Die Ikone der Jugendliteratur lebt in Luzern

Ein schnelles, wildes Date mit Federica de Cesco

Federica de Cesco ist dieses Jahr 80 Jahre alt geworden. Tatsächlich.

(Bild: jav)

Federica de Cesco lebt in Luzern, schon eine Weile. Ja, sie schreibt noch. Auch für Erwachsene. Mit 15 Jahren hat sie den ersten Roman geschrieben. Ja, den roten Seidenschal. Heute ist sie 80 Jahre alt. Doch so fühlt es sich bei einem Treffen mit der Bestsellerautorin überhaupt nicht an.

Es ist eine Mischung aus Gehen und Rennen, wie Federica de Cesco an der Luzerner Seepromenade zwischen den Bäumen auftaucht.

Es ist eine Mischung aus Hochdeutsch und Schweizerdeutsch, wie Federica de Cesco spricht, während sie wild gestikuliert und ihre Mimik sich verselbstständigt.

Da sie sich immer breitbeinig hinsetzt, ihre Hände auf die schmalen Oberschenkel stützt, trägt sie seit Jahren keine Röcke mehr. Heute kommt sie in einer Art Boyfriend-Jeans daher. Mit Löchern und ein paar Nieten. Schräg über ihre Schultern hat sie einen hellblauen Pullover und eine Bauchtasche gebunden. Nichts an ihr sagt: Ich bin 80 Jahre alt.

Ein übersprudelnder Kopf

So schnell, wie sie geht, spricht sie auch. Sie liebt es, Anekdoten zu erzählen, von japanischen Trommelritualen, bei welchen die Zikaden ohnmächtig von den Bäumen auf schlafende Kindern fallen. Von den Zeugen Jehovas, die sie in einer Boutique mit Bibelwitzen in die Flucht trieb. Oder die Geschichte, wie sie im Minirock und in roten, kniehohen Stiefeln im Kloster Einsiedeln einen Vortrag hielt und bald schon den Mantel eines Paters angeboten bekam.

Federica de Cesco ist Schriftstellerin durch und durch. Bevor sie sich überhaupt Gedanken über ihre Laufbahn machen konnte, war sie bereits eine Bestsellerautorin. Und seit mittlerweile 18 Jahren wäre sie theoretisch pensioniert. Doch sie sieht keinen Grund, mit dem Schreiben aufzuhören. «Solange die Fantasie nicht ausgeht, kann ich gar nicht aufhören.» Täglich sitzt sie rund vier Stunden am Computer, meist zu Hause in Luzern.

«Ich besuche Schulklassen, schüttle da die Mädchen durch und predige Ungehorsam.»

Rund 90 Bücher hat sie schon zu Papier gebracht. Mittlerweile kommen pro Jahr mindestens zwei dazu. Gerade steht ein Erwachsenenroman mit dem verheissungsvollen Titel «Der englische Liebhaber» vor der Veröffentlichung, sie schreibt an einem Roman über die Sintflut 8000 Jahre vor Christus und der Drehbuchvertrag für eine Spionagekomödie ist ebenfalls unterschrieben.

Die zweifache Mutter und dreifache Grossmutter liebt Spionagefilme und Indianerfilme und vor allem mag sie richtig harte Action-Streifen. «Ich habe meinem Mann schon öfters gesagt, dass ich mich deswegen eigentlich mal auf eine Psychiater-Couch legen sollte», sagt de Cesco lachend.

Eine nostalgische Reisende

Das Reisen gehört zu de Cesco und ihrem Mann, dem Fotografen und Schriftsteller Kazuyuki Kitamura. Malta, Kanada, der Norden, Japan selbstverständlich und oft verbringen die beiden ihre Zeit in London. «Da verschwinden die Touristen im Gewühl», sagt sie. Ein Thema, bei dem die Autorin gerne nostalgisch wird und bewusst auch etwas dramatische Töne anschlägt. «Es ist nicht mehr wie früher», sagt sie und lacht selbst über das Klischee. Die Idylle, die Ruhe sei in so vielen beschaulichen Dörfern und Städtchen vorbei. «Überall überschwemmen Bier trinkende Menschen die Strassen mit Smartphones auf Stecken.»

