Der Luzerner Mundart-Musiker auf «Egotrip»

Tobi Gmür brennt wieder – gegen alte Herren und Pseudo-Linke

Tobi Gmür will wieder politischer sein – und auch einmal anecken.

(Bild: pze)

Der Luzerner Tobi Gmür meldet sich mit neuem Album zurück. Der Egotrip, wie er es nennt, kommt wütender und politischer daher. Der 44-Jährige sagt, er habe zu lange keine Kanten gezeigt. Jetzt brennt er wieder. Gegen alte, sture Herren, «Pseudo-Linke» und für etwas mehr Menschlichkeit.

Er ist wieder da: das Musiker-Urgestein Tobi Gmür (44) veröffentlicht am Freitag sein neustes Album «Bern». Es ist die nächste Station auf seiner «Tour de Suisse», dem Mundart-Projekt Gmürs, das seit nunmehr rund vier Jahren andauert.

Dabei besucht er bekannte Studios und Musiker in der ganzen Schweiz und benennt das Ergebnis nach dem jeweiligen Ort. Nach dem Debütalbum «Winterthur» und der Live-Session «Obernau» betitelt «Bern» den dritten Halt Gmürs auf seiner musikalischen Reise. 

Züri-West-Produzent hatte Finger im Spiel

Einen Egotrip nennt es Gmür, weil er die Basics – Gitarren, Bass und Schlagzeug – allesamt selber einspielte. Als er für andere Musiker komponierte, habe er sich zu stark an ihnen orientiert: Welcher Stil könnte ihnen liegen, wie bindet man jeden mit ein? Diese Filter fallen weg, wenn er alles selber macht. Dafür blieben gewisse Instrumente minimalistischer – hier ein Drum-Fill-in weniger, da eine eher simple Gitarre. «Das Album wäre mit Band sicher virtuoser geworden», sagt Gmür.

Plattentaufe im Konzerthaus Schüür

Tobi Gmür: «Bern» (erscheint am 2.11.) Plattentaufe: 14. Dezember, Konzerthaus Schüür Luzern. Unterstützt wird er vom Berner Musiker Bubi Eifach. Es folgen Konzerte in der ganzen Schweiz.

Der Einzige, der eingreifen durfte war er: Oli Bösch, eine Koryphäe in der Schweizer Mundartszene. Der Produzent von Züri West arbeitete mit Grössen wie Baschi, Trauffer oder den Lovebugs zusammen. Nun auch mit Tobi Gmür. «Oli hat wenig in die Strukturen der Songs eingegriffen», sagt Gmür. Sein Einfluss sei subtil, fast subversiv. «Man merkt gar nichts von seinen Handgriffen, bis man die Songs im Vergleich zu meinen Demos hört. Er hat die Stücke aufgeräumt und in eine Form gebracht, ohne dass das Gefühl entsteht, er kremple alles um.»

Gmürs Wut ist zurück 

«Bern» sei «typisch Gmür», sagt dieser. Gleichzeitig sollen 80er-, 90er- und 50er-Einflüsse wirken. «Ich denke, die 90er haben meine Musik am meisten geprägt. Aber Inspiration kann von überall kommen, ohne dass man dies der Musik gleich anhört», sagt Gmür. Die Einflüsse, das spürt man, sind denn auch nicht nur musikalisch, sondern vermitteln auch Gefühle: So kehrt die Wut der frühen Mother’s-Pride-Jahre zurück in Gmürs Texte.

Die neue Gmür-Single «Empfstoff» klingt so:

Gleich im ersten Stück – «Ech chome» – spricht sich Gmür, wenn auch eingebettet in den rauen Mundart-Pop, gegen die Nimmersatten aus, die immer mehr wollen und doch schon alles haben. «Ech brönne wie niemmer woni könne ond ech hoffe, ech be gnueg lang of dem Chrüzwäg gloffe», singt Gmür. 

Es soll den Abschluss eines Kapitels einläuten. Ein Leben in Unsicherheit, manchmal finanziell, manchmal psychisch, oft lag beides nahe beieinander, sagt er. Heute, mit und dank Familie, gehe es besser. Nun nutzt er die Musik für eine teils wütende, trotzige, aber in seiner Form auch optimistisch-selbstbewusste Retrospektive auf diesen «Kreuzweg».

«Alles s gliche Pack» 

Auch für den Rest von «Bern» gilt: Gmür ist politischer geworden. Passend zum Ort, der Bundeshauptstadt, äussert sich der Luzerner mit seinen Songs wieder pointierter. In «Zämestoh» singt er: «Ond mer stenkts, s esch alles s gliche Pack vo rächts bes lenggs – mer müessted nome chli zämestoh.»

