24-Stunden-Theatermarathon startet am Samstag

«Machoid und testosterongeladen»: Sie kapern das Luzerner Theater

Die Theaterschaffenden Damiàn Dlaboha (links) und Béla Rothenbühler in ihrem Büro in der Industriestrasse.

(Bild: zvg)

Theater rund um die Uhr: Ab Samstag werden die Tore des Luzerner Theaters erstmals für die Freie Szene geöffnet. Damiàn Dlaboha und Béla Rothenbühler sind als Künstler und Mitorganisatoren mittendrin. Der Anlass wirft Fragen zu professionellem Theater auf – und soll der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.

Am Samstag wird das Luzerner Theater von der Freien Szene eingenommen. Das heisst: Es wird nichts von der Hausleitung kuratiert, es gibt keine Qualitätskontrollen, keine kurzfristigen Absagen – Intendant Benedikt von Peter übergibt am Samstag die Schlüssel an die «Freien» und damit sein Mitspracherecht. Bis Sonntag herrscht Anarchie im Stadttheater: Die Box, das Foyer, das Treppenhaus, der grosse Saal und die Terrasse: das ganze Haus wird bespielt. Es soll ein Schritt aufeinander zu sein – nachdem jahrelang ein Grabenkampf zwischen Szene und Stadttheater herrschte.

Der «Friendly Take Over» ist der Abschlussevent des Tanz- und Theaterfestivals «Heimspiele 2017». Das Kleintheater und der Südpol hatten während zwei Wochen ihre Tore der Freien Szene geöffnet – zum Abschluss zieht nun das Stadttheater mit. Zu den Mitorganisatoren und Mitwirkenden des «Friendly Take Over» gehören Damiàn Dlaboha und Béla Rothenbühler.

«König Alkohol» – Stück ohne Moralfinger

Für den Event steuern die beiden ein Stück über Alkohol und Zigaretten namens «Lethal Ballet» bei. «Die Aufführung wird um ein Uhr morgens sein», sagt Regisseur Damiàn Dlaboha, «da wird der eine oder andere bereits ein paar Mal an der Bar vorbeigelaufen sein.» Das sei perfekt, es gehe um diese Ambivalenz zwischen Genuss und Sucht – ohne zu sehr den Moralfinger heben zu wollen. «Es ist eine ehrliche, witzige und zu Teilen bittere Auseinandersetzung mit dem Thema Alkohol», so Dlaboha.

Den Text entwickelte der 26-jährige Dramaturg Béla Rothenbühler nach der Vorlage des Romans «König Alkohol» von Jack London. «Ein autobiografisches Stück», erklärt Rothenbühler, «in dem er seine eigenen Erfahrungen mit der Trinksucht verarbeitet.» Das Stück wird bereits die dritte Produktion der beiden in diesem Jahr sein – das Duo drückte in den letzten Monaten enorm aufs Gaspedal (siehe Box am Ende).

Der Banner des Stücks «König Alkohol».

Der Banner des Stücks «König Alkohol».

(Bild: zvg)

Im neuen Stück von «Fetter Vetter und Oma Hommage» – so der Kollektivname der beiden – verkörpern vier Schauspieler Jack London: Hans-Caspar Gattiker, Mark Jenni, Timo Kählert und Stefan Schönholzer. «Die mehrfache Besetzung soll die verschiedenen Facetten des Charakters zeigen», so Dlaboha.

Ausschliesslich Männer werden es sein. «Es wird machoid und testosterongeladen. Wir haben uns überlegt, eine der Rollen mit einer Frau zu belegen – doch haben uns bewusst dagegen entschieden», so Dlaboha. Rothenbühler ergänzt: «Das Maskuline wird durch die Vorlage vorgegeben – daran wollten wir uns dieses Mal halten.»

«Firendly Take Over»

Der «Friendly Take Over» startet am Samstag um 12 Uhr und dauert 24 Stunden. Während der ganzen Zeit bespielen verschiedene Kompanien und Theaterensembles das Luzerner Theater. Anmelden konnte sich, wer rechtzeitig ein Konzept einreichte. Ein 24-Stunden-Pass kostet 15 Franken.

Das Programm umfasst Kinderstücke (Mullbau Kollektiv, Triplette, Peter Estermann und Ursula Hildebrand), Kurzstücke (Sophie Stierle, Hirshin und Gaul) und längere Produktionen (Fetter Vetter & Oma Hommage, Theater Papperlapapp). Ausserdem kann man bei Mimito ab Samstagmittag seine eigene Wurst herstellen, bevor man sie grilliert. Daneben gibt es ein Rahmenprogramm mit Alpineum-Glace und Cateringservice der Gassenküche.

Für das 80-minütige Stück wurde extra eine Band zusammengestellt: Elia Lobina (Kapnorth), Jeremy Sigrist (Yser und Hanreti), Balz Muheim (Philipp Leon) und Mario Dotta (Joan & The Sailors). Sie spielen mehrere Cover-Stücke. «Es war ein spannender Prozess, die Stücke gemeinsam mit Elia zusammenzustellen und zu entscheiden, welches wo im Stück am besten wirkt», so Dlaboha.

Was ist «professionelles Theater»?

Der «Friendly Take Over» ist mehr als nur ein Festivalabschluss. Es ist eine Zusammenführung von Freier Szene und Stadttheater, etwas, was lange undenkbar war. Das Luzerner Theater machte sich in der Freien Szene keine Freunde, weil man sich als «das einzige professionelle Theater in der Zentralschweiz» verkauft. Schon bei einer einfachen Google-Suche stösst man auf den Satz und er hat sich etabliert: Das Wording wird von Politik und Medien übernommen und fliesst so in die Gesellschaft.

