Die Festival Strings Lucerne eröffnen ihre Saison

Ein schelmischer Star-Schlagzeuger und eine Überraschung im KKL

Die Musiker um den Konzertmeister und künstlerischen Leiter Daniel Dodds (links) eröffneten am Freitag ihre aktuelle Saison im KKL.

(Bild: Gabriel Ammon/AURA)

Die Festival Strings Lucerne starten in ihre neue Saison im KKL. Ein Schlagzeugfeuerwerk, Bläser und eine Kinderüberraschung prägten das Eröffnungskonzert.

In Luzern ist irgendwie immer Festivalzeit. Und wem selbst Oster-, Piano- und Lucerne Festival nicht genug sind, der darf sich seit 2003 auf die jährliche Konzertreihe der Festival Strings Lucerne freuen. Die Musiker um den Konzertmeister und künstlerischen Leiter Daniel Dodds eröffneten am Freitag ihre aktuelle Saison im KKL.

Das zarte «Adagio pour Quatuor d’Orchestre» des belgischen Komponisten Guillaume Lekeu leitete das Programm ein. Lekeu stellt seinem Adagio von 1891 ein Zitat des französischen Symbolisten Georges Vanor voran: «Les fleurs pâles du souvenir». Dessen Dichtung kam in der Pariser Musikszene seiner Zeit gut an und inspirierte nicht nur Lekeu, sondern auch Claude Debussy und Gabriel Dupont.

Betont der Anfang sehnsüchtig und traurig die vergangene Erinnerung, kommt sie im Mittelteil wärmer und fröhlicher daher. Die Violinen schwelgen heiter in den Melodien, unter ihnen belebte pizzicati der tiefen Streicher. Eben diese pizzicati wenden die Musik dann aber zum Ende wieder ins Düstere zurück, ein eleganter Kunstgriff Lekeus, feinfühlig von den Strings umgesetzt.

Schlagwerkkonzert? «Horror»

Der grösstmögliche Bruch auf diese ätherische Musik ist das sich anschliessende Schlagwerkkonzert des Amerikaners John Corigliano. Nur wenige Komponisten haben bisher den Versuch unternommen, einen Schlagzeuger mit der Aufgabe der melodischen Führung eines Orchesterwerks zu versehen. Die Dutzenden verschiedenen Schlaginstrumente haben üblicherweise nur unterstützende Funktion und geben dem Orchester Farbe und gelegentlich einen Spritzer Strahlkraft. Corigliano nahm 2007 einen Kompositionsauftrag für ein Schlagwerkkonzert an. Seit Jahrzehnten ist er gefragter Komponist und gewann mehrere Emmys und einen Oscar für seine Musik. Trotzdem sei nach eigener Auskunft die Herausforderung, ein Percussion-Konzert zu schreiben für ihn «Horror» gewesen.

Demgegenüber betrat der Percussion-Solist Martin Grubinger die Bühne mit der ihm eigenen sichtbaren schelmischen Vorfreude. In der letzten Saison war er Artist in Residence beim Tonhalle-Orchester Zürich – solche Positionen werden nur selten an Schlagzeuger vergeben. Sein voller mentaler und körperlicher Einsatz macht die Liveauftritte zu einem Erlebnis. Dazu hat er eine unbändige Freude am gemeinsamen Musizieren: In Zürich schrieb er diesen Sommer die Solo-Kadenz des für ihn von Peter Eötvös komponierten Konzerts kurzerhand für drei Schlagzeuger um, weil er seine liebgewonnenen Percussion-Kollegen vom Tonhalle-Orchester gerne beteiligen wollte.

Dialog der Trommeln

Corigliano entwickelt sein Konzert evolutionär. Im ersten Satz «Wood» treten zu den ungestimmten Geräuschen aus 15 verschiedenen Holzgegenständen nach und nach Xylophon und weitere temperierte Instrumente hinzu. Trotz der limitierten Möglichkeiten der Melodieführung durch Schlaginstrumente, entwickeln sie das musikalische Material und das Orchester folgt. Nach Corigliano werden die Melodien weniger «vorgestellt», wie es in der klassischen Musik heisst, sondern vom Solisten «beschworen». Grubinger verhielt sich seinen Instrumenten gegenüber tatsächlich schamanisch: Er fokussiert sie mit einer Spannung und Konzentration, als tönten sie von selbst und nicht nur dann, wenn er sie anschlägt. Als Konzession gegenüber der wilden Rhythmik stabilisieren die Streicher den ganzen Satz harmonisch durch eine feste Quintbeziehung.

Der zweite Satz «Metal» stellt die Möglichkeiten der Metallophone aus. In der Kadenz zum Anfang kreischen Becken und Tamtam auf, die meiste Zeit aber gestalten Vibraphon und Glockenspiel ruhige Phrasen. Im dritten Satz «Skin» stehen die Trommeln im Mittelpunkt. Die afrikanische «Talking Drum» kann während des Spielens ihre Tonhöhe verändern und klingt in einigen Tonlagen wie die menschliche Stimme. Mit ihr tritt Grubinger in einen Dialog mit einer Kickdrum ein, der sich stetig beschleunigt. Für das grosse Finale rotiert er schnell und effektvoll über vielen Pauken und Tom Tom.

Bläser nicht voll unter Kontrolle

Vor dem Abschluss durch Felix Mendelssohn-Bartholdys «Italienische» wandte Dodds sich mit einer Überraschung an das Publikum. Im Sommer luden die Festival Strings Kinder und Jugendliche zu einer intensiven Probewoche ein. Weil dem Orchester und den jungen «Talent Strings» die gemeinsame Arbeit gut gelang, wollten sie ihr Ergebnis würdig präsentieren. Also füllte sich die Bühne schnell mit den Strings und ihren Schützlingen, die gemeinsam eine Bach’sche Fuge in einer Bearbeitung von Gustav Holst präsentierten, die ihnen glückte. Gut möglich, dass manche von ihnen diese Bühne nicht zum letzten Mal betreten haben.

Der überschwänglichen Freude Mendelssohns vierter Sinfonie kann sich niemand entziehen. Gleich zu Anfang spielen die Streicher ihre hinreissenden Melodien über den eleganten Achteln der Bläser in A-Dur. Die Musik ahmt keine Szenerie nach, ist also keine Programmmusik über Mendelssohns offenbar berauschende Italienreise, trotzdem ist die davon ausgehende Lebensfreude mit der Bezeichnung «Italienisch» treffend beschrieben. Um sich als Zuhörer vollends zurückzulehnen, wäre an dieser Stelle jedoch die leitende Hand eines Dirigenten von Vorteil gewesen. Dodds hat vom ersten Pult seine Streicher noch gut im Griff, das Zusammenspiel mit den Bläsern aber nicht voll unter Kontrolle. Die Tempi und fragilen Arrangements der Ecksätze machen es dem Ensemble hier nicht gerade leicht. Weil das aber der Spielfreude der Luzerner Streicher keinen Abbruch tat, drang die Italianità doch zu allen durch.

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