Ein Weltenbummler erschafft Karibik im Bruchquartier
Claude Sandoz lebt in Luzern. Manchmal. Doch ganz oft reist er mit einem Dutzend Koffern durch die Welt und erlebt dabei heisse Nächte, seriöse Arbeitszeiten und beschämende Farbmassaker. Was er daraus macht, zeigt er aktuell im Kunstmuseum.
Kokosnüsse in allen Farben, kunstvolle Kartonverpackungen, Blumen und Muster, der Künstler als schwarzer Mann in tropischen Wäldern.
Die Ausstellung «Ab auf die Insel!» von Claude Sandoz im Luzerner Kunstmuseum ist an Farbigkeit kaum zu übertreffen. A4-Bücher sind nicht mit Skizzen, sondern über den Rand hinaus mit Farbe – mit Aquarellen und Gouachen – gefüllt. Eine Art ausuferndes Tagebuch. Die satten Farben, besonders auf den wandfüllenden Seidenmalereien, springen einem fast ins Gesicht.
Der Künstler steht inmitten der Farben und Muster und beäugt kritisch die Konstruktion seiner Installation. Claude Sandoz, geboren 1946, arbeitet seit über 50 Jahren als freischaffender Künstler und seit über 30 Jahren lebt er in Luzern. Seine eigenwilligen Arbeiten sind inspiriert von inneren und äusseren Reisen und von der Exotik. Es sind raumfüllende und doch kleinteilige Werke, überbordend in ihrer Farbigkeit und Dichte. Sie sind figurativ, üppig, voller Ornamente und Details – wie die Welt in St. Lucia.
Seit 1997 besucht Sandoz regelmässig den Inselstaat St. Lucia in der Karibik, wo er sein Werk während mehrerer Monate in grossen Zyklen vorantreibt und seine eigene, ganz persönliche Karibik abbildet. Er arbeitet dabei auf A4-Blättern und Aquarellpapieren, konzipiert daraus aber auch meterhohe Malereien, Installationen und Collagen, was mit viel Transportaufwand verbunden ist. Sein Rekord bei der Heimreise seien 12 grosse Koffer à je 32 Kilogramm, zwei Rucksäcke und eine Tasche gewesen.
«Die Inspiration ist das Leben, der Planet.»
«Diese Reisen sind strapaziös, keine Frage», sagt Sandoz. Und doch sind sie wichtig für sein Schaffen. «Die meisten Ideen entstehen auf Reisen.» Und mit den Jahren sei das zu seinem Arbeitskonzept geworden. «Die Inspiration ist das Leben, der Planet und alles auf und im und um den Planeten», so Sandoz. Eine kleine Auswahl seiner Arbeiten von der Insel zeigt er nun in der Ausstellung im Kunstmuseum.
Hitze, Tänze und Rum
Wir setzen uns auf das Sofa der Installation «The Dancing Flower Bar», die erstmals 1998 im Kulturareal Frigorex aufgestellt war und es seither auch schon nach Peking geschafft hat. Inspiriert ist die Installation dieses «Kommunikationszentrums» von den Discos im karibischen Regenwald, wo Claude Sandoz eine neue Art des Tanzes entdeckte: «Dort wird getanzt, wie ich es vorher noch nie gesehen hatte – heiss und nächtelang.» So erging es auch seiner Installation, in welcher schon bis morgens um 9 Uhr gefeiert wurde.
So wild wird es im Kunstmuseum aber wahrscheinlich nicht werden. Es wird zwar Musik laufen – Soul & Calypso und Dancehall –, doch Rum ausgeschenkt wird erst bei Sandoz’ Buchvernissage im August. Dort wird seine neuste Monografie, auch mit Bildern der laufenden Ausstellung, getauft.
Ornamente und Beats
Dass sich in Sandoz’ Installation ein DJ-Pult befindet, ist nicht verwunderlich. Seit Jahrzehnten experimentiert der Künstler mit unterschiedlichsten Musikstilen, mit Beats und Geräuschen auf Kassetten. «Ich habe Hunderte Tapes mit eigens kreierten Sounds, die einen verfolgungswürdig, und andere, bei denen ich mir an den Kopf greife.» Er höre auch bei der Arbeit viel Musik – von Klassik bis Hiphop. Und immer im Atelier bereit stehen seine elektrische Gitarre und sein Syntheziser.
