Midnight Jam: Hilfe zur kulturellen Selbsthilfe

Hier werden Zuger Kulturprofis gemacht

Samantha Heller (links) und Kursteilnehmerin Neena (rechts) im Kunstworkshop.

(Bild: Simone Ruckstuhl)

Nach Sparpaketen und Abstrichen bei der Kultur nun eine gute Nachricht: Während diesen Frühlingsferien gibt es ein Gegenangebot für Wissbegierige, den Midnight Jam. An sechs Tagen haben Schüler ab 12 Jahren die Möglichkeit, in Workshops ein Handwerk zu erlernen, das im Schulalltag höchstens gestreift wird. zentralplus war am zweiten Workshoptag zu Gast.

Es ist der erste Mittwochnachmittag der Frühlingsferien. Das Wetter schwankt zwischen grauslig und schön, die Hockey-Euphorie ist abgekühlt, und der normale Ferienalltag ist wieder eingekehrt. Ausser in der Industrie45. Dort findet unter dem Motto «Lerne von Profis» das Pilotprojekt «Midnight Jam» (auf Deutsch etwa so viel wie Mitternachts-Musiktreffen) des Vereins «Timeout Kultur» statt.

Bereits beim Eintreffen dröhnt eine kreischende Gitarre aus dem Konzertraum. Dort erklärt Andri Urfer vom Tontechnik-Workshop einem Gitarristen, wie ein Pedalboard auf der Bühne zum Einsatz kommt. «Einerseits ist es unglaublich, dass ein Gitarrenschüler nicht weiss, was ein Delay-Pedal oder ein Phaser ist», sagt Dino Sabanovic, der Leiter des Midnight Jams. «Andererseits, wie könnte er? Wenn nur 30 Minuten Unterricht pro Woche zur Verfügung stehen, bleibt halt vieles auf der Strecke.»

«Als wir damals mit Stuck in Traffic 2012 die Sprungfeder gewonnen haben, wussten wir nichts.»

Dino Sabanovic, Präsident Timeout Kultur

Sabanovic, selber Gitarrist und Kulturmanager, spricht aus eigener Erfahrung. «Meine Jugend war geprägt vom Willen, ‹mehr› als nur Schule zu machen, und der gleichzeitigen Absenz von Leuten und Orten, die mich dazu hätten motivieren können.» Genau dies möchte «Timeout Kultur» nun bieten – das Time-Out vom leistungsorientierten Bildungswesen.

Midnight Jam

Das Pilotprojekt «Midnight Jam» bietet während den Frühlingsferien zwischen dem 18.04. und 27.04.17 gratis Workshops in Kunst, Film, Foto, 3D, Musik und Tontechnik für Kinder ab 12 Jahren an. Die Ergebnisse des ersten Pilotprojekts werden am Freitag, 28. April, ab 18.30 in einer Vernissage gezeigt.

Für mehr Informationen zum Projekt hier klicken, zur Facebook-Einladung für die Vernissage gehts hier.

Hilfe zur kulturellen Selbsthilfe

Langsam trudeln mehr und mehr Kursleiter ein, auch ein paar Teilnehmende kommen dazu. «Die Anmeldungen waren eher dürftig. Viele sind in den Ferien oder wussten nicht genau, wie sie dieses Projekt verorten sollen. Gerade bei jüngeren Kindern haben Eltern oft Schwierigkeiten, sie Unbekanntem zu überlassen», erzählt Sabanovic weiter. «Aber wie in Zug üblich, müssen wir im Kleinen beginnen und uns langsam hocharbeiten. Bis wir dazugehören und uns konsequenterweise am Ende selbst überflüssig machen.»

Hilfe zur Selbsthilfe oder besser – eine autarke Kulturszene ist das Ziel. So wie sie in anderen Städten schon längst existiert. Dass das in Zug die letzten Jahre verloren gegangen ist oder gar nicht stattgefunden hat, davon können alle Workshopleiter der Industrie45 ein Lied singen. «Als wir damals mit Stuck in Traffic 2012 die Sprungfeder gewonnen haben, wussten wir nichts. Nicht, was ein TechRider ist, wie Booking funktioniert, wie man Musik aufnimmt», erzählt Sabanovic.

«Gott sei Dank haben wir Ansprechpersonen gefunden, die uns geholfen haben und eine Mentor-Funktion einnahmen, sodass wir nicht komplett auf uns alleine gestellt waren.» Genau diese Mentor-Funktion soll mit dem Midnight Jam gefördert werden: Junge Kulturschaffende vermitteln ihr Wissen und Können an Jüngere und züchten so die nächste Generation von jungen Kulturschaffenden, die wiederum der nächsten Generation ihr Wissen vermittelt.

Lernen ohne Lehrer

Auf einem Sofa im Aufenthaltsraum sitzen zwei junge Frauen und malen Landschaften mit Acryl. «Ich male viel zu Hause», erzählt die zwölfjährige Kursteilnehmerin Neena. «Aber einen Lieblingskünstler habe ich nicht.» Am ersten Workshoptag wurde vor allem über Kunstgeschichte und Stile gesprochen, am heutigen zweiten Tag werden Nägel mit Köpfen gemacht. «Neena bringt schon so viel Können mit, dass wir wie im Vorkurs der Kunsti arbeiten können», schwärmt Workshopleiterin Samantha Heller. «Zuerst haben wir technische Übungen gemacht, wie Abzeichnen ohne aufs Blatt zu schauen und Tiere abstrahieren, und morgen versuchen wir uns an Selbstporträts in verschiedenen Stilen.»

«Ich bin keine Lehrerin.»

Samantha Heller, Konzeptkünstlerin

Heller selbst ist eigentlich Industrie-Designerin und Konzeptkünstlerin. «Ich bin keine Malerin per se, aber durch meine Zeit an der Kunsthochschule und meine Arbeit im Kunsthaus Zug habe ich ein grosses Wissen über Kunsthistorik und Handwerk», erzählt Heller weiter, während sie mit Neena Acrylfarben mischt. «Aber ich bin keine Lehrerin. Nur jemand, der sich immer schon mit Kunst beschäftigt hat, und diese Leidenschaft während zweier Wochen weitergeben darf.»

Im oberen Stock sitzt Fabienne Luder, Kunststudentin und Konzertfotografin, mit ihren Nachwuchsfotografen. «Wir gehen zusammen die historische Entwicklung der Fotografie durch – von der selbst gebastelten Camera obscura zur Analog-Fotografie, von der Entwicklung der Fotos bis zur Digitalkamera.» Ihre Schüler sind schon älter, und dementsprechend beruht der Kurs auf viel selbständigem Arbeiten. «Morgen treffen wir uns nur kurz am Anfang, dann wird frei fotografiert», erzählt Luder. «Analoge Fotografie ist keine Wissenschaft, man muss so viel wie möglich ausprobieren. Natürlich gebe ich Hilfestellung; so wie heute, als wir in einem Theorieteil über die Blende und die Belichtungszeit gesprochen haben. Aber das Gespür für Motiv und Bildkomposition muss jeder für sich selbst entwickeln und kultivieren.»

Dino Sabanovic (links) zeigt einem Workshop-Teilnehmer die Funktionen eines Pedalboards.

Dino Sabanovic (links) zeigt einem Workshop-Teilnehmer die Funktionen eines Pedalboards.

(Bild: Simone Ruckstuhl.)

Ein vorprogrammierter Kulturschock

Der ganze Midnight Jam gipfelt in einer Vernissage, die am Freitag, 28. April, um 18.30 Uhr in der Industrie45 stattfindet. Dort werden entstandene Arbeiten, Work-in-Progress-Projekte und Ideenschnipsel gezeigt. Interessanterweise geistern aber schon seit Wochen Einladungen zum Event «Pöbelkultur mit AKA Unknown, Welträumer und Öz Ürügülü», der am selben Abend in der Industrie45 stattfinden soll, durch Facebook.

«Das war eigentlich eine unabsichtliche Doppelbuchung seitens der Industrie45» lacht Sabanovic. «Dann haben wir aber schnell entschieden, dass dieser Clash eigentlich perfekt ist. Wenn wir schon die ganze Zeit davon sprechen, dem Nachwuchs auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, passt es doch perfekt, dass sich an diesem Abend ganz junges Publikum mit Gestandenem vermischt. So können unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt erfahren, wohin ein Interesse an Kultur führen kann. Und schlussendlich sind ja auch die Workshopleiter anwesend. Sie können diese – vermutlich eher ungewohnte – Begegnung mit den Dadaisten unter den Zuger Musikern abfedern und in den Kontext setzen.»

Man darf auf jeden Fall auf diesen Freitagabend gespannt sein.


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