Kritik zu «Les robots ne conaissent pas le blues»

Wildheit und Fehlerhaftigkeit tun dieser Oper gut

Nein, hier muss nicht alles roborterhaft genau sein. Sänger und Tänzer während der Oper Die Entführung aus dem Serail.

(Bild: joerg landsberg)

Im Luzerner Theater mischt das Performancekollektiv Gintersdorfer/Klaßen mit Die Entführung aus dem Serail die Opernszene auf. Mit einer Oper, die befreit. Die Lust macht auf Tanzen. Und die ihr eigenes Format gekonnt hinterfragt.

Les robots ne conaissent pas le blues oder die Entführung aus dem Serail. Dieser ungewöhnliche Titel für die Inszenierung von Mozarts Opernklassiker Die Entführung aus dem Serail weckt auf. Doch was haben Roboter und Blues mit der Oper und Mozart zu tun?

Die Bühne des Luzerner Theaters ist schwarz, schwarz gefärbt sind ihr Boden und ihre Wände. Blaue Kissen liegen für das Publikum bereit, welches sich auf die Stufen setzt. Stühle gibt es nicht. Parallel zum Publikum steht ein längliches DJ-Pult. Im hinteren Teil der Bühne lärmt das Orchester: Probende, schwatzende, musizierende Geiger, Oboisten, Cellisten, und Perkussionisten.

Dann betritt der Dirigent die Bühne, ein hochgewachsener Mann mit blondem Haar, er schüttelt zweien der Geigerinnen die Hand. Verbeugt sich, stellt sich mit dem Rücken zum Publikum und breitet seine Arme aus. In erwartungsvoller Spannung bleiben sie über dem Orchester erhoben. Dann lässt er sie fallen. Das Orchester spielt auf. Die Bühne des Luzerner Theaters wird vom Klang klassischer Musik erfüllt, es ist wunderschön, berauschend.

Ein Mann in Camouflage tritt auf

Die Oper ist also schön. Sie ist schön, alt und dauert meist zu lange. So könnten die Urteile eines normalen Zuschauers ausfallen. Doch noch während das Orchester spielt, springt ein dunkelhäutiger Mann im Camouflage-Trainer auf die Bühne, um uns zu zeigen, dass die Opern noch viel mehr sein kann als das.

Dem ivorischen Performer folgt ein unfrisierter Mann in ähnlich peinlichem Outfit: die weiss-blond behaarten Beine stecken in ausgelatschten, schwarzen Sneakers fest, seine ballonartigen Hosen und das Jackett aus blauem, mit Goldstickereien verziertem Stoff erinnern irgendwie an Mozart und Aristokratie. Pedrillo, einer der Hauptcharaktere aus Mozarts Singspiel, ist es, der hier vor uns steht.

Yoga und Bollywood-Tänze – kann das gut gehen?

Les robots ne connaissent pas le blues oder die Entführung aus dem Serail wird so erzählt, dass sich persönliche Inputs mit mächtigen Arien, Yoga-Übungen mit Duetten und Bollywood-Tänze mit gesprochenen Passagen abwechseln.

Konstanze, Blonde, Pedrillo und Belmonte, um einige der Charaktere aus Mozarts Singspiel zu nennen, gehen hier nicht wie sonst üblich in ihren Rollen auf und sie gehen eben auch nicht in ihren Rollen unter. Vielmehr wird ihr eindrücklicher Gesang von persönlichen Meinungen begleitet.

«Du musst spucken, spucken und schreien, das ist deutsch.»

Nicole Chevalier, Opernsängerin

So erzählt zum Beispiel Nicole Chevalier, eine US-amerikanische Opernsängerin, von ihren Gesangsstunden. Sie unterbricht ihren Gesang immer wieder, um die Anweisungen ihres damaligen Lehrers zu schildern, an welche sie sich lebhaft erinnert. «Jetzt fröhlich, fröhlich!» ruft sie in eine Atempause hinein und singt dann den nächsten Teil der Arie in «fröhlich».

«Energie von hier» sagt sie blitzschnell und hält die Hand über dem Bauch, singt weiter, dann wieder «sanft» und sanft singt sie weiter. «Du musst spucken, spucken und schreien, das ist deutsch», mimt sie ihren damaligen Lehrer, das Publikum lacht währen Chevalier bereits lautstark den nächsten Teil der Arie singt.

