Silas Kreienbühl über seine Fotografie-Ausstellung

Weshalb ein Luzerner Künstler mit einem SVP-Nationalrat spazieren geht

Spazieren, loslassen und sich auf das Gesehene einlassen.

(Bild: silas kreienbuehl)

Spazieren: So simpel es klingt, so herausfordernd kann es sein. Der Luzerner Künstler Silas Kreienbühl traf sich mit dem ehemaligen Kunstfälscher Beltracchi, SVP-Nationalrat Müri & Co., um genau dies zu tun. Dabei entstanden nicht nur Fotografien – sondern Erkenntnisse und unvergessliche Begegnungen.

Es ist der Reiz am Alltäglichen. Und vielfach das Chaotische, auf das er zufällig trifft. Es sind diejenigen Dinge, vor denen Silas Kreienbühl stehen bleibt und die er genauer betrachtet, die zumeist nicht kontrolliert, nicht sauber und nicht durchgeplant sind.

Wir befinden uns mit dem Luzerner Künstler auf einem Spaziergang. Begonnen haben wir den Fussmarsch beim Neubad – ohne direktes Ziel geht es weiter durch die Strassen der Neustadt. «Es ist für viele schwierig, einfach so zu spazieren», sagt Kreienbühl. «Ohne Ziel und ohne zu wissen, ob man bei der nächsten Kreuzung rechts oder links einschlägt. Und ohne zu wissen, auf was oder wen man treffen wird.»

Also schlendern wir planlos durch die Gegend? Der Luzerner Künstler nickt: «Solche Spaziergänge müssen unbedingt planlos sein.» Dass unsere Gesellschaft tendenziell eher alles kontrollieren und strukturieren wolle, sei eher etwas Unkreatives.

Über 30 Spaziergänge

Silas Kreienbühl hat in den vergangenen Monaten über 30 Spaziergänge mit bekannten Persönlichkeiten unternommen. Beispielsweise mit Ex-Bundesrat Moritz Leuenberger, mit dem Luzerner Stadtpräsidenten Beat Züsli, mit dem ehemaligen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, Heidi Happy und Niccel Steinberger. Auch mit Künstler Wetz, mit dem er gemeinsam mit anderen ab 2010 das KKLB mitaufgebaut hat, schlenderte er durch das KKLB (Kunst und Kultur im Landessender Beromünster).

Dies sind nur einige der Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Sport, die Silas Kreienbühl im Rahmen seiner Forschungsarbeit getroffen hat. Mit ihnen lief er durch Natur und Stadt, aber auch durch Fussballstadien und das Luzerner Regierungsgebäude. Diese Arbeit nennt Kreienbühl «Spazieren zu zweit». Sie ist jedoch nur ein Teil des gesamten Forschungsprojekts – denn Silas Kreienbühl spaziert auch durch Bücher, Ausstellungen und Theaterstücke.

Das Einzige, was im Vorhinein geplant wurde: Treffpunkt und -zeit. Kreienbühl drückte daraufhin seine Kamera in die Hand der Getroffenen, machte sich auf einen Spaziergang mit ihnen und liess sie ihre Sicht auf die Welt festhalten. Die Bilder sind ab dem 16. Januar im Neubad zu sehen (siehe Box).

Bilder im Kopf

«Spazieren ist etwas so Simples», sagt der 35-Jährige. Und gleichzeitig sei es etwas unglaublich Spannendes: Denn wer spaziert und sich auf den Moment einlasse, der entdecke nicht nur Dinge – sondern lerne viel über sich und die Welt kennen. «Doch Erwachsene spazieren häufig so, dass sie bereits im Vorhinein sagen können, was sie sehen werden», sagt Kreienbühl.

«Erwachsene spazieren häufig so, dass sie bereits im Vorhinein sagen können, was sie sehen werden.»

Der Mensch habe ein Ordnungssystem im Kopf, wie die Welt aussieht. Und dabei bleibe er häufig, weil man nicht immer Neues aufnehmen und neu denken könne. «Wir vergessen häufig, dass dies eben nur ein Modell ist, das wir in unseren Köpfen haben. Und dass es nur unsere Vorstellung dessen ist, wie wir uns die Welt vorstellen», so Kreienbühl. «Es hilft, wenn wir wieder bewusster spazieren, Dinge aufnehmen und Vorstellungen neu überdenken.»

Kreienbühl selbst habe, als er Anfang 2017 nach Berlin zog, um dort die KKLB-Filiale «KKLB Berlin» zu eröffnen, durch Spazieren die neue Stadt entdeckt. Und mit Fotografien hielt er fest, wo er durchlief und was er dabei entdeckte. Das seien die kleinen Schätze im Alltag.