«Es ist schon etwas eigenartig», sagt der 26-jährige Regisseur, «alleine, wenn man unserer Stück betrachtet: Hans-Caspar Gattiker war jahrelang im Ensemble des Luzerner Theaters, Elke Mulders und Melanie Sidler sind ausgebildete Szenografinnen und ich bin ausgebildeter Regisseur. Ich denke, dass man das professionell nennen darf.» Auch wenn man noch nicht vollständig vom Theater leben könne, sei es ihr Hauptberuf und ihre Passion.

«Es wurde in der Freien Szene sehr kontrovers diskutiert, ob wir den ‹Friendly Take Over› machen sollen.»

Damiàn Dlaboha, Regisseur

«Auch der Südpol und das Kleintheater sind Häuser mit hohem Qualitätsanspruch und professionellem Team», führt er weiter aus. Die Definition von professionellem Theater sei also diskutabel. «Die Formulierung schafft in der Gesellschaft das Gefühl, dass von Zug bis Uri nur Laientheater gespielt wird – ausser im Luzerner Theater. Und das stimmt so nicht.»

Natürlich müssen die Produktionen der Freien Szene mit weniger aufwendigen Kostümen und kleineren, transportablen Bühnenbildern arbeiten. Dies liege einerseits am Budget, andererseits sei es ein Merkmal der Freien Szene, eben flexibel zu sein und nicht stationär wie ein Stadttheater. Dlaboha schlägt denn auch eine neue Formulierung vor: «Besser wäre: Das Luzerner Theater ist das einzige Stadttheater der Zentralschweiz.»

«Friendly Take Over» als Initialzündung

Man spürt den Graben, aber auch den frischen Wind in der Diskussion – sowohl bei der neuen Theaterleitung als auch mit den nachrückenden Künstlern der Freien Szene; wie «Fetter Vetter und Oma Hommage». «Das Projekt soll ein Anfang sein für eine bessere Zusammenarbeit», sagt Dlaboha. Es freue ihn, zu sehen, dass das Luzerner Theater beispielsweise das Projekt «Gärten» mit Patric Gehrig der Freien Szene umsetze (zentralplus berichtete). «Wenn wir uns weiter aufeinander zubewegen, können tolle Sachen entstehen.»

Trotzdem: «Es wurde in der Freien Szene sehr kontrovers diskutiert, ob wir den ‹Friendly Take Over› machen sollen», so Dlaboha. Es habe viele kritische Stimmen gegeben. «Gewisse wollten, dass auch unsere Stücke kuratiert werden – andere fühlten sich als Billigunterhalter zu PR-Zwecken des Luzerner Theaters ausgenutzt.» Er könne die kritischen Stimmen verstehen, sagt Dlaboha, die Entlöhnung sei nicht besonders gut.

«Aber das Luzerner Theater hat hohe Kosten, ein spielfreies Wochenende und die Ticketeinnahmen gehen nicht an das Haus. Es ist also auch von ihrer Seite her ein grosszügiges Angebot», so der Regisseur.

Es seien Versprechungen gemacht worden – auf beiden Seiten. Diese gelte es einzuhalten und einzufordern. So könne man in Zukunft näher zusammenarbeiten. «Mein persönliches Ziel ist es, dass man in Zukunft von der ‹Theaterszene Luzern› spricht und nicht von Stadttheater und Freier Szene.» Der «Friendly Take Over» soll die Initialzündung dafür sein.

«Fetter Vetter und Oma Hommage»

Damiàn Dlaboha (26) und Béla Rothenbühler (26) waren in letzter Zeit enorm aktiv in der Freien Szene. Alleine in diesem Jahr waren sie für drei Stücke verantwortlich: Zum einen produzierten sie « Heim#2: Die Einsamkeit des Kranführers» – die neue «Zell:Stoff»-Produktion. Beim Einmannstück, gespielt von Patric Gehrig und geschrieben von Dominik Busch, führte Damiàn Dlaboha Regie, Béla Rothenbühler war für die Dramaturgie verantwortlich. Das Stück stiess auf durchwegs positive Kritiken (zentralplus berichtete).

Zum anderen produzierten «Fetter Vetter und Oma Hommage» die Eigenproduktion «Die Traumfabrik», ein politisches Stück, welches in Orwell’scher Manier das Thema der Folter aufarbeitete – mit einem fast zu überzeugenden Hauptdarsteller. Aber auch dieses Stück wurde von der Kritik gelobt (zentralplus berichtete). Jetzt folgt mit «Lethal Ballet» das dritte Stück – nur für den «Friendly Take Over» produziert.

Und einen Ausblick gibt’s auch noch: Im Herbst soll es eine Performance geben in Kooperation mit Musikproduzent Timo Keller (Hanreti) und Filmer Savino Caruso. Das Spezielle, so Dlaboha mit einem Schmunzeln: «Wir werden alle als Schauspieler auf der Bühne sein – also alle losgelöst von unseren Kernkompetenzen.» Und noch etwas wird speziell sein: «Man muss WhatsApp auf seinem Handy installiert haben. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man als Zuschauer die Performance besuchen kann.»

Aber auch unabhängig voneinander sind die zwei umtriebig. Damiàn Dlaboha hat Regie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) studiert. Er produziert Kurzfilme und Musikvideos, auch für Luzerner Bands wie Hanreti, Kapnorth und Maze. Bela Rothenbühler studiert Germanistik und ist Musiker und Songwriter der Band Bohemian Breakfast.

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