«Wolkenbruch»-Autor Thomas Meyer in Luzern

«Hass ist offenbar für viele Menschen etwas Ergiebiges»

«Religion macht mich wütend»: Thomas Meyer, Schweizer Erfolgsautor.

(Bild: zvg / Claudia Herzog)

Wie Woody Allen liebt Thomas Meyer, der einer jüdischen Familie entstammt, Klischees: In seinem Bestseller «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» spitzte er zu und blickte tief in das Milieu orthodoxer Juden. Am Dienstag liest er in der Loge Luzern – ob es da zur Konfrontation kommt?

zentralplus: Thomas Meyer, das Judentum ist ein Thema, an dem Sie sich gerne reiben. Der jüdische Sänger Charles Aznavour findet, es sei besser, nicht über Religionen zu reden. Was glauben Sie – hat er recht?

Thomas Meyer: Ich konnte mit Religion nie etwas anfangen. Ich finde sie todlangweilig, gleichzeitig macht sie mich wütend. Es ist in der Tat besser, nicht darüber zu reden, zumindest nicht mit mir.

zentralplus: Dennoch ist das Milieu orthodoxer Juden in Ihren Büchern grosses Thema, und die jüdische Gemeinschaft fühlt sich manchmal betupft. Gibt es bei Ihren Auftritten auch Demonstrationen gegen Sie?

Meyer: Da geben Sie mir zuviel Kredit. Zu meinen Lesungen kommen nur Menschen, die mich und meine Bücher mögen.

«Ich habe alle Social-Media-Konti gelöscht.»

Thomas Meyer, Autor

zentralplus: Wurden Sie noch nie angegriffen, auch nicht im Internet?  

Meyer: Im Internet wird jeder angegriffen, das ist der Fluch dieses Mediums. Mit ein Grund, warum ich alle Social-Media-Konti gelöscht habe.

zentralplus: Es ist bei Ihrer Loge-Lesung wohl auch mit orthodoxen Juden im Publikum zu rechnen, die den «Nestbeschmutzer Meyer» sehen wollen. Sind Sie mit der Judengemeinde der Stadt Luzern vertraut? 

«Wolkenbruch» 120'000-mal verkauft

Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich als Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters geboren. Nach einem abgebrochenen Jura-Studium arbeitete er als Texter in Werbeagenturen und als Reporter. 1998 veröffentlichte er als Hans Schmerz Online-Kolumnen und fiel als Autor der Underground-Zeitschrift «KULT» auf. 2007 machte er sich als Autor und Texter selbstständig.

2012 erschien Meyers Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse», der 120'000-mal verkauft und für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. 2017 wurde der Stoff von Michael Steiner verfilmt. Mit Erfolg: An die 300'000 Menschen sahen den Film in der Schweiz schon. 

Meyer: Ich bin jüdisch, aber nicht religiös und auch nicht mit Gemeinden verbunden. Das ist ein merkwürdiger, aber alltagstauglicher Widerspruch. 

zentralplus: Weshalb wohl ist die Judengemeinde der Stadt Luzern zusehends am Schrumpfen (zentralplus berichtete)?

Meyer: Ich kann das nicht beurteilen. Aber wenn junge jüdische Menschen lieber in die Welt aufbrechen, sich mit ihr vernetzen und lieber Bücher lesen als biblische Texte und wenn sie Beziehungen mit Nichtjuden eingehen, hat es das fromme Judentum halt schwer. Ich persönlich könnte nie unter einem derart strengen Regelwerk leben und habe bis heute auch dessen Sinn nicht eingesehen.

zentralplus: Ist das orthodoxe Leben wirklich so schwierig, wie es die 32-jährige Autorin Deborah Feldman («Unorthodox» von 2016 und «Überbitten» von 2017) beschrieb und sagte, dass die Frage aller Fragen sei: «Wie kann ich mein Jüdischsein für mich erträglich machen?» 

Meyer: Ich kann das nicht beurteilen, ich bin nicht orthodox. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich persönlich sehr grosse Mühe hätte mit all den Geboten und Verboten.

zentralplus: Über die «Kultur von Beschämung» sagte Deborah Feldman weiter: «Jüdischsein bedeutet, immer verfolgt zu werden und nie in der Aussenwelt akzeptiert zu werden und immer für irgendetwas büssen zu müssen und immer Angst vor Gott zu haben. Es hat lange gedauert, bis ich realisiert habe, dass die jüdische Identität keine Belastung bedeuten muss.» Traurig, oder?

Meyer: Ich erlebe es zumindest so, dass man als Jude ständig einen dummen Spruch befürchten muss.

Prägnant, abstrahiert, plakativ: Thomas Meyer liebt eine klare Sprache und deutliche Symbole.

Prägnant, abstrahiert, plakativ: Thomas Meyer liebt eine klare Sprache und deutliche Symbole.

(Bild: zvg)

zentralplus: Geht das bei allen Glaubensgemeinschaften so?

Meyer: Ich kenne zumindest keine antichristlichen Klischees.

zentralplus: Ist es noch immer so, dass nur Juden Witze über Juden machen dürfen?

Meyer: Es ist jedenfalls noch immer so, dass Witze über Juden nicht lustig sind, wenn sie von Nichtjuden gemacht werden. Über den Grund rätsle ich bis heute.

zentralplus: Sie waren auch schon in der Region; was bedeutet Ihnen Luzern?

Meyer: Ich kenne die Innerschweiz hauptsächlich von meinen Wiederholungskursen im Militär. Ich war mehrmals in Stansstad stationiert, aber auch in Kriens, und in Luzern sind wir einige Male ausgegangen. Und ich hatte hier ein paar ziemlich gute Auftritte.

zentralplus: Inwiefern «ziemlich gut»?

Meyer: Gute Stimmung meinerseits, offenes, warmes Publikum, freundliche Begegnungen vor und nach der Lesung.

«Ich bin ein Zürcher auf Durchreise.»

zentralplus: Wenn Sie in unserer Stadt sind, wo gehen Sie gerne hin?

Meyer: Ich finde das Restaurant «Tibits» am Bahnhof grosse Klasse. Ansonsten muss ich Sie enttäuschen. Ich bin ein Zürcher auf Durchreise. Vielleicht ist es ein Trost, dass ich in meiner Heimatstadt Zürich auch nicht allzu viel empfehlen kann?

zentralplus: Was werden Sie am Dienstag in der Loge lesen?

Meyer: Das entscheide ich immer erst kurz vorher.

zentralplus: Könnte Ihr «Wolkenbruch»-Plot auch hier in Luzern geschehen?

Meyer: Ja, natürlich. In Zürich gibt es halt mehrere grosse Gemeinden, aber wo immer es eine fromme jüdische Familie gibt, kann sich der «Wolkenbruch»-Plot abspielen. Oder besser: Wo immer es eine Familie gibt mit einer dominanten Mutter, die starre Erwartungen an ihr Kind hat. Das ist ja kein jüdisches Monopol.

So präsentiert sich der Trailer zum Erfolgsfilm «Wolkenbruch»:


zentralplus: Hat Sie der Erfolg des Romans und des Filmes überrascht?

Meyer: Ja und nein. Ich habe in beiden Fällen, beim Buch und dem Drehbuch, mein Bestes gegeben und war selber angetan von den Ergebnissen. Man ist sich ja selbst der erste Leser und auch der anspruchsvollste. Ich habe die Werke erst aus der Hand gegeben, als ich sie richtig gut fand. Daher war ich zuversichtlich, dass andere es auch so empfinden.

«Es gibt eine Schweizer Ausformung des Antisemitismus, die sehr freundlich, sehr zahm und trotzdem letztlich sehr abwertend ist.»

zentralplus: Der Antisemitismus ist derzeit wieder europaweit in den Schlagzeilen: Es gibt viele tausende antisemitische Vorfälle, allein in England im letzten Jahr 1652, in Deutschland 1646, in Frankreich 541, wobei hunderte Gräber bei Strassburg geschändet und zwei Jüdinnen getötet wurden. Wie ist dieses antijüdische Klima zu erklären? 

Meyer: Das frage ich mich auch. Ich weiss es nicht. Ich bin fassungslos. Hass ist offenbar für viele Menschen etwas Ergiebiges. Das ist meine einzige Erklärung.

zentralplus: In der Schweiz bleibt es vergleichsweise ruhig. Weshalb?

Meyer: Weil wir hier glücklicherweise eine moderate Kultur haben. Man darf aber nicht denken, dass die Absenz von geschändeten Gräbern die Absenz von Antisemitismus bedeutet. Es gibt eine Schweizer Ausformung davon, die sehr freundlich, sehr zahm und trotzdem letztlich sehr abwertend ist.

Thomas Meyer liest am Dienstag, 12. März, um 20 Uhr in der Loge Luzern einen Querschnitt aus seinem breiten Textlabor: Neues, Pubertierendes, Publiziertes und Unveröffentlichtes. Dazu gibt es ein Gespräch mit Logen-Leiter André Schürmann.

«Schweizer Antisemitismus ist sehr freundlich»:  Thomas Meyer vor seiner Lesung in Luzern.

«Schweizer Antisemitismus ist sehr freundlich»:  Thomas Meyer vor seiner Lesung in Luzern.

(Bild: zvg / Claudia Herzog)

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