Beats von Jürg Halter und Fredy Studer im Neubad

Hier trifft Nestlés Wasserpolitik auf Trumps Weltsicht

(Bild: zvg. Kathrin Eglof)

48 Gedichte sind aus einer Koproduktion von Jürg Halter und dem japanischen Dichter Shuntaro Tanikawa entstanden. Nicht immer nur in nüchternem Zustand, was den Rausch mit dem klaren Blick für die kleinen Dinge verbunden hat. Das Vormitternachtsschwimmen am Mittwoch im Neubad erlebten wir durchaus amüsant.

Zwei Männer sitzen fünf Tage an einem Tisch und schreiben jede Stunde ein Gedicht, in zwei Sprachen aus zwei Kontinenten. Einer hat die geraden, einer die ungerade Stunden. 48 Gedichte sind aus dieser Koproduktion von Jürg Halter und dem japanischen Dichter Shuntaro Tanikawa entstanden. 48 Stunden, zwei Tage, einer nüchtern und einer unter Einfluss von etwas Sake.

Zwischen Rausch und Klarheit

Dass die Frage nach der Nüchternheit nicht so schnell vom Tisch sein würde, kündigt sich rasch an. Sowohl die Texte wie auch die Musik verbinden den Rausch mit dem klaren Blick für die kleinen Dinge. Es ist die Rede vom Geschmack eines Steins im Mund, den ein Junge sich zur Sardine wünscht, oder vom Wieder-und-wieder-Aufwachen, ohne wach zu werden.

Dazu stets die Perkussion von Fredy Studer, der begleitet und erweitert, was Jürg Halter vorlegt. Marie Kakinuma ergänzt an dem Abend mit der japanischen Übersetzung und schafft damit eine fast schon sagenumwobene Atmosphäre, die nur vermuten lässt, was Shuntaro meint, wenn er von einem anderen Schweigen in verschiedenen Kulturen spricht.

«Jürg Halter blickt unter den Teppich des Gewohnten.»

Aber genauso tief nüchtern ist so oft der Blick von Halter, die Beobachtungen des Abseitigen, das in seinen Gedichten eine Stimme erhält. Er spricht von der unverwüstlichen Natur der Worte, die ausdauernder seien als die restliche Welt, und vom Wagnis des ersten Schrittes, ermuntert durch ein bedingungslos tanzendes Blatt.

Und so rauschhaft und wallend die Rhythmen und Klänge von Fredy Studer dazwischen ertönen, so direkt bleiben die Worte von Jürg Halter. Dass die Erdanziehung letztlich der einzige Gott, auch in den Religionen, sei und dass der Strom wieder mehr in unseren Köpfen als in der Welt fliessen solle, damit der Blick auf den Horizont unverstellt bleibe.

Beats über Nestlé und Trump

Jürg Halter und Fredy Studer spielen alle Aggregatzustände durch: Wir erfahren von einer Pfütze, die es am liebsten hat, wenn Kinder in sie reinspringen oder wenn im Sommer ein verliebtes Paar in ihr steht und sich küsst. Diese Pfütze besteht aber aus unzähligen Tropfen, ist mobil und löst sich genauso schnell auf, wie sie entstanden ist, verdunstet, steigt auf, kristallisiert. Es bleibt ein Kreislauf des Wassers, aber auch der Worte, die sich ihren Platz in der Musik suchen, und der Musik, die sich ihren Weg durch die Worte sucht.

«Das Auge liegt auf dem Daneben oder Darunter, das so oft keinen Platz in der Öffentlichkeit findet.»

Das Wasser bleibt aber Thema, denn es ist an diesem Abend auch Weltwassertag, wie Jürg Halter informiert. Wir befinden uns in einem Schwimmbad, im Becken ohne Wasser, sitzen also im oder auf dem Trockenen – was tun? Aus der Not eine Tugend machen und dichten wie aus einem rauschenden Wasserhahn.

Das tut Jürg Halter, der sich immer wieder in schwellende Beat-Improvisationen hineinsteigert, und präsentiert gegen Schluss eine Ballade von all den Ländern, die ebenso «America first» sein könnten, zum Beispiel «Sierra Leone zuerst». Jürg Halter zählt sie alle auf oder rappt sie alle runter und zeigt, wie viel ausserhalb von Trumps Sichtfeld noch zu finden wäre. Auch hier liegt das Auge auf dem Daneben oder Darunter, das so oft keinen Platz in der Öffentlichkeit findet.

Hier trifft Nestlés Wasserpolitik auf Trumps Weltsicht und Jürg Halters Blick unter den Teppich des Gewohnten, und wir werden uns bewusst, dass wir an diesem Abend gerade alle zusammen ein Bad nehmen im Neubad Luzern.

(Bild: zvg. Kathrin Eglof)

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