«Es sind Spuren des Lebens, auf die wir treffen und die wir ablesen.»

«Es sind Spuren des Lebens, auf die wir treffen und die wir ablesen.»

(Bild: ida)

Wenn es der Zufall so will

Kreienbühl bleibt vor vier leeren, weiss-blauen Milch-Papptüten stehen, die jemand anders scheinbar ganz bewusst oder zufällig vor eine Tür abgelegt hat. Abfall? Nicht für den Künstler. Er geht in die Hocke und macht ein Bild des Gesehenen: «Sobald irgendwo etwas rumliegt, wird eine Geschichte erzählt», so Kreienbühl. «Es sind Spuren des Lebens, auf die wir treffen und die wir ablesen.»

Kreienbühl habe es sich abgewöhnt, vor jeder Fotografie, die er macht, abzuwägen, ob er auch wirklich ein Foto machen solle oder nicht. «Es ist besser, manchmal gar nicht so viel zu überlegen und einfach mal ein Bild zu machen.» Dann sehe er auf einem Foto etwas, was ihm in der Realität nicht aufgefallen sei.

Gerade von dem Alltäglichen und insbesondere von Zufälligem ist Silas Kreienbühl fasziniert.

Gerade von dem Alltäglichen und insbesondere von Zufälligem ist Silas Kreienbühl fasziniert.

(Bild: silas kreienbuehl)

Unterschiedliche Sichtweisen

«Bei den Spaziergängen sind die unterschiedlichsten Sichtweisen aufeinandergeprallt», erzählt Silas Kreienbühl. «Der Spaziergang mit SVP-Nationalrat Felix Müri gehört definitiv zu den eindrücklichsten. Dies, weil wir zu Beginn wohl die grösste Distanz zueinander aufwiesen.»

«Das Schöne war, mit einem SVP-Nationalrat über Kunst und Kultur zu sprechen.»

Politisch seien die beiden weit auseinander, hätten andere Sichtweisen. Denn Müri fährt die typische SVP-Linie und möchte im Kulturbereich sparen. «Das Schöne an diesem Treffen war jedoch, mit einem SVP-Nationalrat über Kunst und Kultur zu sprechen», so Kreienbühl. Es sei faszinierend gewesen, wie sich die beiden bei ihrem Treffen, dem Spazieren und dem Fotografieren gefunden hätten. Aber auch das Treffen mit dem ehemaligen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, mit dem es sehr harmoniert habe, werde er niemals vergessen.

«Spazieren zu zweit» im Neubad

Die Ausstellung «Spazieren zu zweit» wird vom 16. Januar bis zum 20. März 2019 in der Neubad Galerie in Luzern gezeigt. Am 16. Januar wird die Ausstellung gemeinsam mit dem Schriftsteller, Kabarettisten und Slam-Poeten Christoph Simon eröffnet. Am 13. März findet ein Gespräch zur Ausstellung mit Künstler Wetz statt. Bei der Finissage am 20. März ist Kulturwissenschaftler René Stettler unter den Gästen. Durch die Ausstellung oder in Berlin sind auch private Führungen möglich.

Die Bilder sind nicht das Einzige, was aus den Spaziergängen Kreienbühls mit seinen Begegnungen entstanden ist. Wenn sie denn auch das einzige fassbare Indiz der Treffen sind. «Die ganzen Geschichten und die Gespräche, die dabei entstanden sind, sind das wirklich Prägende dieses Projekts.»

Denn er habe viel über sich selbst gelernt. Die Persönlichkeiten, mit denen er sich zum Spazieren getroffen hat, kannte er teilweise noch nicht persönlich. So habe Kreienbühl gemerkt, wie er selbst Menschen einschätze – und dass Vorstellungen im Kopf eben nicht immer der Realität entsprechen.

Ein Grashalm inmitten des Asphalts

Vieles, was Silas Kreienbühl auf seinen Spaziergängen entdeckt, bringt ihn dazu, neue Perspektiven einzunehmen. Beispielsweise dann, wenn er durch die Stadt läuft und die Natur an «unmöglichen Orten» entdeckt. Dieses Bild habe – wie so viele Begegnungen – eine symbolische Ebene, sagt der in Neudorf geborene Kreienbühl: «Es ist ein Samen, der auf widrige Umstände getroffen ist. Aber ob er nun inmitten einer grünen Wiese oder in einem kleinen Riss im Asphalt der Stadt wächst: Er macht das Beste aus seiner Situation.»

Die Bilder der Begegnungen von Silas Kreienbühl auf seinen Spaziergängen sehen Sie in der Bildstrecke:

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