Vorstadtlegende «Liliom» im Luzerner Theater

Bühne frei für den Rand der Gesellschaft

Liliom findet sich zwischen den zwei Frauen wieder, entweder Arbeit oder Familie. (v.l. Frau Muskat (Verena Lercher), Liliom (Jakob Leo Stark), Julie (Wiebke Kayser).

(Bild: Ingo Hoehn)

Es wird geschlagen, geliebt und gestohlen – obwohl dies niemand zuzugeben vermag. Verträumt lebendig, brutal gefühlvoll und gespickt mit humoristischen Pointen inszeniert das Luzerner Theater die Misere des Ringelspielausrufers Liliom und seiner Julie. Mit wippendem Fuss gibt die Gesellschaft den Takt an und lässt alle anderen Rhythmen taktlos fallen.

Ein süsser Popcorn-Duft liegt in der Luft, als das Luzerner Theaterpublikum in den Schauspielsaal strömt. Die Leute suchen ihre Plätze, setzen sich und unterhalten sich rege miteinander, bis eine freundliche Mundharmonikastimme sie allmählich übertönt. Spielend tritt ein grosser, junger Mann auf die Bühne.

Es ist der Rummelplatz-Ausrufer Liliom, gespielt von Jakob Leo Stark. Er trägt einen dunklen Anzug, ein abgetragenes weisses Unterhemd, eine bordeauxrote Strickmütze und einen Dreitagebart.

Zuerst noch etwas schüchtern und zögernd, immer wieder kontrollierend auf das Instrument blickend, um auch die richtigen Töne zu treffen, wird er langsam lockerer, spielt freier, fängt freudig an zu tanzen und zu springen, bis die Musik seinen Körper ganz erfasst. Und da wird auch er übertönt von melancholischen, jahrmarktmässigen Akkordeonklängen.

Wer nicht passt, kommt unter die Räder

Die Rummelplatzbesucher verteilen sich allmählich auf der Bühne und wippen mit dem ganzen Körper zur traurig-schönen Melodie. Jeder steht für sich alleine, ist von den anderen abgewandt und starrt erhobenen Hauptes in die hoffnungslose Leere. Nur Liliom und Julie wippen nicht mit, wippen anders.

Liliom ist nicht nur ein fauler Hund, zieht um die Häuser, spielt Karten und trinkt, sondern schlägt seine Julie auf brutalste Weise.

Mit diesem starken ersten Bild eröffnet die Regisseurin Nina Mattenklotz das Stück und setzt den Fokus auf ein Wechselspiel der Perspektiven. Ihr gelingt es dabei, das tragische Einzelschicksal Lilioms und Julies an den gesellschaftlichen Strukturen aufzureiben, ohne die Gewalttätigkeit Lilioms zu entschuldigen.

Ein starkes Paar

Der Vorstadt-Hallodri Liliom hat nämlich gerade seinen Job als Ausrufer beim Ringelspiel von Frau Muskat verloren und lebt mit seiner Freundin Julie bei deren Verwandtem Herrn Hollunder (Yves Wüthrich) auf Pump.

Liliom ist nicht nur ein fauler Hund, zieht um die Häuser, spielt Karten und trinkt, sondern schlägt seine Julie auf brutalste Weise. Als diese ein Kind von ihm erwartet, lässt er sich von Ficsur (Christian Baus) zu einem Raubüberfall verleiten, welcher jedoch misslingt.

Dabei nimmt sich Liliom das Leben, erhält aber 16 Jahre später noch einmal die Chance, auf die Erde zurückzukehren und noch einmal etwas Gutes zu tun. Mit Jakob Leo Stark als Liliom und Wiebke Kayser als Julie gelingt dem Team eine hervorragende Besetzung der beiden Hauptrollen.

Liliom sucht verzweifelt Julies Hand (Wiebke Kayser).

Liliom sucht verzweifelt Julies Hand (Wiebke Kayser).

(Bild: Ingo Hoehn)

Eifersüchtige und romantische Frauen

Stark, der bereits als Ruprecht in der Kleist-Adaption «Der unzerbrochene Krug» mit vollem Körpereinsatz überzeugte, brilliert in der Rolle des ungehobelten und sturen Liliom nicht nur mit seiner versierten Mimik und Gestik. Er schafft es auch, die innere Zerrissenheit von Liliom, welcher gleichzeitig sowohl schutzsuchend als auch abweisend ist, als existentielles Dilemma darzustellen.

Komödiantische Szenen verschaffen der tragischen Geschichte Vitalität und Hoffnung. Und das braucht sie auch.

Kontrastiert wird der raue, laute Liliom von der zierlichen, verträumten Julie. Wenn dieser sie mit seiner groben Art packt, ähnelt sie einer kleinen, zerbrechlichen Puppe. Kayser spielt die Julie als eine selbstbewusste, neugierige, freche und kecke junge Frau, die sich weder von der naiv romantischen Freundin Marie (Stefanie Rösner) noch von der eifersüchtigen Frau Muskat (Verena Lercher) vereinnahmen lässt. Julie hält zu Liliom, trotz allem.

Humorvolle und feinsinnige Dialoge

Die Inszenierung folgt in knapp zwei Stunden sehr textnah der von Alfred Polgar ins Deutsche übersetzten Bühnenfassung. Mattenklotz zeigt dabei ein gutes Gespür für die humoristischen Pointen des Textes und vermag, genau diese Szenen herrlich unterhaltend und abwechslungsreich leichtfüssig zu inszenieren.

Für einige Lacher sorgt nicht nur der kaltschnäuzige Schutzmann (Michel Kopmann), der für seinen Auftritt im Jenseits von der Kostümbildnerin Lena Hiebel ein paar Engelsflügel verpasst bekommt, sondern auch der herumstreunende und niederträchtige Ficsur.

Liliom im Kommissariat des Jenseits.

Liliom im Kommissariat des Jenseits.

(Bild: Ingo Hoehn)

Schwere Kost

Mit seinem «Sag mir Quando, sag mir wann»-Gesinge verdeckt er dabei gerne die verbrecherischen Pläne und konterkariert besonders schön mit dem Moralprediger Hollunder (Yves Wüthrich).

Diese komödiantischen Szenen verschaffen der tragischen Geschichte Vitalität und Hoffnung. Und das braucht sie auch. Denn sie regt auf jeden Fall zum Denken an. Gerade, wenn Liliom wieder einmal austickt, die zierliche Julie mit voller Gewalt an die Wand schlägt und man gleichzeitig im Hintergrund den Satz liest: «Gott ist gut.», ist das schon ziemlich schwere Kost, die man nicht so leicht verdaut.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon