Akku Emmen: Sichtbarmachung von Handlung

Kunst zum Schmecken, Schauen und Staunen

Vernissagebesucher Micha stellt erstaunt fest, dass das Werk von Jonas Etter auf dem Boden tatsächlich aus Zucker besteht.

(Bild: Marlis Huber)

Mit vier ehemaligen Absolventen feiert die Hochschule Design und Kunst in der Kunstplattform «Akku» ihr 140-Jahr-Jubiläum. Die letzte Ausstellungsserie stellt «Sichtbarmachung von Handlung» ins Zentrum und bringt Erstaunliches zutage.

Die Hochschule Kunst und Design feiert Geburtstag. 1877 aus der Luzerner Zeichenschule hervorgegangen, ist sie die älteste Design- und Kunstschule der Deutschschweiz und hat in den vergangenen 140 Jahren unzählige Kunstschaffende hervorgebracht.

Was liegt näher, dieses Jubiläum mit hauseigenen Künstlern und Künstlerinnen zu begehen? Unter dem Titel «Fortsetzung folgt» ist am Freitag in der Kunstplattform Akku in Emmenbrücke die dritte und letzte Ausstellung eröffnet worden.

Die Kuratorin Lena Friedli begrüsst die Besucher im Akku Emmen.

Die Kuratorin Lena Friedli begrüsst die Besucher im Akku Emmen.

(Bild: Marlis Huber)

«Der Schwerpunkt der letzten Serie ist auf das Sichtbarmachen von Handlungen und Prozessen gelegt», sagte Kuratorin Lena Friedli an der gut besuchten Vernissage und stellte die vier Kunstschaffenden kurz vor. Es sind allesamt ehemalige Absolventen der Luzerner Kunstschule.

Mit Jonas Etter (*1981), Martina Lussi (*1986), Peter Roesch (*1950) und Roman Signer (*1938) werden drei Generationen von Künstlern vorgestellt — wobei die Kunst des Ältesten Signer durchaus etwas Lausbubenhaftes an sich hat.

Roman Signer liebt nicht nur Explosionen

Aktions- und Performancekünstler Signer liebt zwar den Sprengstoff, aber nicht nur. Denn hinter den Explosionen steht unkonventionelles Experimentieren; seine Kunstwerke sind ein eigentliches Sichtbarmachen von physikalischen oder chemischen Gesetzen.

Der inzwischen 79-jährige international bekannte Ostschweizer, der lieber Stühle in die Luft jagt oder sich in einer Kiesgrube lebendig begräbt als still im Atelier zu malen, hat mit sieben Videos eine Auswahl seiner Arbeiten zusammengestellt.

Der älteste Künstler, Roman Signer, ist mit sieben Videos an der Ausstellung vertreten.

Der älteste Künstler, Roman Signer, ist mit sieben Videos an der Ausstellung vertreten.

(Bild: Marlis Huber)

Im Video «Beim Radiosender Beromünster» von 2008 etwa lässt er eine Leuchtstoffröhre scheinbar von Geisterhand tanzen. Tatsächlich machte Signer jedoch den in Beromünster wegen des ehemaligen Landessenders problematisch hohen Elektrosmog sichtbar. Das ist typisch für seine Arbeiten, in denen er unsichtbare Kräfte in erfahrbare Transformationsprozesse verwandelt.

Körperlichen Einsatz prägen Schaumstoffobjekte

Bei den fünf Objekten aus Schaumstoff von Martina Lussi hat der Herstellungsprozess deutliche Spuren hinterlassen: Aus Schaumstoffresten hat sie mittels Gips und der Kraft ihres eigenen Körpers skulpturale Formen gepresst. Sie verharrte in der jeweiligen Position so lange, bis der Gips ausgehärtet war.

Objekte aus Schaumstoff von Martina Lussi.

Objekte aus Schaumstoff von Martina Lussi.

(Bild: Marlis Huber)

Die entstandenen Objekte sind somit sichtbar gewordene Handlung. Die Künstlerin absolvierte die Hochschule Design und Kunst von 2008 bis 2011 und arbeitet nun in ihrem Atelier in der Viscosistadt an ihren Objekten, Klanginstallationen und Videos. In der Videoarbeit «Komposition für Sodolith» etwa verschmelzen Hände und Musik in einer Art rhythmischen Atmunsgbewegung.