Nähe durch Lebendigkeit

Die Inszenierung schafft es, eine lebhafte und lebensfrohe Stimmung auf der Bühne und in den Zuschauern zu erzeugen, die eine Nähe zwischen Schauspielern und Zuschauern herstellt. Hierarchien und Rollenverteilungen entspannen sich.

Man darf aufstehen, den Platz wechseln, auf die Bühne oder zum Orchester sitzen. Der formale Zwang wir aufgehoben. Das Performancekollektiv bringt das Publikum zum Lachen, in dem sie als die Personen auftreten, die sie sind.

Die Ehrfurcht schmilzt dahin

So wird die Ehrfurcht vor den Menschen auf der Bühne kleiner. Pedrillo erzählt selbstironisch, er wisse nicht mehr, was er über sich erzählen solle. Alles habe er schon auf der Bühne verbraten, was ihn als Person interessant mache. Sein Comingout, seine Psychoanalyse, alles schon erzählt. Die Dialoge und Monologe sind witzig, dicht, sind laut und unangepasst.

Eine wilde, unübersichtliche Oper, die Lust auf Tanzen macht.

Eine wilde, unübersichtliche Oper, die Lust auf Tanzen macht.

(Bild: Knut Klassen )

Manchmal tanzt die Truppe auch per Party-Polonaise über die Bühne. Patrick Zielke, der opulente Opernsänger, marschiert während des Singens auf und ab, in einer Reihe mit ihm die ivorischen Performer und der unfrisierte Pedrillo.

Man könnte sagen, sie machen sich allesamt lächerlich. Doch erstaunlicherweise gelingt der Inszenierung eine kritische Hinterfragung des in der Oper Möglichen, ohne dass diese dabei abgewertet würde. Das deutsch-ivorische Performancekollektiv führt zusammen mit dem Regisseur Benedikt von Peter eine wilde Mischung auf, die ansteckt und unterhält, ohne flach zu sein. Eine sehr lohnenswerte Oper, die Teenager und Grossväter zum Lachen bringen kann.       

Ehrlich und mitreissend

Oft ist nicht klar, wieso jetzt was genau passiert, zu schnell die Abfolge der unterschiedlichen Elemente, zu einnehmend sind Text, Musik und Performance.

Doch es scheint auch nicht besonders wichtig zu sein, die einzelnen Elemente zu interpretieren, denn die Aufführung hinterlässt Lebensfreude und lockert auf. Ja, Charakter und Sinn des Stückes scheint geradezu zu sein, dass man die intellektuellen Werkzeuge zu Hause lassen darf und sich hier die Oper nicht in ihrer exakten Inszenierung auszeichnet, sondern durch ihre Wildheit, ihre Fehlerhaftigkeit, ihren ehrlichen und mitreissenden Ausdruck.

Nichts mit maschineller Präzision

Das Exakte und Genaue ist es nämlich auch, worauf der Titel anspielt. Mit maschineller Präzision sollen Sänger und Orchester in der Oper auftreten, wie Roboter sollen sie sein. Doch die Roboter kennen keinen Blues, keinen Soul und keinen Funk. Denn dieser stammt ja bekanntlich von der afroamerikanischen Bevölkerung ab. Und wie viele dunkelhäutige Opernsänger haben sie schon gesehen?

Das deutsch-ivorische Performancekollektiv stellt Fragen. Über den Mythos der Oper, über die geringe Anzahl an Opernhäusern in Afrika. Und über die Liebe. Über Treue, Geld und Kim Kardashian. Love is a bourgeoise construct, ertönt es im Sprechgesang und von Elektrobeats begleitet wandert die ganze Truppe über die Bühne.

Eine Technoparty wartet auf

Der DJ mit Schnauzbart, der zugleich auch ein begnadeter Saz-Spieler ist, entlockt seinen elektronischen Instrumenten rhytmische Klänge, wie bei einer Technoparty. Und eine solche gab es auch im Anschluss an die Aufführung im Club Global.

Die Performer sind nämlich auch DJs und holen die Tanzmusik der Elfenbeinküste nach Luzern. Und Tanzen scheint genau das Richtige zu sein, nach so einer gelungenen Aufführung!

 

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