Baar: Schlagerabend mit Boney M und Francine Jordi

«Jetzt wott i ou mit üch schunkle!»

Anhängen bitte: Fröhliche Gesichter beim Schlagerabend in Baar.

(Bild: zvg)

Helene Fischer füllt ganze Hallenstadien, im Aprés-Ski ist auch nach zwanzig Jahren noch die Hölle, Hölle, Hölle los und Oktoberfeste boomen. Irgendwas muss also dran sein an dieser Schlagermusik. Wir haben uns beim Schlager-Benefiz-Abend in Baar mit Boney M. und Francine Jordi in die Menge gestürzt.

Das Publikum johlt, singt laut mit, klatscht nicht peinlich berührt, sondern voller Enthusiasmus und im Takt, der Saal ist rappelvoll. Wir sind nicht bei Justin Bieber, auch nicht bei One Direction, nein, wir sind – als triefend blutige Anfänger – auf einer Schlagerparty.

Es ist erst 20 Uhr, so viel Alkohol kann also gar noch nicht geflossen sein. Doch die Hüften schwingen bereits, die Hände sind oben, die gute Laune scheint bereits Einzug gehalten zu haben in der Waldmannhalle in Baar. Hier findet heute eine Benefizveranstaltung zugunsten der Kinderkrebshilfe Schweiz statt.

Und weil wir nicht als Anfänger auffallen wollen, steuern wir gleich auf ein Paar zu – ein sehr altes Paar. Denn wir wollen der Sache auf den Grund gehen. Der ganzen Schunkelei, den hämmernden Bässen, ja, dem ganzen Mythos Schlager. Die alte, gebeugte Dame in Rosa erklärt uns denn auch mit leuchtenden Augen, dass sie ein Fan der Wildecker Herzbuben sei. Und wir nicken, als wüssten wir, von wem die Frau redet, und wünschen ihr viel Vergnügen.

Schlager als Gute-Laune-Garant.

Schlager als Gute-Laune-Garant.

(Bild: zVg)

Und schwupps sind wir in der Schlagerszene

Ein Herr in rotem Hemd und Leopard-gemusterten Hosenträgern gibt preis, dass er sich besonders auf Francine Jordi freut. Ob er sich denn schon ein Autogramm von ihr gesichert habe, wollen wir wissen. – Jordi steht nämlich bereits an ihrem Merchandising-Tisch und strahlt wie ein Maienkäfer in Handykameras und Fangesichter. «Nein», sagt der Hosenträgertragende, und weil er und seine männlichen Kollegen etwas gar scheu wirken, nehmen wir die Sache in Angriff und organisieren vier Autogramme von Francine Jordi.

Womit wir uns gleich unverhofft den Weg in die lokale Schlagerszene bahnen. Denn die gerührten Jordi-Fans bieten uns während des Abends immer wieder Wein und Kafi Schnaps an. Das war ja einfach. Und gerade noch rechtzeitig. Denn jetzt geht’s los. Ein Schlagerpaar trällert von Liebe, von Elfen, davon, gemeinsam zu fliegen. Und die peinliche Berührtheit, die wir befürchtet hatten, bleibt aus. Vielleicht, weil man sich hier so offen zum Schlager, Dirndl und guter Laune bekennt.

Ein Wurm zieht durch die Menge: An der Polonaise kommt kaum einer vorbei.

Ein Wurm zieht durch die Menge: An der Polonaise kommt kaum einer vorbei.

(Bild: zVg)

Heile Welt statt Sarkasmus

Den Sarkasmus lässt man bei Schlagerpartys nämlich zuhause. Hier, so scheint es, sind wir im sicheren Hafen der heilen Welt gelandet. Und der fühlt sich gar nicht so schlecht an. Keiner geniert sich für sein Schunkelbedürfnis, mittlerweile tanzt bereits der eine oder andere zwischen den Bänken. Und es sollten bald mehr werden. (Etwa der Baarer Gemeinderat Pirmin Andermatt, der als Ehrengast mit dabei ist.) Die dumpfen Bässe dröhnen durch die Sporthalle, «Wollt ihr noch mehr?!», ruft es von der Bühne, «Jaaaaaa!» brüllt es allerseits. Nicht halbherzig, nein, voller Inbrunst und Einigkeit.

