Der Kabarettist Georg Schramm ist kein Unbekannter in Luzern. Vor einer vollen Heubühne auf dem Kulturhof Musegg las er am Sonntag in alten Texten und zerzupfte und zerzauste dabei die Welt der Macht. Auch seine alten Figuren liess er nochmals aufblitzen.
Wenn Georg Schramm in Luzern auf die Bühne steigt, ist ihm ein treues Publikum gewiss. Pia Fassbind, die Leiterin des Kulturhofs Hinter Musegg, freut sich, dass alle 120 Plätze trotz schönstem Sommerwetter und WM besetzt sind: «Schramm war fünf Mal zu Gast im Kleintheater, als ich dort zusammen mit Barbara Anderhub die Leitung innehatte. Aus dieser Zusammenarbeit hat sich eine Freundschaft entwickelt.»
Das erklärt wohl auch, warum Schramm, der sich 2014 eigentlich von der Bühne verabschiedet hat, es nicht ganz so streng mit dieser Abkehr nimmt und der Einladung im Rahmen des Sommerfestivals Folge leistete.
Treue Fangemeinde in Luzern
Schramms Name steht für aufklärerisches Kabarett, banale Blödeleien sind garantiert ausgeschlossen. Am Sonntagabend fand sich also die Luzerner Fangemeinde auf der Heubühne zu einer Lesung ein. Ein kurzer Blick zurück soll hier erlaubt sein, denn zu legendär sind seine drei Figuren von früher: der wütende, einarmige Rentner Dombrowski, der alte Sozialdemokrat und Gewerkschafter August und der stets lächelnde, schmalzig-schleimige Oberleutnant Sanftleben.
Die Auftritte von damals glichen wahrlich einem Ritt auf der Rasierklinge, wo ein Lachen nicht mal so weit kam, im Halse stecken zu bleiben. Jetzt sitzt hingegen ein ganz gewöhnlicher Georg Schramm am Lesepult: ohne eingefettetes, streng zurückgekämmtes Haar, auch ohne den schwarzen Lederhandschuh und die dicke Brille. Ob das nicht ein wenig farblos wird?
Ein der Waffen des Wortes Mächtiger
«Es sind alles alte Texte, die ich Ihnen heute vorlesen werde», bereitet Schramm das Publikum am Anfang auf das Kommende vor. Und alsdann beginnt ein Zerzupfen und Zerzausen der Welt und ihrer Mächtigen – ganz so, wie wir es von diesem Titanen des politischen Kabaretts kennen.
«Das Testosteron fliesst uns Alten ja nicht mehr aus den Ohren, aus denen wachsen irgendwann die Haarbüschel.»
Georg Schramm
Es sind Wortsalven, die da durch die Luft schiessen, wie: «Wenn von Flüchtlingen die Rede ist, sind nie die Steuerflüchtlinge gemeint.» – «Die Globalisierung kennt offene Grenzen für das Finanzkapital, nicht aber für die Menschen.» – «Früher waren es die Hartz-IV-Empfänger, dann kam Griechenland und nun sind es die Flüchtlinge. Schon im Alten Testament gab es den Sündenbock als Mittel zum Zweck.»
Die Reden der Populisten entlarvt er, der Waffen des Wortes Mächtige, als «Brunnenvergiftung, die Zwietracht sät». Keine Spur also von Gemächlichkeit oder Altersmilde.
Weniger Testosteron, dafür Haarbüschel in den Ohren
Der heilige Zorn von früher ist jedoch nicht ganz so feurig und hitzig mehr, auch dann, wenn er seine alten Figuren nochmals aufblitzen lässt. «Das Testosteron fliesst uns Alten ja nicht mehr aus den Ohren, aus denen wachsen irgendwann die Haarbüschel», sagt der 69-Jährige in seiner so typisch sarkastischen Art. Apropos Waffen: Schramm kennt sich mit denen ziemlich gut aus, war er doch drei Jahre bei der Bundeswehr. Als Unteroffizier wurde er aufgrund charakterlicher Mängel jedoch nicht weiter befördert.
Wie er kürzlich in einem Radiointerview sagte, sei das Schiessen seine Lieblingsdisziplin gewesen. Wenn er also vom lautlosen und höllisch schmerzenden Mikrowellenschuss aus einer «Silent Sheriff»-Kanone berichtet, welcher die Flüssigkeitsmoleküle unter der Haut zum Köcheln bringt, sind das keine fantastischen Hirngespinste.
Leere Worthülsen im Brackwasser der Beliebigkeit
Schramm, das Kind eines ungelernten Taxifahrers (sein Vater war überdies schwerer Alkoholiker) und eines ungelernten Zimmermädchens, der über die Mutter und den Fernseher zum Kabarett fand, als studierter Psychologe aber vorerst in einer Klinik am Bodensee arbeitete, fühlt den Mächtigen nach wie vor genau auf den Zahn.
Aber nicht nur, was er sagt, sondern auch, wie er das tut, zeugt von einer kleistschen Beobachtungsgabe: Immer wenn etwas zu brenzlig wird, klar und deutlich ausgesprochen zu werden, verkommt die Artikulation in ein undefinierbares Gewurstel, als wenn er sich kurz davor befände, sich daran zu verschlucken.
Etwas, das Schramm vielleicht mehr noch enerviert als Ungerechtigkeiten, sind: «Leere Worthülsen im Brackwasser der Beliebigkeit». «Schön, nicht?», resümiert der Künstler selbst und verabschiedet sich vom Publikum, das sich gewohnt ist, nicht in Lachkrämpfe auszubrechen, wenn Georg Schramm zu Gast in Luzern ist.
Das Sommerfestival in der Heubühne und in der kleineren Freiluftbühne «Fahrieté» gleich nebenan läuft noch bis 7. Juli (zentralplus berichtete).
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Heinz Gadient, 03.07.2018, 10:09 Uhr Sie zitieren Georg Schramm wohl falsch: «Leere Worthülsen im Bratwasser der Beliebigkeit» Was soll denn Bratwasser sein? Es müsste wohl heissen «Brackwasser» Bei Flussmündungen ins Meer entstehen Brackwasserzonen – Gemisch von Salz- und Süsswasser, also weder ganz das Eine noch das Andere. So ergibt der Satz auch Sinn – «Leere Worthülsen im Brackwasser der Beliebigkeit.»
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