Rapper werden? Ein Luzerner versucht’s

«Solche Zeilen zu performen, ist natürlich jenseits»

Christoph Fellmann (links) und Martin Baumgartner proben seit zwei Jahren an den Songs von Kendrick Lamar.

(Bild: zvg/Martin Baumgartner)

Ein Popfan hat beschlossen, sich ein Hip-Hop-Meisterwerk anzueignen: «To Pimp a Butterfly» von Kendrick Lamar. Die Luzerner Christoph Fellmann und Martin Baumgartner bringen es Track für Track auf die Bühne. «This Dick ain’t Free» ist ein Experiment mit lauter Fettnäpfchen.

«Jetzt kommt das N-Wort.» Einer der bekanntesten Hip-Hop-Songs der letzten Jahre wird angekündigt: «Alright» von Kendrick Lamar.

N***a, we gon’ be alright
N***a, we gon’ be alright
We gon’ be alright

Scharfe Sounds unterlegen die Wortsalven. Es geht um Hoffnung im schwarzen Amerika, der Song ist 2015 erschienen und zum Soundtrack der Black-Lives-Matter-Bewegung geworden. Nun performt ihn aber nicht Kendrick Lamar, 31, aus Compton, Kalifornien. Sondern Christoph Fellmann, 48, aus Horw, Luzern.

Wie kann man dem gerecht werden?

Der Theatermacher und Autor hat sich in den Kopf gesetzt, Rapper zu werden. «This Dick ain’t Free» heisst sein Unterfangen, mit dem er ein ganzes Album von Kendrick Lamar auf die Südpol-Bühne bringt, die 16 Tracks von «To Pimp a Butterfly». In seinen Worten: «Ein weisser, mittelständischer, mittelalterlicher Mitteleuropäer beschliesst, ein modernes Hip-Hop-Meisterwerk zu covern.»

«Wie bei Rammstein, da ist so viel Theater drin.»

Martin Baumgartner, Musiker

Wie kam’s dazu? Fellmann hat 2015, damals noch als Musikjournalist, einen Artikel über das Album geschrieben. Er fand die Situation absurd: «Wie kann ich dem Album mit diesem Reichtum in einer Besprechung überhaupt gerecht werden?»

Er wollte es wissen und hat sich mit Kopf und Kragen in das Album gestürzt. Nun probt er seit zwei Jahren zusammen mit dem Musiker Martin Baumgartner daran, zuerst wöchentlich, jetzt täglich.

Darf man das?

Rapper werden, also. «Kann der das?», stand als Ausgangsfrage im Raum – und auch: «Darf der das?» Obwohl als Frage formuliert, weiss Christoph Fellmann natürlich: «Klar darf man.» Es zwinge einen aber dazu, es möglichst genau und gut zu machen. «Wir wollen hier keinen Trash anrichten, ich will wirklich wissen: Wie weit kommt man, wenn man das ernst nimmt?» Sagt er, der mit Indie-Musik sozialisiert worden ist, aber gemerkt habe, dass Hip-Hop einfach besser und interessanter sei.

Aber klar empfinde man gewisse Textstellen als übergriffig – etwa in «The Blacker the Berry»:

I’m African-American, I’m African
I’m black as the heart of a fuckin’ Aryan

«So etwas zu performen ist natürlich jenseits, das kannst du eigentlich nicht machen», so Fellmann. Eigentlich. «Aber Janis Joplin singen wir auch einfach nach, obwohl es eigentlich keinen Sinn ergibt», ergänzt Martin Baumgartner. Er findet: «Wenn man das im Auto vor sich her singt, who cares? Aber wenn du damit auf die Bühne trittst, muss du natürlich überlegen, was es für einen Kontext hat. Und das passiert hier.»

Vom Popfan zum Rapper: zweimal Christoph Fellmann.

Vom Popfan zum Rapper: zweimal Christoph Fellmann.