In seinen Farben und mit den Mustern und Ornamenten spielt Sandoz wie mit Beats. «Mit rhythmischen Wiederholungen von Ornamenten lasse ich eine Art Musik entstehen.» Die Farbigkeit seiner Bilder habe sich durch seinen Arbeitsplatz auf St. Lucia, einem Betonrohbau direkt am Meer, noch verstärkt. «Das Wasser, die Berge, das schnelle Wolkenspiel und wie das Licht bricht, es ist inspirierend.»
Vom 7. Juli bis zum 28. Oktober 2018 ist die Ausstellung von Claude Sandoz «Ab auf die Insel!» im Luzerner Kunstmuseum zu sehen.
Mit Lena Henke, Samuel Herzog, Anna Kanai, Marie Karlberg, Max Pechstein, Christine Streuli, Rinus van de Velde
Motten und Farbmassaker
Die Arbeitszeiten jedoch sind auf St. Lucia ganz klar festgelegt. «Morgens beginne ich um 6 Uhr mit dem Sonnenaufgang und abends um 18 Uhr, wenn alles wieder stockfinster ist, höre ich auf.» Ganz selten setze er sich mit etwas Licht unter ein Moskitonetz. Denn dass weisses Licht in der Karibik keine gute Idee ist, das musste Sandoz auf die harte Tour lernen.
Bei einem seiner ersten Besuche auf der Insel habe er das Hotel, trotz Warnungen, angewiesen, in seinem Zimmer das überall genutzte orange Licht durch weisses zu ersetzen, er käme mit den Motten schon klar. «Hinterher musste das Zimmer tagelang komplett saniert werden – die Wände neu gestrichen, der Boden abgeschliffen, es war unglaublich», so Sandoz.
Denn kaum habe er das weisse Licht angemacht, seien Tausende Motten, zum Teil gross wie Teller, durch das Zimmer gejagt, in die Farbtöpfe gesegelt, wieder herausgestürzt und ohne Kontrolle durch die Luft getrudelt. «Sie sind voll mit Dispersion an die Wände geklatscht, auf die Bettwäsche, wurden von dem Deckenventilator umhergewirbelt.» Er habe sich am nächsten Morgen beim Gang an die Rezeption so geschämt, sagt Sandoz lachend.
Wachsen und schrumpfen
Doch trotz der strapaziösen Reisen und der teilweise schwierigen Arbeitsbedingungen ist er immer wieder auf die Insel zurückgekehrt. Er brauche die Reisen und den Abstand, um Luzern bei der Heimkehr wieder neu zu entdecken.
«Ich habe gelernt, die Welt willkommen zu heissen und zu ihr zu gehen.»
Die Ausführung, das grossflächige Malen oder Verbinden der Teile geschieht in seinem Atelier, zu Hause im Bruchquartier. Hier hat sich Familie Sandoz mit den beiden Kindern 1983 eingemietet und bis heute sind Sandoz und seine Frau geblieben. «Damals war das Atelier fast leer, eine gefühlte Turnhalle», erinnert sich Sandoz. Mittlerweile jedoch schrumpfe es mit jedem Jahr gefühlt um einige Quadratmeter.
Verbotene Bücher und neue Wege
Die Karibik sei in den mehr als 20 Jahren zu seiner zweiten Heimat geworden. «Doch die letzten Jahre hat sich etwas verändert», so Sandoz. Vielleicht sei es auch Zeit für einen neuen Ort. Die kommenden Reisen führen Sandoz jedenfalls nicht auf die Insel. Erst mal geht es nach Ouagadougou, wo er einen Workshop leiten wird, und vielleicht folge er bald der Einladung eines Galeristen nach Shanghai. Auch Japan stehe ganz oben auf seiner Liste.
Willkommen in der Welt
Das Reisefieber habe er durch seine multikulturelle und vielgereiste Familie mitbekommen. «Ich habe von ihr gelernt, die Welt willkommen zu heissen und zu ihr zu gehen. Das ist so viel fruchtbarer und bereichernder, als sich von ihr abzuschotten.»
Er wolle Leute inspirieren. «Dafür sind Künstler da», so Sandoz. Er mache jedoch keine politische Kunst. «Man sieht in meiner Arbeit, wie ich in verschiedensten Kulturen, an unterschiedlichsten Orten überall willkommen war und wie mir geholfen wurde. Was jetzt der Betrachter daraus macht, ist ihm selbst überlassen», so Sandoz.
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