Wenn die Tanzkarriere in Luzern endet

«Ich sah das Ende vor mir – dann diese Explosion!»

Probepause: Salome Martins (links) und Rachel Lawrence auf der Südpol-Terrasse.

(Bild: jwy)

Tanzen kann man nicht ewig. Rachel Lawrence und Salome Martins hören nach acht Jahren im Ensemble des Luzerner Theaters auf. Ähnlich wie bei Profisportlern stellt sich deshalb früh die Frage: Was kommt nach der Karriere?

Mit «Dancemakers Series #8» im Südpol steht die letzte Tanzaufführung der Luzerner-Theater-Saison an. Mit dem Saisonabschluss gibt’s auch Veränderungen im Ensemble: Rachel Lawrence (29) und Salome Martins (36) gehören beide seit 2009 zur Kompanie und hören jetzt auf. Die Schottin und die Portugiesin erzählen, was sie damals ins kleine Luzern verschlug – und wieso sie länger geblieben sind als geplant.

zentralplus: Ihre achte Saison am Luzerner Theater geht zu Ende, nun hören Sie beide auf. Wieso gerade jetzt?

Salome Martins: Ich tanze seit 20 Jahren professionell, diese Leistung macht mich glücklich. Aber ich bin jetzt 36 und möchte meinem Leben nochmals die Chance für etwas anderes geben. Ich bin bereit, etwas Neues auszuprobieren.

Rachel Lawrence: (überlegt und zögert) Well … Ich mache etwas, das ich immer noch liebe, ich habe mehr erreicht, als ich hoffen durfte. Aber man droht nach so vielen Jahren träge zu werden. Nach einer Weile muss man die Sicherheit durchbrechen. Mein Ziel ist es, mich selber neu herauszufordern. Auch wenn ich noch nicht weiss, wie das nächste Kapitel aussieht.

zentralplus: Ist denn das Tanzen nicht auch eine stetige Herausforderung?

Lawrence: Langweilig wurde es in der Kompanie nie, wir haben immer wieder mit neuen Choreografen gearbeitet. Aber es gibt noch andere Herausforderungen im Leben. Ich bin jetzt 29, es ist ein guter Zeitpunkt, um zu schauen, wo ich stehe und ob ich etwas Neues starten will. Dafür will ich mir jetzt Zeit nehmen.

zentralplus: Man hört, dass viele Tänzerinnen und Tänzer um die 35 aufhören, weil sie körperlich an ihre Grenzen kommen. Spielt das auch eine Rolle?

Lawrence: Ich glaube nicht, dass man das generell sagen kann. Es ist vor allem eine Kopfsache, körperlich ist sowieso jeder anders. Viele Tänzerinnen sind über 40 und machen weiter.

Martins: Gewisse Tänzer sind die ganze Zeit verletzt, andere nie. Klar merke ich an meinem Körper, dass ich älter geworden bin. Ich hatte etwa Behandlungen an den Füssen. Wenn ich professionell weitertanzen würde, müsste ich Kompromisse eingehen und ich wüsste, dass Schmerzen immer mehr dazugehören. Aber das will ich nicht: Tanzen hat mir immer sehr Freude gemacht, das will ich nicht ruinieren.

Letzte Tanzaufführung der Spielzeit

«Dancemakers Series #8» ist die letzte Tanzaufführung der laufenden Saison: Zu sehen sind Choreografien aus dem Tanzensemble. Die Tänzer gestalten das gesamte Programm, Bühnen- und Kostümbilder sowie Musikarrangements selber. Zu sehen ist zeitgenössischer Tanz in all seinen Formen. Premiere: Donnerstag, 8. Juni, 20 Uhr, Südpol Luzern. Weitere Aufführungen bis 17. Juni.

zentralplus: Sie sind viel herumgekommen. Wollten Sie nie sesshaft werden?

