Freilichtspiel vor der Jesuitenkirche

Mit Witz und Glitzer – «Ein Luzerner Jedermann» rockt

Jedermann streitet mit der Buhlschaft (Miriam Joya Strübel).

(Bild: Ingo Höhn)

«Ein Luzerner Jedermann» ist ein Freilichtspiel mitten in der Stadt. Innerschweizer Laientradition erstmals gepaart mit dem Profiensemble des Luzerner Theaters. Dieses Experiment lässt sich sehen, auch wenn es wenig vielversprechend beginnt.

Die Geschichte von Jedermann ist schnell erzählt (siehe Box). Und schnell geht auch der Abend auf dem Jesuitenplatz vorbei. Nach fünf Viertelstunden ist die Bühne wieder leer. Der Teufel mit den letzten Worten «Ich hab genug», abgegangen. Und Jedermann geläutert, in weissem Hemd, Jesus-like mit Gefolge zum Schöpfer aufgefahren.

Grosse Leistung aller Beteiligten

Gesperrte Plätze, Zirkuswagen und ein halber Zug, unzählige Beteiligte, eine Tribüne, die in die Reuss hineingebaut wurde.  Trotz alledem ist der Luzerner Jedermann auf dem Jesuitenplatz kein Freilicht-«Spektakel» geworden. Es ist ein schöner Theaterabend mit einem Hammer-Text, grossartigen Kostümen, stimmiger Musik, einer überzeugenden Besetzung und einer grossen Leistung auf der Bühne. Auf Seiten der Profis wie auch der Amateure. Doch die Wirkung der Kirche, das Spektakuläre der Freilichtkulisse kommt nicht rüber.

Schwacher Start

Die Premierenvorstellung am sommerlich warmen Freitagabend beginnt sehr bescheiden. Nachdem der verspätete Regierungsrat Reto Wyss die Bühne noch für eine kurze Rede nutzt, tröpfeln ein paar wenige «Gaukler» auf den Vorplatz. Zwei Jongleure, drei Einradfahrer und ein Feuerspucker. Auf dem grossen Platz wirken sie verloren. Allgemein ist der Jesuitenplatz keine so gute Wahl wie gedacht. Doch dazu später mehr.

Die ersten Minuten kommt das Stück schwer in Fahrt. Bis zum Schluss fragt man sich, ob man sich erst auf die Sprache einlassen musste oder ob die Tontechnik mit Problemen zu kämpfen hatte? Denn dass Adrian Furrer (als Schuldknecht) dermassen untergeht, ist man nicht gewohnt.

Matthias Schoch als Luzerner Jedermann.

Matthias Schoch als Luzerner Jedermann.

(Bild: Ingo Höhn)

Gute spielerische Leistung

Die Aufführung zeigt, wie intensiv Regisseur Thomas Schulte-Michels mit den Laien gearbeitet hat. Abgesehen von Giulietta Odermatt (als Jedermanns Mutter)* bleiben die Laien jedoch zum grossen Teil Staffage, Dekoration – ein Volk seniler Clowns. Die Laien dienen zu, die Profis tragen das Stück. Und das tun beide Seiten durchs Band überzeugend. Doch man hätte den Amateuren durchaus mehr zutrauen dürfen. Vor allem, wenn man die Zusammenarbeit von Laien und Profis in der Kommunikation so stark hochhält.

Geschichte und das künstlerische Team

Gott hadert mit Jedermann, denn es hapert bei der Nächstenliebe. So wird der Tod entsandt, den knausrigen Verschwender zur Rechen­schaft zu ziehen. Jedermann, der für seine Buhlschaft Unsummen und für seinen in Not geratenen Nächsten kaum einen müden Heller springen lässt, ahnt, dass sein Schuldbuch nicht einfach zu bereinigen ist. Seine Suche nach Geleit schlägt fehl: Sein «treuer» Gesell und sein Vetter verweigern ihm die Gefolgschaft – auch die Buhlschaft, ja sogar der Mammon, der schnöde, verlacht ihn als seinen «Narren» und «Hampelmann». Das Geld, mit dem er seine Welt zu beherrschen vermeinte, hat letztlich ihn selbst regiert. Erst die Schwestern Werke und Glaube bringen Jedermann dazu, sich auf Gott zu besinnen, zu beichten und damit dem Teufel zu entrinnen.

Inszenierung und Bühne: Thomas Schulte-Michels
Kostüme: Tanja Liebermann
Musikalische Leitung: Christov Rolla
Licht: David Hedinger-Wohnlich
Dramaturgie: Friederike Schubert

Den glitzernden Hipster-Macho «Jedermann» gibt der künstlerische Leiter des Freilichtspektakels Zirkus Chnopf, ein charismatischer und energiegeladener Matthias Schoch. Er, wie auch der Tod (Christian Baus) und die beiden Vettern (Jakob Leo Stark und Michel Koppmann), zeigt open air, was er kann. So wie auch Werke (Wiebke Kayser) und Glaube (Sofia Elena Borsani als glitzernde Marlene Dietrich).

Der Liebling des Abends bleibt aber ganz offensichtlich der herausragende Aaron Hitz als Guter Gesell, Teufel und Mammon. Mit seiner Körperlichkeit, mit Witz und Sprache ist Hitz in jeder Rolle ein Highlight.

Brilliant in Musik und Text

Die Musik von Christov Rolla spielt mit Gassenhauern und Whitney Houston und bringt damit ein ganzes Stück mehr Komik in die Inszenierung. Den chorischen Gesang des mehr als 60-köpfigen Ensembles und die Solo-Einlagen hat Rolla für «Jedermann» mit den Darstellern mitreissend erarbeitet.

Die Textbearbeitung von Schulte-Michels jedoch macht das Stück aus. In Reimen, nahe bei Hugo von Hofmannsthal und gleichzeitig noch viel näher an der heutigen Sprache, überrascht der Text und öffnet zahlreiche gesellschaftskritische Bezüge zur Politik und Pop-Kultur.

Genauso wie die Kostüme von Tanja Liebermann, die aus den Hofmannsthal’schen Figuren Rockstars, Clockwork-Orange-Bösewichte oder fette Cheerleader-Glitzer-Puschel machen.

Wieso die Jesuitenkirche?

Trotz aller Highlights bleibt die Inszenierung an einigen Stellen den erwarteten Spektakelcharakter schuldig. Und das liegt wohl vor allem an der Kulisse. Dafür die Jesuitenkirche zu nutzen war eine tolle Idee, die jedoch in der Umsetzung von der gewollten Wirkung wenig zeigt. Das Publikum klebt zu nahe an der Fassade, man nimmt ein paar Türen wahr und Wand. Die Höhe und Grösse des Gebäudes erfasst man nicht.

Toll am Standort ist aber definitiv, dass die Box als sehr stimmig und einladend dekorierte Bar gleich daneben steht. Die nutzt das Publikum am Premierenabend rege. Und das wird sich bestimmt auch die nächsten 20 Vorstellungen nicht ändern.

 

* Korrigendum – Bei Giulietta Odermatt handelt es sich selbstverständlich um einen Profi. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler, der wegen einer falschen Information zustande kam.

Die beiden Vettern, Michel Koppmann und Jakob Leo Stark (v. l.).

Die beiden Vettern, Michel Koppmann und Jakob Leo Stark (v. l.).

(Bild: Ingo Höhn)

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