Vom siebenjährigen Mädchen im Sennenhemd bis zur 90-Jährigen sind alle vertreten. Ganze Sippen haben ihren Familientürk hierher verlagert. Eine Baarer Grossfamilie besetzt gleich eine ganze Tischreihe mit sechs Söhnen, Onkeln, Tanten und Grossmüttern. Die Teenager sind schon mächtig gut drauf und tanzen bereits wie wild. «Diese Musik begleitet uns schon, seit die Kinder klein sind. Und nun sind wir hier, um diese Lebensfreude zu geniessen», erklärt deren Mutter.

Auch jüngere Semester erfreuen sich an der Schlagermusik.

Auch jüngere Semester erfreuen sich an der Schlagermusik.

(Bild: zVg)

Herzbuben, Ohrwürmer – und eine strahlende Rentnerin

Währenddessen haben sich zwei musikalische und physische Schwergewichte auf die Bühne begeben. Zur Freude der älteren Dame in Rosa sind es die Wildecker Herzbuben, die mittlerweile auch schon im Pensionsalter angekommen sein dürften. Mit «Herzilein, du musst nicht traurig sein» erobern die zwei Männer den Saal im Sturm. Die erste Reihe stellt sich auf die Bänke, wippt und singt mit. Diese ungeteilte Euphorie ist faszinierend. – Und ja, auch etwas ansteckend. Als der korpulente Herzbube beginnt, Opernstücke, Joe Cocker und gar Queens «I want to break free» zu singen, tobt die Halle. Die Polonaise zieht sich wie ein Bandwurm durch den Raum, das Publikum scheint musiktechnisch adaptierfähig zu sein.

Zur Freude der Dame in Rosa und ihres zuvor etwas apathisch wirkenden Mannes wechseln die Herzknaben jedoch geflissentlich wieder ins Volkstümliche. Freudig beginnt das Paar, auf seinen Stühlen zu wippen. Und dann packen sie leuchtende, batteriebetriebene Windrädchen aus und halten sie strahlend in die Höhe. Im Gesicht des Ehepaars zeichnet sich schieres Glück ab.

Die Wildecker Herzbuben können einige Herzen im Saal erobern.

Die Wildecker Herzbuben können einige Herzen im Saal erobern.

(Bild: zVg)

Und dann ist es soweit: Boney M. betritt die Bühne. – Jedenfalls, was davon übrig blieb. Also die Sängerin Liz Mitchell und ihre neue Band. Wir erinnern uns an unauslöschbare Ohrwürmer wie «The Rivers of Babylon» und an seltsame Albumcovers. Nun steht die Band hier in Baar auf der Bühne, macht gute Stimmung, auch wenn alle Mitglieder mittlerweile etwas ins Alter gekommen sind. Den Leuten ist’s egal.

Zur Erinnerung: So sah das vor dreissig Jahren aus bei Boney M.:

Ein bisschen wie in der Masoala-Halle

Nach einer halbstündigen Pause – die dröhnenden Ohren danken es – tritt Francine Jordi auf. Gibt sich volksnah, schlendert durch die Menge, umarmt den einen oder anderen, lässt die grössten Fans selbst singen, ruft «Jetzt wott i ou mit üch schunkle!», und tut es denn auch ausgiebig. Und immer wieder kichert sie mädchenhaft, was sie sowohl sympathisch macht als auch als Beweis dient, dass hier nicht Playback gesungen wird.

Der Schweizer Hauptact Francine Jordi gibt sich volksnah.

Der Schweizer Hauptact Francine Jordi gibt sich volksnah.

(Bild: zVg)

Der Stimmungszenit ist erreicht, und wir fühlen uns ein wenig wie in der Masoala-Halle. Es ist heiss und schwül hier drinnen, und wir sind umgeben von einer faszinierenden, unbekannten Spezies. Doch so richtig unsere Kultur ist’s halt doch nicht. Und wir sind froh, als wir später in die frische Nachtluft treten. Ganz ohne Tinnitus.

 

Weitere Bilder des Anlasses finden Sie in unserer Bildergalerie:

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