Martins: Luzern war meine achte Kompanie, zuvor war ich nie länger als drei Jahre irgendwo. Als ich hierher kam, war ich 28 und hatte das Gefühl vermisst, irgendwo etwas aufzubauen. Du vermisst Beziehungen und Freunde um dich herum. Was mich schliesslich so lange hier gehalten hat, war die Kompanie. Alle waren neu hier und wir bauten zusammen etwas auf.

Lawrence: So eine kleine, intime Gruppe wird eher zu einer Familie. Das ist aufregend, normalerweise sind drei Jahre eine gute Zeit, um irgendwo zu bleiben. Du kannst nicht erwarten, dass du so lange bleibst, wie wir das taten.

zentralplus: Was war denn in Luzern anders?

Lawrence: Es hatte damit zu tun, dass Kathleen (die Tanzchefin Kathleen McNurney, Anm. d. Red.) hier eine neue Gruppe aufbaute. Ich glaube, dass auch sie nicht daran gedacht hat, so lange zu bleiben. Ihre sorgfältige Auswahl der Mitglieder, wie sie sie zusammengebracht hat und wie wir dann zusammenarbeiteten – it was just a match!

zentralplus: Werden Sie in Luzern bleiben nach Ihrer Zeit in der Kompanie?

Martins: Ich werde sicher noch eine Weile hier bleiben. Mein Freund ist vor zwei Jahren hergezogen und hat hier einen Job.

Lawrence: Für den Moment ja, aber ich würde gern in Zürich wohnen oder in Paris. Ich mag Luzern, aber ich habe immer in grösseren Städten gelebt, dieses Feeling möchte ich zurück. Es hängt auch von meinem Partner ab, der ebenfalls in der Kompanie war und jetzt selbstständiger Choreograf ist. Mal sehen, wo wir nächstes Jahr stehen.

Rachel Lawrence und Salome Martins blicken zurück auf ihre Tanzkarriere.

Rachel Lawrence und Salome Martins blicken zurück auf ihre Tanzkarriere.

(Bild: Kevin Graber & David Röthlisberger)

zentralplus: Was macht man nach einem Leben als Tänzerin? Haben Sie Ideen für die Zukunft?

Martins: Ich unterrichte seit sieben Jahren in einer Ballettschule in Luzern, das werde ich weiterhin tun. Daneben interessiert mich der Tourismus sehr. Ich spreche fünf Sprachen und habe mir überlegt, wo ich diese Erfahrung anwenden kann. Ich suche etwas, wo ich direkt mit Leuten in Kontakt komme. Nicht nur von der Bühne aus.

Lawrence: Ich glaube, dass du als Tänzerin sehr viele Tools hast: eine gute Arbeitsethik, du bist ein Teamplayer und zugleich selbstständig, du musst von dir überzeugt sein, bist aber selbstkritisch und perfektionistisch, du kannst hart arbeiten und bist international ausgerichtet. Du hast dein Heimatland für mehrere Jahre verlassen und dich in einer neuen Umgebung neu bewiesen. Nun will ich meinen anderen Leidenschaften, die ich viele Jahre zurückstecken musste, mehr Raum geben. Vielleicht wird es etwas mit Mode zu tun haben, vielleicht mit Kunst, vielleicht etwas ganz anderes. Zudem unterrichte ich auch weiterhin.

«Luzern war genau das, was ich wollte: eine kleine Kompanie mit nur zwölf Tänzern.»

Salome Martins

zentralplus: Was war denn 2009 der Grund, wieso Sie nach Luzern gekommen sind?

Lawrence: Ich war zuvor beim «Ballet Junior de Genève», mit 21 kam ich mit meinem Partner Luca zum Vortanzen nach Luzern. Wir schafften es beide zum Interview und wurden schliesslich aufgenommen. Wir waren doppelt glücklich, dass wir es zusammen schafften.

Martins: Ich war beim «Ballet National de Marseille», einer grosse Kompanie mit 45 Tänzern, die durch die ganze Welt tourte. Wir hatten alle Möglichkeiten, es war das, was ich immer wollte. Zudem an einem sonnigen Ort mit Strand nach acht Jahren in Deutschland. Trotzdem war ich unglücklich, ich passte da nicht rein. Ich realisierte, dass ich lieber in einer kleinen Gruppe wäre anstelle der grossen Hot-Shot-Kompanie.

zentralplus: Und dann schauten Sie sich um?