Links das Werk «Diogenes der Hund», rechts das Werk «Eros» von Peter Roesch.

Links das Werk «Diogenes der Hund», rechts das Werk «Eros» von Peter Roesch.

(Bild: Marlis Huber)

Scheinbar Unfertiges birgt überraschenden Sinnzusammenhang

Peter Roesch, der dieses Jahr von der Stadt Luzern mit dem Kunst- und Kulturpreis ausgezeichnet wurde, ist mit mehrheitlich grossformatigen, farbig leuchtenden Bildern vertreten. Er besuchte in den 70er-Jahren die Luzerner Kunstgewerbeschule.

Bevor Öl als Farbträger den Farbpigmenten beigemischt wurde, dienten Eier als Bindemittel für die Herstellung von Farben. Diese wurden wegen ihrer Leuchtkraft und Langlebigkeit über lange Jahrhunderte geschätzt; das zeigt auch Roesch mit seinen aktuellen Bildern. Doch nicht nur mit den Farben bezieht er sich auf Zurückliegendes.

Martina Lussis Werk: Hände und Musik verschmelzen in rhythmischen Atmungsbewegungen.

Martina Lussis Werk: Hände und Musik verschmelzen in rhythmischen Atmungsbewegungen.

(Bild: Marlis Huber)

Das Bild mit dem Titel «Diogenes der Hund», mag mit den roten Kringeln, die sich in der unteren Bildhälfte in schattenhafte Andeutungen verlieren, zunächst einfach nur unfertig wirken. Die Wörter «Diogenes der Hund redet … – Alexander in der Sonne stehend» verweisen, zwar etwas ratlos, auf das berühmte Treffen zwischen dem in der Tonne lebenden Philosophen und dem Feldherren Alexander.

Erst das längere Betrachten stellt zwischen den Wörtern, dem farbigen (von der Sonne beschienenen) Teil und dem farblosen (schattigen) Teil einen überraschenden Sinnzusammenhang her zum überlieferten Wortwechsel der beiden Männer.

Eigenwillige Anknüpfung an die Interieur-Malerei

Der Berner Jonas Etter hat wie Lussi von 2008 bis 2011 in Luzern studiert und lebt heute in Zürich. Er experimentiert mit alltäglichen und an sich kunstfernen Materialien. Wie dem Zucker. Im Werk «Dawn» etwa lässt Etter den Besucher an der Dämmerung teilhaben: Langsam tröpfelt flüssiger Zucker von den Leuchtstoffröhren auf den Boden. Infolge von Wärme und Luftfeuchtigkeit gewinnen die Leuchtstoffröhren, die er vorgängig mit gebranntem Zucker präparierte, ihre ursprüngliche Leuchtkraft zurück.

Micha, der aus Zug an die Vernissage kam, prüft die dunklen Spuren am Boden: «Tatsächlich ist das gebrannter Zucker», stellt er verblüfft und belustigt fest. Die riesige eingekleisterte Stellwand mit unzähligen Kritzeleien hingegen kann als eigenwillige Anknüpfung an die Tradition der Interieur-Malerei verstanden werden. Denn mit seinen über mehrere Jahre gesammelten To-do-Listen lässt er, wie einst die Interieur-Malerei, einen intimen Einblick ins Private zu.

Eigenwillige Interpretation von Interieur-Malerei von Jonas Etter.

Eigenwillige Interpretation von Interieur-Malerei von Jonas Etter.

(Bild: Marlis Huber)

Zusammenarbeit mit Kunstmuseum Luzern

Parallel zu der Ausstellung im Akku stellt das Kunstmuseum Luzern mit Werken von Anton Egloff (*1933), Filib Schürmann (*1976) und Katharina Anna Wieser (*1980) drei weitere Absolventen der Luzerner Kunstschule aus.

Beide Ausstellungen dauern bis am 7. Januar 2018. In Emmenbrücke laden Rahel Lüchinger und Elia Malevez am 14. Dezember zu einem experimentellen Ausstellungsrundgang ein und am 7. Januar führt die Kuratorin Lena Friedli durch die Ausstellung.

Einige der Vernissage-Besucher im Akku Emmen.

Einige der Vernissage-Besucher im Akku Emmen.

(Bild: Marlis Huber)

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