Luzerner Künstlerin kehrt von Zuger Atelier zurück

Johanna Näf: «Die Offenheit der Berliner werde ich vermissen»

«Am Nachmittag ging ich jeweils raus, setzte mich ins Café und beobachtete diskret hinter der Zeitung versteckt die Menschen», verrät Johanna Näf.

(Bild: Bernd Hiepe, Berlin)

Eigentlich wohnt die Künstlerin Johanna Näf in Luzern, doch das letzte halbe Jahr hat sie im Zuger Wohnatelier in Berlin verbracht – zum zweiten Mal. Nächste Woche geht es wieder zurück in die Heimat. Wenn auch mit Wehmut, denn die Rückreise hat sie lange verdrängt. Doch eines wird sie vermissen.

Berlin ist etwa zehnmal so gross wie Zürich und hat über drei Millionen mehr Einwohner als die grösste Stadt der Schweiz. Kein Wunder, musste Johanna Näf, eine Künstlerin, die nun in Luzern wohnt, erst mal in die Stadt eintauchen. «Ich hatte mir vorgenommen, die Stadt zu Fuss zu erkunden, um die Eindrücke fotografisch festzuhalten und dann in Bildern umzusetzen», erzählt sie. Bei der Grösse dauert es natürlich seine Zeit, bis man von A nach B kommt, auch wenn die Künstlerin mal aufs Velo zurückgriff.

Austausch teilweise selbst inszenieren

Der Kanton Zug unterhält ein Wohnatelier in Berlin, um Zuger Kunstschaffenden die Chance eines mehrmonatigen Aufenthaltes in Berlin zu ermöglichen. Damit Johanna Näf von der Jury der Kulturkommission des Kantons Zug ausgewählt wurde, musste sie sich bewerben. «Es ist ein Stipendienaufenthalt. Deshalb musste ich mich nicht mit einem konkreten Projekt bewerben, sondern Begründung und Motivation ausführen. Ich muss aber am Ende einen Bericht abliefern und darlegen, was ich in Berlin gemacht habe», erklärt sie.

Bereits 1999 war Johanna Näf für drei Monate im Zuger Atelier in Berlin, dennoch zog sie es abermals dahin: «Mich interessiert, wie sich in dieser grossen Stadt leben lässt. Die Kultur in Berlin ist vielfältig, man kommt sehr schnell mit vielen Menschen in Kontakt und erlebt einen regen Austausch. Wobei man diesen teilweise selber inszenieren muss», sagt sie.

Atelier und Wohnraum in einem

Unter anderem ist die in Stans geborene Künstlerin bekannt für ihre Plastiken. Diesen konnte und wollte sie sich aber in Berlin nicht widmen. «Einerseits musste ich mir ja überlegen, wie ich die Arbeiten nach Hause bringe», betont sie lachend. Aus dieser Notwendigkeit heraus entschied sie sich, zeichnerisch auf A3-Papier mit Tusche zu arbeiten.

«Andererseits eignet sich dieser Atelierraum, der gleichzeitig als Wohnraum genutzt wird, nicht für dreidimensionale grosse Arbeiten. Es ist in diesem Sinne kein Werkstattraum. Hier wohnen in der Regel Stipendiaten verschiedener Sparten, welche unterschiedliche Bedürfnisse an einen Raum haben», sagt Johanna Näf.

Offenheit der Berliner

Nach einer Eingewöhnungszeit hat sich bei der Künstlerin ein Alltag eingespielt: «Nach dem Frühstück orientierte ich mich im Internet über Neues in der Welt. Danach arbeitete ich an meinen Projekten. Am Nachmittag ging ich jeweils raus, erkundete die Stadt, besuchte Ausstellungen, setzte mich ins Café und beobachtete diskret hinter der Zeitung versteckt die Menschen», verrät sie lachend.

«Am Nachmittag ging ich jeweils raus, setzte mich ins Café und beobachtete diskret hinter der Zeitung versteckt die Menschen.»

Johanna Näf, Luzerner Künstlerin

Fast schon überrascht stellte sie fest, dass die Berliner gar nicht so barsch und schnauzig seien, wie ihnen nachgesagt werde, sondern sehr nett und offen. «Kürzlich hat mir eine junge Frau in einem Restaurant ihren Sitzplatz angeboten, weil ich mit einer Freundin essen wollte und sie nur mit ein paar Freunden zum Apéro da war. Daraus ergab sich ein nettes Gespräch, wir tauschten Handy-Nummern und sie wollte mich unbedingt wieder treffen. Ich hatte während meinem Aufenthalt nie ein schlechtes Erlebnis mit Berlinern», erzählt sie.

Merkel auf dem Kieker

Nach fast zwanzig Jahren führten sie ihre Wege wieder zurück nach Berlin: «Das von mir bewohnte Quartier in Berlin Mitte hat sich seit meinem Aufenthalt 1999 verändert. Es haben sich viele Galerien neu angesiedelt, andere haben dichtgemacht oder ihren Standort gewechselt, sind in ein anderes Quartier umgezogen», beschreibt sie. Im Quartier rund um die Gipsstrasse werde praktisch nur Englisch gesprochen.

«Freunde und Bekannte, die geflohen sind, erzählen immer wieder von der Flucht und von Jahren, die sie im Gefängnis verbrachten.»

Johanna Näf

Vor 18 Jahren hatte sie den Eindruck von einem überalterten Quartier, heute wohnten viele junge Familien mit Kindern da. West-Ost sei aber immer noch ein Thema: «Freunde und Bekannte, die geflohen sind, erzählen immer wieder von der Flucht und von Jahren, die sie im Gefängnis verbrachten.» Die jetzige angespannte politische Situation spürt man in den Gesprächen mit den Berlinern. Angela Merkel werde im Moment ziemlich angegriffen, sagt Johanna Näf.

Rückkehr nach Luzern lange verdrängt

So fasziniert die Künstlerin von der deutschen Hauptstadt ist, bleiben möchte sie nicht. «Ich habe zwar die Heimkehr nach Luzern lange verdrängt, ich freue mich aber, wieder in der Schweiz zu leben. Mein Netzwerk zuhause schätze ich sehr und möchte dieses weiterhin pflegen, was aus der Distanz leider nicht immer machbar war», sagt sie. «Die Offenheit der Berliner werde ich vermissen.»

«Das halbe Jahr hat bei mir schon etwas bewirkt, ich werde freier arbeiten, habe viele Ideen aufgenommen, die ich nun daheim umsetzen werde. Ausserdem habe ich einen etwa fünf Zentimeter dicken Papierstapel geschaffen. Ich möchte auch zuhause mit Papier und Tusche weiterarbeiten, einfach mit anderen Formaten.» Zu sehen werden die Berliner Bilder nächsten Frühling in der Galerie Carla Renggli in Zug sein.

Die Luzerner Künstlerin Johanna Näf im Zuger Atelier in Berlin.

Die Luzerner Künstlerin Johanna Näf im Zuger Atelier in Berlin.

(Bild: zvg)

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