Martins: Über eine Freundin in Genf lernte ich einen Tänzer kennen, der mir sagte, dass er mit Kathleen McNurney nach Luzern gehen werde. Er erzählte mir von der neuen Kompanie und wusste, dass sie noch eine Tänzerin mit Erfahrung suchen. Er gab mir ihre Nummer, ich ging zum Vortanzen nach Basel und dann war schnell klar, dass wir zusammenarbeiten werden. Es war genau das, was ich wollte: eine kleine Kompanie mit nur zwölf Tänzern.

«Drop of Doubt» im Rahmen von «Tanz 9: Fine Lines» im April 2012: Salome Martins mit Ihsan Rustem.

«Drop of Doubt» im Rahmen von «Tanz 9: Fine Lines» im April 2012: Salome Martins mit Ihsan Rustem.

(Bild: Ida Zenna)

zentralplus: Luzern ist eine kleine Stadt. Gibt es hier ein gutes Publikum für Tanz?

Lawrence: Ich glaube, wir haben ein Publikum aufgebaut, das den Tanz sehr schätzt. Wir haben viele Supporter wie die Tanzfreunde. Manchmal bekommen wir sogar Feedback von Leuten auf der Strasse. Es braucht Zeit, um etwas aufzubauen, aber es hält länger.

Martins: Wir forderten das Publikum immer wieder heraus mit abstrakteren Stücken. Wir haben es «erzogen», offen gegenüber Stücken zu sein, die sie noch nicht kennen, oder vielleicht nicht immer verstehen. Das ist ein grosser Schritt. Wir hatten «Triple Bills», also dreiteilige Stücke, wie «Celebration!», die komplett ausverkauft waren.

«Es ist ein Geschenk, das erfahren zu dürfen.»

Rachel Lawrence

Lawrence: Das Publikum mag und unterstützt heute die physischen und abstrakten Stücke genauso wie die klassischen Geschichten. Wir sind glücklich, dass die Luzernerinnen und Luzerner so offen sind und auch bereit für eine gewisse «Crazyness».

Martins: Es half sicher, dass viele im Ensemble so lange hier blieben, das Publikum kannte uns mit der Zeit. Vielleicht gefällt ihnen ein Stück nicht, aber sie kennen Salome oder Rachel. Sie kommen, weil sie unsere Gesichter kennen.

zentralplus: Gab es ein Highlight in den letzten acht Jahren?

Lawrence: Viele Choreografen haben mich beeinflusst und verändert – wie ich als Tänzerin arbeite, wie ich performe und mir selbst vertraue. Ein Stück war für mich besonders bedeutend: «Suits» von Felix Landerer tanzte ich 2012 zusammen mit meinem Partner Luca. Es ist ein Duett für ein Paar, das war für uns sehr speziell. Es ist selten, dass du solch ein Stück tanzen kannst.

«Suits» im Rahmen von «Tanz 9: Fine Lines» im April 2012: Rachel Lawrence mit ihrem Partner Luca Signoretti.

«Suits» im Rahmen von «Tanz 9: Fine Lines» im April 2012: Rachel Lawrence mit ihrem Partner Luca Signoretti.

(Bild: Ida Zenna)

Martins: Es gab Choreografen, die mich als Tänzerin veränderten und dazu beitrugen, dass ich so eine aufregende Zeit hatte. Einer davon war Patrick Delcroix, mit ihm hatte ich eine der besten Zeiten in der Kompanie. Auch Georg Reischl hatte grossen Einfluss und ich bin sehr glücklich, mit Stephan Thoss gearbeitet zu haben. Das war letztes Jahr mit «Bolero»: Ich war schon 35 und sah das Ende meiner Tanzkarriere vor mir. Dann diese Explosion! Es machte solchen Spass, und es war mein letzter grosser Soloauftritt in Luzern.