Ein überraschendes Statement aus Gmürs Feder. Erstens, weil ihn auch heute noch viele in der Stadt aus Mother’s-Pride- und damit Sedel-Zeiten kennt. Plötzlich sind die Linken so schlimm wie die Rechten – und betitelt mit dem eigentlich von Mundart-Stammtischpolteri Gölä vereinnahmten Begriff «Pack»?

«Ich habe mich vielleicht jahrelang zu wenig geäussert, wollte nicht anecken. Jetzt habe ich vielleicht etwas übersteuert.»

«Ja, wir haben den Begriff diskutiert. Mir war nicht klar, dass der Begriff ein Teil rechter Rhetorik ist», sagt Gmür. Auch Musiker Bubi Rufener (Bubi Eifach), der mit Gmür auf «Zämestoh» singt, hatte erst Einwände. Aber der Song rufe dazu auf, dass gewisse Fragen gesinnungsunabhängig besprochen werden sollten und man wieder vermehrt eine menschliche Perspektive einnehmen sollte.

Aber ja, sagt Gmür, er übe auch Kritik an links: «Ich störe mich daran, wenn sich jemand links gibt und vielleicht brav SP wählt, aber dann einmal mit dem Kinderwagen nicht mühelos ins Tram einsteigen kann und sofort einen wütenden Facebook-Post absetzt.» Dann zeige sich auch bei diesen «Pseudo-Linken» plötzlich eine Spiessbürgerlichkeit, die sich für ihn mit seinem Verständnis von guter Politik und einer funktionierenden Gesellschaft nicht vereinbaren lasse.

Tobi Gmür präsentiert mit «Bern» sein drittes Mundart-Album.

Tobi Gmür präsentiert mit «Bern» sein drittes Mundart-Album.

(Bild: zvg/Roberto Conciatori)

Ausserdem, fügt er mit verschmitztem Lächeln an, sei die Zeile dem Reim geschuldet. «Ich hatte ‹Mer stenkts›, und ‹lenggs› war da sehr naheliegend.» Und Gmür gibt sich versöhnlich: «Ich habe mich vielleicht jahrelang zu wenig geäussert, wollte nicht anecken. Jetzt habe ich vielleicht etwas übersteuert.» Er müsse sein «politisches Visier» noch feinjustieren.

Die alten Herren des FC Luzern

Auch König Fussball und der frischgekürte Schweizer Meister BSC Young Boys kommt vor. Im Song «Halbfinal» träumt sich Gmür auf die Ersatzbank seines geliebten FC Luzern, es steht 7:7. «Tüüf i de Nochspelziit», als er eingewechselt wird, erzielt er den Siegtreffer. Doch der Refrain ist keine Siegeshymne, im Gegenteil: Der Song richtet sich gegen die «stiere stuure Herre» der Chefetage.

Die zweite Single heisst «Propaganda»:

Die Führungsriege des FC Luzern ist manchem Fan – und eben auch Gmür – seit langem ein Dorn im Auge. Man munkelte jüngst, der Musiker könnte seinem geliebten FCL deswegen gar seine Treue künden. Noch schlimmer: anfangen den FC Winterthur zu unterstützen. Doch er winkt ab. «Es fühlt sich an wie eine Familie, bei der einem die Eltern, Onkel und Tanten auf die Nerven gehen.» Man könne die Familie deswegen aber nicht verlassen, man könne nur seinen Ärger kundtun und auf Besserung hoffen.

Gmür sagt, es gehe nicht bloss um «seinen» FCL: Als er die Zeile über die sturen, alten Herren schrieb, dachte er auch an die Luzerner Kantonsregierung. Auch da passe das Bild der Familie – schliesslich sei Luzern seine Heimat – mit dem schwierigen Verhältnis zu den Eltern.

Der Egotrip ist vorbei

Am Freitag erscheint die Platte, am 14. Dezember folgt die Release-Show in der Schüür (siehe Box). Danach folgt eine Tour durch die Schweiz, rund 15 Konzerte wären das Ziel, so Gmür.

Und dann? Nach Winterthur und Bern folgt wohl ein weiterer Stopp auf seiner «Tour de Suisse». Ein neuer Produzent an einem neuen Ort. Schaffhausen wäre schön, sagt er. Doch daran denkt er noch nicht. Erst gilt es die Songs mit der Band für die Live-Shows einzuüben. Noch ist etwas Zeit. «Wir arrangieren die Stücke ein bisschen anders, eben virtuoser», sagt er mit einem Schmunzeln. Der Egotrip endet also bei den Live-Shows. Gmür scheint darüber nicht besonders enttäuscht.

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