Sie sei dankbar dafür, all diese kleinen Orte in Italien zum Beispiel noch ohne den Massentourismus erlebt zu haben. «Mitmachen müssen es nun die Einheimischen.» Auch dass deren Bräuche und Feste auf Show getrimmt werden. Wie bei der Fasnacht in Luzern, so de Cesco. «Die Menschen und Städte werden zur Kulisse und Unterhaltung für die Massen. Das ist einfach nur Voyeurismus.» Trotz aller Klagelieder sehe sie die wirtschaftlichen Vorteile aber absolut ein.

Doch nicht nur die alte Art zu reisen, auch eine grundsätzliche Unbeschwertheit sei in der Gesellschaft verloren gegangen, findet die Autorin. Heute dominiere eine Lebensangst. Ein seltsames Gefühl von Weltuntergang, von Terrorismus, Bürgerkriegen und Atompilzen schwebe über der Frage, wie es den eigenen Kindern mal ergehen werde. Sie vermisse die Unbeschwertheit der 70er- bis 90er-Jahre.

Federica de Cesco in Luzern am See.

Federica de Cesco in Luzern am See.

(Bild: jav)

Eine Predigerin des Ungehorsams

Starke Frauenfiguren in der Kinder- und Jugendliteratur waren vor de Cesco ein ziemlich unbekanntes Phänomen. Besonders in der abgeschlossenen Schweiz. Viele Frauen schreiben ihr noch heute, dass sie sich durch ihre Literatur erstmals ernst genommen fühlten. Sie habe einen Beitrag zur Emanzipation der jungen Mädchen geleistet. Bei «Plan International» setzt sich de Cesco seit Jahren für die Bildung von Mädchen ein. «Ich besuche Schulklassen, schüttle da die Mädchen durch und predige Ungehorsam.» Gehorsame Frauen würden mit Füssen getreten, ungehorsame respektiert – so die klare Haltung der Autorin.

«Wenn man etwas kritisieren will, dann muss man es kennen.»

Sie selbst habe das Glück gehabt, mit speziellen Eltern aufgewachsen zu sein. «Mein Vater lebte in den Sternen, er war hochintellektuell. Wir liebten es, gemeinsam Filme im Kino anzuschauen.» Die Liebe zum Kino teilt sie auch mit ihrem Mann. Mehrfach die Woche trifft man die beiden im Bourbaki an.

Ihre Mutter sei mehr damit beschäftigt gewesen, was sie am nächsten Tag anziehen sollte, und weniger damit, sich um den Eigensinn ihrer Tochter zu kümmern. «Niemand hat mir reingeredet in meinen Ungehorsam», sagt sie lachend und das Temperament scheint sich seither keineswegs verändert zu haben.

De Cesco hat neben dem unermüdlichen Schreiben Psychologie und Kunstgeschichte studiert. Doch auch die Philosophie hat es ihr angetan. Jan Assmanns neue Deutungen der «Zauberflöte» liegen aktuell auf ihrem Nachttisch und die Bibel hat sie mehrfach gelesen. «Wenn man etwas kritisieren will, dann muss man es kennen», sagt die Atheistin und lacht. Sie macht sich aber auch gerne über sich selbst lustig. Und über Freudianer.

Eine bekennende Zynikerin

Ruhe ist nichts für die Wahlluzernerin. Täglich joggt und schwimmt sie. Und nicht einmal ihr Mann konnte sie für Meditation begeistern. Obwohl die beiden sonst «genau gleich ticken», wie de Cesco gerne betont. «Vielleicht werde ich mit 90 ruhiger. Vielleicht auch nicht. Vielleicht gibt es mit 90 gar nichts mehr für mich.» Zynisch kommt es daher. Sie ist gerne zynisch, das gibt sie auch sofort zu. Das gehört zu ihrem Charme.

Nur beim Thema Trauer, da hört der Zynismus auf. Da überwiegt der Respekt vor dem Verlust. Sie wolle einmal so sterben wie ihre Mutter, sagt sie lächelnd – am Abend zu Bett gehen und am Morgen nicht mehr aufwachen. Und vorher noch einen Haufen schwarzer Schokolade essen.

Federica de Cesco ist schon fast wieder aufgesprungen. Der nächste Termin wartet. Mit schnellen Schritten und den Händen in den Hosentaschen verschwindet sie auf ihren dünnen Beinen ohne Waden, wie sie sich gerne selbst lustig macht, wieder zwischen den Touristen im Gewühl.

Mehr über die Autorin, und was sie von Harry Potter hält zum Beispiel, gibt es in unseren 50 Fragen an Federica de Cesco.

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