Lawrence: Er ist ein Genie! Es ist schwierig, Einzelne herauszupicken … auch Cayetano Soto war aufregend. Er war eine konstante Herausforderung für uns. Und wir lernten so viel von ihm.

zentralplus: Es scheint, als könne jedes Stück das Leben einer Tänzerin ändern.

Lawrence: Ja, das ist es! Normalerweise ist niemand so lange in einer Kompanie wie wir hier. Es ist ein Geschenk, das erfahren zu dürfen.

Martins: Als ich hierher kam, dachte ich, dass ich schon viel erlebt habe. Aber nun habe ich nochmals das Dreifache dessen gemacht. Das ist crazy.

«Wir perfektionieren uns konstant, um eine Vision eines Choreografen auf die Bühne zu bringen.»

Rachel Lawrence

zentralplus: Was ziehen Sie vor: klassisches Ballett oder modernen Tanz?

Martins: Gute Frage (überlegt). Als kleines Mädchen wollte ich eine Ballerina werden. Inzwischen finde ich modernen Tanz viel freier, man entdeckt mehr über sich selber. Aber das eine könnte ohne das andere nicht existieren. Ballett ist immer ein Streben nach Perfektion, wir haben jeden Morgen Ballettklasse. Und ich unterrichte lieber Ballett, obwohl ich eine zeitgenössische Tänzerin bin.

Lawrence: Meine Karriere war im modernen Tanz, aber ich startete meine Ausbildung klassisch. Ich bin glücklich, dass ich beides gemacht habe. Auch als moderne Tänzerin bietet dir die klassische Ausbildung viel.

zentralplus: Es gibt so viele Klischees über Tänzerinnen: Was ist das grösste Missverständnis?

Lawrence: Die Diät! Jeder fragt, ob man etwas Spezielles essen muss. Aber nein, du musst gesund sein und acht auf dich geben, so wie jeder andere auch. Wir sind Athleten, und was tun wir den ganzen Tag? Well, Training! Wir perfektionieren uns konstant, wie ein Athlet, der seine Muskeln aufbaut, um schneller zu rennen oder höher zu springen. Wir trainieren, um eine Vision eines Choreografen auf die Bühne zu bringen.

Martins: Wenn du den ganzen Tag harte Proben hast, dann schaffst du das nicht mit einem Apfel, vergiss es (lacht).

Aus Schottland und Portugal nach Luzern

Rachel Lawrence (29) und Salome Martins (36) tanzen beide seit 2009 bei «Tanz Luzerner Theater» und verlassen die Kompanie auf Ende dieser Spielzeit.

Rachel Lawrence kann sich vorstellen, sich als Fashion-Journalistin zu etablieren, und sie unterrichtet zeitgenössischen und klassischen Tanz. Die Schottin studierte in Glasgow und tourte danach durch England, Schottland und Wales. Später hatte sie ein Engagement in Genf und Gastspiele in Portugal und Frankreich. In Luzern tanzte sie unter anderem Solopartien als «Amme» («Tanz 10: Romeo und Julia»), «Aurora» («Tanz 13: Dornröschen») oder «Klara» («Tanz 14: NUTS!»).

Salome Martins unterrichtet weiterhin an zwei Ballettschulen und möchte im Tourismusbereich Fuss fassen. Sie spricht fünf Sprachen. Sie begann ihre Ausbildung bereits als Fünfjährige in Portugal. Ab 2000 war sie in verschiedenen Ensembles in Deutschland, Frankreich und schliesslich in Luzern. 2010 erhielt sie für ihre Leistung den Prix Gala.

Rachel Lawrence (auf dem Tisch) neben Dario Dinuzzi, Shota Inoue, Rachel P. Fallon in «Tanz 23: Kinder des Olymp» im Dezember 2016.

Rachel Lawrence (auf dem Tisch) neben Dario Dinuzzi, Shota Inoue, Rachel P. Fallon in «Tanz 23: Kinder des Olymp» im Dezember 2016.

(Bild: Gregory Batardon)

Themen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon