Stück von Thom Luz im Luzerner Südpol

Geschichten, die der Nebel schreibt

Die Geschäfte laufen schlecht in der kleinen Nebelmaschinenfabrik am Rand der Stadt: Szene aus «Girl From The Fog Machine Factory».

(Bild: zvg/Then)

Der Schweizer Theaterkünstler Thom Luz besucht mit seinem neuesten Stück «The Girl from the Fog Machine Factory» den Südpol. Es ist ein melancholisches Gedicht in Nebelform. Mit Witz, Charme und massenweise kondensiertem Wasserdampf. Schon lange nicht mehr hat man einen Theatersaal derart vergnügt verlassen.

Eine namenlose Fabrik, irgendwo, irgendwann. Sie produziert und verkauft Nebel, irgendwie. Die vier Mitarbeitenden versuchen alles, um das Unverkäufliche zu verkaufen. Mit jedwederlei Nebelmaschinen, grossen Modellen, kleinen, «sehr sehr kleine» haben sie auch im Repertoire.

Sie blasen Nebel an Ventilatoren, halten ein Cello und eine Violine an die Blätter. Erstaunlich, wie poetisch das klingt. Doch es hilft nichts: Kunden sind abwesend. Die wenigen eingehenden Anrufe betreffen Fabrikschulden.

Hinzu stösst ein Mädchen in rotem Kleid, sie tritt aus dem Nichts in die Fabrik. Die anderen merken beinahe nichts aufgrund ihrer beschäftigten Nichtstuerei. Als sie sich dann doch umdrehen, nehmen sie das Mädchen überfreundlich in Empfang, setzen es auf einen Stuhl und veranstalten eine zirzensische Nebelshow. Wolken, Nebelringe, Dunst, der über einen roten Teppich schleicht. Wenige Augenblicke später wird das Mädchen selbst zur Angestellten verzaubert. Dann? Fünf, vier, drei, zwei, eins: eine Liebesgeschichte.

Die Tragik triumphiert

Thom Luz besitzt die einzigartige Fähigkeit, Nostalgie zu erwecken, wo keine sein kann. Er fügt «The Girl from the Fog Machine Factory» einen Hirnsturm an Assoziationen und Zitaten bei, rekontextualisiert sie und schafft eine Geschichte, die, anders als das Feingebäck in Prousts «A la recherche du temps perdu», in unseren Sinnen eine nie dagewesene Zeit evoziert.

«Alice in Wonderland» ist drin, der visuell-verspielte Humor von Jacques Tati und Charlie Chaplins naiv-romantische Liebesdichtungen. Apropos Stummfilm: Hinten an der Wand werden bei Fremdsprachgebrauch Untertitel projiziert, sie erinnern nicht wenig an Texttafeln aus der Stummfilmzeit.

Einmal sagt der Fabrikchef: «Eines Tages, mein Sohn, wird das alles dir gehören.» Der Satz stammt aus der deutschen Übersetzung von «Monty Python and the Holy Grail», wo der König aus dem Fenster zeigt; der Gag – «Was? Die ollen Gardinen?» – fehlt. Die Tragik triumphiert.

Nebelwissen aus 225 Jahren Firmengeschichte wird aufgefahren: Die neuste Produktion des Schweizer Theaterkünstlers Thom Luz.

Nebelwissen aus 225 Jahren Firmengeschichte wird aufgefahren: Die neuste Produktion des Schweizer Theaterkünstlers Thom Luz.

(Bild: zvg/Then)

Fabrikgroove als Sound

Das Medium des Zürcher Theaterkünstlers Thom Luz war schon immer das Flüchtige, Geisterhafte. Sei es in «Unusual Weather Phenomena Project» (2016), in «When I Die» (2013) oder eben jetzt wieder. An die Substanz geht es in «The Girl from the Fog Machine Factory» nicht. Aber das ist vielleicht die entscheidende, manieristische und selbstironische Pointe von Luz.

Ja, da ist Kitsch. Ja, da ist Effekt. Ja, das ist leicht-luftig.

Und die Musik! Seine Band My Heart belongs to Cecilia Winter wurde auf Eis gelegt, diese Energien fliessen jetzt auf die Theaterbühne. Beim Perfektionisten Luz ist jede Tonabfolge durchkomponiert, kein Geräusch erklingt zufällig. Der Groove der Fabrik ist eher Sounddesign als Theatermusik, eher fliessend als abstrakt.

Ja, da ist Kitsch. Ja, da ist Effekt. Ja, das ist leicht-luftig. Aber dieses vernebelte Stück ist gut gemacht und hält eineinhalb Stunden. Schon lange nicht mehr hat man einen Theatersaal derart vergnügt verlassen.

Zu Recht ist «The Girl from the Fog Machine Factory» zum Berliner Theatertreffen 2019 eingeladen worden und gehört somit zu den zehn besten Inszenierungen des vergangenen Jahres. Möglicherweise verflüchtigt es sich aber auch bald wieder.

Weitere Aufführung: Freitag 22. März, 20 Uhr, Südpol (Grosse Halle).

Mit: Mathias Weibel, Mara Miribung, Samuel Streiff, Sigurður Arent Jónsson, Fhunyue Gao. Raum, Inszenierung: Thom Luz, musikalische Leitung: Mathias Weibel, Kostüm: Tina Bleuler, Katharina Baldauf. Koproduktion: Gessnerallee Zürich, Théâtre Vidy-Lausanne, Kaserne Basel, Internationales Sommerfestival Kampnagel (Hamburg), Theater Chur, Südpol Luzern

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