Serie Kulturlokale auf dem Land: Kloster St. Urban

Wie die Lyrik im Kloster ihr Potenzial entfaltet

Im Kloster St. Urban will Ulrich Suter, der seit Jahren die Lyrik-Lesungen koordiniert, nichts von verpassten Chancen hören.

(Bild: ida)

Das Kloster St. Urban ist ein mystischer, beinahe verträumter Ort. Ebenso im Inneren: Einmal pro Monat hoffen Liebhaber der Reihe «Lyrik im Kloster» auf poetische Glücksmomente. Der Organisator der Lesungen erzählt, was ihn an der Aussenseitergattung der Literatur fasziniert und weshalb die Lesungen auch ein Gefühl des Nackt-Seins mit sich bringen.

Eine beinahe unheimliche Stille umhüllt die Anlage des Klosters St. Urban. Es ist ein regnerischer, kalter und grauer Tag. Das Gelände scheint menschenverlassen zu sein – mit einer einzigen Ausnahme. Ulrich Suter läuft vor der Klosterkirche auf und ab.

Ulrich Suter (57) organisiert seit 14 Jahren Lyrik-Lesungen im Kloster St. Urban. An jedem Siebten des Monats finden diese im Abtsaal statt. Ein kontinuierlicher, unermüdlicher Rhythmus, der sich seit Jahren bewährt. Namhafte, aber auch unbekanntere Persönlichkeiten finden hier eine Plattform – an einem Ort, an dem die Lyrik ihr poetisches Potenzial entfalten kann.

Das Kloster St. Urban – ein Ort des Gebetes? Wer jedoch glaubt, hier auf einen Mönch zu treffen, irrt sich gewaltig: Im Jahr 1848 wurde das Kloster durch die Luzerner Regierung aufgehoben. Gut 20 Jahre später wurde es zu einer Irrenanstalt ernannt. St. Urban ist heutzutage Hauptsitz der Luzerner Psychiatrie. Und viele Räume des Klosters werden dafür genutzt.

Lesung in festlichem Ambiente

Städter, die nach St. Urban kommen, lassen die Hektik zurück – die Ruhe des Ortes der ehemaligen Zisterzienserabtei greife über und wirke auf den Besucher, erklärt Ulrich Suter. Und auch die Fahrt aufs Land trägt dazu bei, wenn man schliesslich das in Pfaffnau gelegene St. Urban – im Kantonsdreieck zwischen Luzern, Aargau und Bern – erreicht hat.

Der Abtsaal im Kloster ist pompös. Die hohen Wände sind mit Gemälden verziert. Inmitten des Raumes steht ein grosser Tisch, umgeben von zwölf Stühlen, die von rotem Samt überzogen sind.

Der Abtsaal strahlt Wärme aus. Und Ruhe. Zugleich ist es ein Kraftort – und viele Dichter würden sich von den Gegebenheiten des Ortes inspirieren lassen, so Suter.

Der prunkvolle Abtsaal im Kloster St. Urban, in dem die lyrischen Lesungen stattfinden.

Der prunkvolle Abtsaal im Kloster St. Urban, in dem die lyrischen Lesungen stattfinden.

(Bild: ida)

Die Lyrik, ein Aussenseiter

Ulrich Suter liegt es am Herzen, der Aussenseitergattung Lyrik Raum zu geben. «Es ist mir wichtig, etwas zu tun, damit Lyrik regelmässig gehört und vorgelesen wird», sagt Suter.

«Ich habe mich immer gefragt, wie wohl Friedrich Hölderlin seine eigenen Gedichte vorgetragen hätte.»

Ulrich Suter, selbständiger Kulturvermittler

Autoren bekommen im Kloster St. Urban eine Stimme. Eine Stimme, die gehört wird – im Originalton, was verstorbenen Schreibenden ja nicht mehr möglich ist. So auch bei Friedrich Hölderlin, der zu den bedeutendsten Lyrikern des 19. Jahrhunderts gehörte. «Ich habe mich immer gefragt, wie wohl Friedrich Hölderlin seine eigenen Gedichte vorgetragen hätte», meint Suter.

Dass dies zeitgenössischen Autoren ermöglicht wird, dafür sorgt Suter. Neben den Lyrik-Lesungen im Kloster engagiert er sich mit viel Passion und Hartnäckigkeit für verschiedene andere Projekte. So programmiert er auch den Seetaler Poesiesommer oder das Europawäldli Beromünster.

«In der Kultur gibt es zu viele Abweisungen für Kulturschaffende.»

Ulrich Suter

Suter gibt nicht nur bekannten Persönlichkeiten eine Plattform. «Ich probiere eigentlich, möglichst wenig Nein zu sagen», meint Suter lachend. Und zugleich schüttelt er den Kopf: «In der Kultur gibt es zu viel ‹Nein›, zu viele Abweisungen für Kulturschaffende.»

Serie: Kultur abseits der Stadt

In einer Serie stellt zentralplus Luzerner Kulturräume vor, die von Städtern oft links liegengelassen werden. Zu Unrecht, denn die Kultur auf dem Land ist lebendig, vielfältig und findet an charmanten Orten statt.

Die nächsten drei lyrischen Veranstaltungen im Kloster St. Urban: Montag, 7. Mai: Corinne Verdan-Moser/Barbara Traber (Chardonne/Worb). Donnerstag, 7. Juni: Gerold Ehrsam (Liestal). Samstag, 7. Juli: Li Mollet (Spiegel bei Bern). Beginn jeweils um 17 Uhr im Abtsaal. Treffpunkt vor der Klosterkirche.

Suter spricht von «verpassten Chancen». Denn zu vielen Autoren fehlt die Möglichkeit, öffentlich wahrgenommen zu werden. Sie werden bei Verlagshäusern abgewiesen, viele Texte nicht gedruckt. In St. Urban werden auch unveröffentlichte Manuskripte vorgelesen, um – wenn auch von einer beschränkten Öffentlichkeit – gehört zu werden.

Das Besondere an der Lyrik

Über 200 Autoren bekamen bis anhin die Möglichkeit, im Kloster ihre Gedichte vorzulesen. «Jede Lesung hat ihren eigenen Charakter», so Suter. Und: «Ich möchte mir nicht anmassen, zu sagen, was gute und was schlechte Lyrik ist.»

«Einen poetischen Moment kann man überall und jederzeit erleben – gar im Mathematikunterricht.»

Ulrich Suter

Einen Stift könne man neutral, wissenschaftlich, aber auch lyrisch beschreiben, erklärt Ulrich Suter. Eine genaue Definition für den Begriff der Lyrik zu finden, sei schwierig. «Einen poetischen Moment kann man überall und jederzeit erleben – gar im Mathematikunterricht.» 

Suter fasziniert an der Lyrik besonders die Reduktion auf das Wesentliche, die Entfaltung des «unerhörten» Potenzials. «Die Kunst ist es, mit wenig Worten viel zu sagen.» 

Wo Raum und Kultur im Einklang sind

«Es braucht viel Mut, Lyrik vor einem Publikum vorzutragen», meint Suter. «Denn es beinhaltet eine gewisse Nacktheit.» Ein Gedicht, das man zu Hause vortrage, habe nicht dieselbe Wirkung, wie wenn man es öffentlich vor einem Publikum vorlese.

Und gerade bei lyrischen Gedichten spielt der akustische Teil eine essenzielle Rolle. «Lyrik ist nahe an Musik.» Je nachdem, wie ein Text vorgetragen und artikuliert wird, erscheint er auch anders.

Den Klängen lyrischer Gedichte zu lauschen, dies ist im Kloster St. Urban möglich. In einer Randregion im Luzernischen, irgendwo im Nirgendwo, wie es scheint. An einem Ort der Stille, an dem der Lyrik eben noch zugehört wird. Wo Raum und Kultur Hand in Hand gehen. Und gerade das bekommt die Kultur, die hier gelesen wird, auch zu spüren.

Denn die Lyrik ist eine besondere Art der Kultur. Eine Kultur, die das Rampenlicht nicht sucht.

Ulrich Suter, Organisator der «Lyrik im Kloster», im Abtsaal.

Ulrich Suter, Organisator der «Lyrik im Kloster», im Abtsaal.

(Bild: ida)

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