(Bild: zvg)

Ferne Welten

Für die Bühnenumsetzung haben Fellmann und Baumgartner die Regisseurin Giulia Baldelli engagiert. Zuerst habe sie die Idee einfach lustig gefunden, aber die Fragen seien berechtigt. «Christophs Welt hat faktisch nichts mit der Welt von Kendrick Lamar zu tun. Wieso finden so viele weisse Leute aus der westlichen Welt die Musik gut?»

Um dies zu erfahren, sei Fellmann «mit dem Album in Aktion getreten» und habe es sich angeeignet, wie Baldelli sagt. Der Abend sei nicht nur eine Auseinandersetzung mit den Themen in Kendrick Lamars Musik – Rassismus, Gewalt, Black America –, sondern auch: «Was hat das mit uns zu tun? Und wie gehen wir damit um?», sagt die Regisseurin.

So sieht’s beim Vorbild aus:

 

Als Musikperformance ist das Stück angelegt. Was heisst das? «Es ist letztlich ein Konzert», sagt Martin Baumgartner. Man steht, es wird laut und man kann ein Bier holen an der Bar.

Baumgartner hat die Stücke neu eingespielt, Fellmann rappt sie. Manche seien nah am Album. «Andere muss man gut kennen, um sie noch zu erkennen», sagt Baumgartner. Sicher ist aber: Es kommt das ganze Album auf die Bühne.

Wie bei Rammstein …

Zwischen den Tracks gibt es Ansagen. Fellmann erzählt die Geschichte hinter dem Vorhaben: Wie der Musikkritiker und ehemalige Rockfan ein Hip-Hop-Album «nicht nur zu lieben, sondern auch zu leben» lernt, wie es im Begleittext heisst. «Damit offenbart er viel von sich», sagt Giulia Baldelli. Das Konzert wird ergänzt durch diese theatralen Aspekte, die erlauben, verschiedene Perspektiven einzunehmen.

Baumgartner sagt es so: «Es ist ein Konzert im Hip-Hop-Kontext, wir reihen die Stücke nicht einfach aneinander, sondern wir verbinden die Stücke, es wird ein runder Abend. Wie bei Rammstein, da ist so viel Theater drin.»

Sein erstes Konzert

Und wie geht es ihm jetzt, kurz vor dem Ziel, ein Rapper zu sein? Christoph Fellmann lacht. «Ich fühle mich schon sehr schwarz.» Auch wenn er gewisse Textzeilen von Kendrick Lamar bis heute nicht wirklich verstehe, sie bleiben zu insiderisch. «Sie spielen auf kulturelle Kontexte an, die wir gar nicht verstehen können», vermutet Baldelli.

Und natürlich ist Fellmann noch nervöser als sonst vor Premieren. Weil er sich mit «This Dick ain’t Free» entblösst und im Fokus steht wie nie zuvor. «Es ist sein erstes Konzert!», sagt Baumgartner.

Und für das erste Konzert hat er sich weitere Hilfe geholt: Neben dem Musiker und der Regisseurin hat er Stimm-Coach Bruno Amstad beigezogen und als Rap-Coach Luzi Rast (GeilerAsDu, Moskito). «Es ging um Tricks, wie man an Textzeilen herangeht, wie man sie aneinanderdenkt», so Fellmann.

Es steckt eine Unmenge an Zeit, Aufwand und Energie im Stück. Fellmann hat die Idee schon mehrfach verteufelt und hinterfragt. «Die Idee finde ich immer noch richtig und es macht Spass, aber manchmal fragst du dich: Auf was hast du dich da eingelassen?»

Martin Baumgartner schaut schockiert. «Das hast du sicher auch schon gedacht», sagt Fellmann zu ihm. Baumgartner: «Ich? Nein, für mich ist das Konzept immer noch der absolute Überflieger.»

Aufführungen: Do, 22., Fr, 23. und Sa, 24. November, 20 Uhr, Südpol Luzern, Grosse Halle.

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