaffen, um Fabelwesen oder Tarotkarten: Die gezeichnete Vielfalt fasziniert. Mit Kugelschreiber schraffierte Clowns, surreale Traumlandschaften, Siebdruckposter und die Identität als abstrakter, grafischer Vorgang. Das sind nur einige der tausend spannenden Ideen aus der Welt der Künstler.

Hörgang zur Guillotine

Die Festivalformate sind experimentell, ihre Rezeption gelingt spielerisch. Eine Partnerbörse mit gezeichneten und originell getexteten Partneranzeigen hat ebenso Platz wie ein Rundgang durch die Sammlung des Historischen Museums Luzern. Ein Hörrundgang verbindet die Narration eines neuen Comics von Melk Thalmann mit den dortigen Objekten (zentralplus berichtete). Dies ist eine grosse Bereicherung für Sammlung und Comic-Geschichte, da sich die beiden Formate ergänzen.

Während man der Erzählung lauscht – der Mordfall Ferdinand Gattis, der 1892 mit der Luzerner Guillotine hingerichtet wurde –, findet sich die darin beschriebene Welt objektreich im Museum wieder: das Mieder der Geschändeten und die Guillotine selbst.

Hier entsteht Kunst: Das Comic-Festival Fumetto findet auch draussen statt.

Hier entsteht Kunst: Das Comic-Festival Fumetto findet auch draussen statt.

(Bild: Christian Kaufmann/Swankphotos.com)

Velos und Vampire

Velos und Vampire gehören ebenso zum Programm. Velos, da der diesjährige internationale Wettbewerb dieses beliebte Fortbewegungsmittel zum Thema hatte: Aus aller Welt konnten Zeichnende ihren Comic einsenden und so am Wettbewerb teilnehmen.

Vampire, da eine Ausstellung namens «Liebende und andere Vampire» Auszüge aus Joann Safars Werk, einem Star der Comic-Szene, in der Kunsthalle ehrt. Darin beisst eine schöne Frau in violettem Abendkleid Spitalpatienten in den Nacken, um diese per Vampirkuss einschlafen zu lassen, nachdem sie ihnen das Blut per medizinischer Injektion abgezapft hatte.

Eine kleine Fledermaus erklärt einem Arzt, dass sie gesund sei – auch ohne Blutdruck und Herzschlag. Kackasuppe, ein rolliger Kater und allerlei Nackedei: Seiten aus den Graphic Novels Joann Safars können, an der Wand befestigt, nachgelesen werden. Der wilde Zeichenstil des Künstlers und seine frechen Geschichten überzeugen. Zudem sind Seiten aus seinem bekanntesten Werk «Die Katze des Rabbiners» zu sehen.

Fumetto-Leiterin Jana Jakoubek und Stargast Joann Sfar bei der Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle.

Fumetto-Leiterin Jana Jakoubek und Stargast Joann Sfar bei der Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle.

(Bild: Christian Kaufmann/Swankphotos.com)

Kluft zwischer junger und alter Generation

Nebst klassischem Spuk ist auch psychodelisches Grauen anzutreffen: Im Kunstmuseum stellt der 82-jährige Japaner Keiichi Tanaami aus, der das diesjährige Festivalplakat gestaltete. Pop-Art vom Feinsten: glitzernde Insekten, körperlose Genitalien, strahlende Augen und fliegende Totenschädel. So gut die abgedrehte Farbexplosion gefällt, so sehr missfällt die wiederholte Darstellung nackter, objektivierte Frauenkörper.

Während des Festivals fällt die Diskrepanz zwischen den Comics der jungen und einer älteren Generation auf: In Ersterer sind Frauen Feministinnen und sprechen über Sexualität. Bei der älteren Generation kommen Frauen dann vor, wenn sie nackt tanzen oder vergewaltigt werden – das ist leider nicht sehr originell.

Vorreiter der japanischen Pop-Art: Keiichi Tanaami im Kunstmuseum.

Vorreiter der japanischen Pop-Art: Keiichi Tanaami im Kunstmuseum.

(Bild: Christian Kaufmann/Swankphotos.com)

Indien fernab vom Yoga-Stereotyp

Die Hauptausstellungen vermehrt thematisch zu gestalten, anstatt den Fokus auf einzelne, berühmte Autoren zu richten, wäre als Format denkbar. Auch können die an die Wand gehefteten Comic-Seiten – wie es bei der Ausstellung zu Joann Safarr der Fall war – bisweilen statisch wirken. Eine Ausstellung muss einen Mehrwert zum Comic-Buch darstellen, ansonsten wäre eine gute Bibliothek mit vielen Sofas, Hängematten und Kissennestern die angenehmere Vermittlungsart.

Die Ausstellung «Mytholitics» hingegen wirkt anders. Sound hallt aus einer Ecke des kleinen, unverputzten Raumes der Galerie «Gummi-Entli» an der Baslerstrasse. Die Atmosphäre und die ausgestellten Comics bilden eine junge, urbane Lebensart ab. Auch die Inhalte der Comics scheinen zeitgenössisch und direkt: Eine Zeichnung des überfüllten Inneren einer U-Bahn zeigt Enge und Bedrängnis im Alltag einer Mega-City.

Werk des indischen Künstlers Anivash Karn, zu sehen in der Galerie Gummi-Entli.

Werk des indischen Künstlers Anivash Karn, zu sehen in der Galerie Gummi-Entli.

(Bild: Fumetto/Anivash Karn)

In einem anderen Comic sitzen sich zwei Menschen mit ineinander verdrehten Armen stumm gegenüber. Ein weiterer erzählt von Repressionen durch die Polizei – der nächste vom Selbstmord eines jungen Studenten. Hier wird die politische Umgebung indischer Comic-Künstler gezeigt. «BlueJackal», ein Kollektiv aus Indien, bestehend aus Shefalee Jain, Lokesh Khodke, Vasvi Oza und Shivangi Singh, stellt unter anderen hier aus. Sie wollen jenen eine Stimme geben, die nicht gehört werden – und weisen auf die prekäre politische Situation in Indien hin.

Studentinnen begehen Selbstmord, um gegen das Kastensystem zu protestieren. Verzweiflung, Aktivismus und Tod gehen Hand in Hand in eine unbekannte Zukunft. Eine spannende und gut kuratierte Ausstellung mit poetischen Comics und aufrüttelnden Berichten aus einem Indien jenseits vom Yoga-Stereotyp.

Das Comic-Festival Fumetto inspiriert und beglückt. Auf keinen Fall dürfen dabei der eigener Zeichenstift und das Notizbuch fehlen. Am besten bringt man auch noch alle Zeit der Welt und etwas Taschengeld mit, um an den Comic-Märkten in der Kornschütte und im Bourbaki die eine oder andere Trouvaille zu ersteigern.

Hinweis: zentralplus ist Medienpartner des Fumetto. Das Comic-Festival dauert noch bis Sonntag, 14. April (täglich 10 bis 20 Uhr). Weitere Informationen: www.fumetto.ch

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