«Mütter» im Luzerner Theater – be proud as a woman

Echte Frauen packen aus: von Mutterschaft, Leiden und Leidenschaft

Die dreizehn Luzerner Mütter gekonnt in Szene gesetzt. (Bild: Info Hoehn Luzerner Theater)

Laien erobern die Bühne des Luzerner Theaters. So auch bei der Produktion «Mütter», die kurz vor der Premiere steht und an eine riesige Erfolgsstory aus Holland anknüpft. Das Stück zeigt Luzerner Frauen aus aller Welt und lässt sie ihre Geschichten erzählen. zentralplus war bei einer Probe mit dabei – und überfordert.

Den Gesang hört man schon durchs Treppenhaus im Krienser Südpol hallen. Und als die Türe zum Proberaum des Luzerner Theaters aufgeht, riecht es nach Eintopf und Gewürzen.

Es herrscht ein ziemliches Durcheinander, ein Haufen Frauen zwischen 37 und 65 Jahren hört auf zu singen und fängt an, lebhaft zu diskutieren. Wir brauchen eine Weile, um herauszufinden, wer bei dieser Theaterprobe eigentlich «das Sagen» hat. 

Das sind bei der Produktion «Mütter» eigentlich die Regisseurin Alize Zandwijk aus Holland, ihre Landsfrau Liet Lenshoek und die Luzernerin Regula Schröter, Leiterin der Sparte Schauspiel, als Dramaturginnen.

Erfolgsproduktion aus Holland

Zandwijk und Lenshoek sitzen ruhig an einem Tisch am Rande des Geschehens, beobachten erst mal und tauschen sich bilateral aus. Die beiden Holländerinnen hatten das Projekt «Mütter» 2006 am «Ro Theater» in Rotterdam begonnen, wo es sofort zur Erfolgsproduktion avancierte. Ganze zehn Jahre lang waren die Frauen der Erstinszenierung anschliessend damit auf Tournee.

«Wir wollen Luzernerinnen mit ihren Geschichten als Hauptakteure auf die grosse Bühne holen.»
Regula Schröter, Leiterin der Sparte Schauspiel am Luzerner Theater

Nun folgt die Neuinszenierung mit 13 Laiendarstellerinnen aus und in Luzern. Sie stellen sich mit ihren ganz persönlichen, teilweise sehr intimen und aufwühlenden Geschichten vor Publikum. Gesprochen wird im Stück über das Sterben, die Trauer, das Gebären, die Liebe, den Sex, über Kinder und über die Beziehung zur eigenen Mutter, zur Oma oder zur Freundin. Alle Geschichten haben die Frauen, die sie erzählen, selbst erlebt – nur schon bei dem kurzen Ausschnitt der Probe läuft es einem dabei kalt den Rücken herunter.

«Es ist grossartig, das Stück mit neuen Gesichtern zu sehen und zu erleben, dass Frauen überall auf der Welt spannende und schöne Geschichten zu erzählen haben», erklärt Alize Zandwijk. Gefühlsmässig sei sie gleich wieder völlig darin versunken.

Mirza Beciragic (v.l. nach r.) wird von Emina Kovacevic getröstet, während Liet Lenshoek und Alize Zandwijk die Probe weiter verfolgen.

Mirza Beciragic (v.l. nach r.) wird von Emina Kovacevic getröstet, während Liet Lenshoek und Alize Zandwijk die Probe weiter verfolgen.

(Bild: jav)

Nicht politisch – aber irgendwie doch ein bisschen

«Be proud as a woman», ruft Darstellerin Rathika Thevakumar am Ende ihrer Geschichte, bevor alle Frauen in Tanz und Gesang ausbrechen. Nach den weltweiten Frauenmärschen, dem pinken Gestricke und der grossen Aufmerksamkeit für Frauenthemen – momentan – ist eine solche Szene hochaktuell. Das in Verbindung mit dem Thema Migration und besonders der Integration von erwachsenen Frauen mit Kindern macht «Mütter» zu einem happigen Stück Gesellschaftskritik. Trotzdem betont Regula Schröter: «Es geht uns nicht darum, explizit politisch zu sein. Es geht um Genuss, darum, Begegnungen zu stiften, die Lebensfreude und die Frauenkraft zu feiern.»

«Es ist wie ein Sack voller Flöhe.»
Selina Beghetto, Produktionsleiterin «Mütter»

«Es geht um echte Frauen.» Das sei ihr besonders wichtig gewesen, so Schröter: «Wir wollen Theater für und mit der Stadt Luzern machen. Und dabei war das Ziel, Luzernerinnen mit ihren Geschichten als Hauptakteure auf die grosse Bühne zu holen. Nicht als Statisten.»

Die Inszenierung birgt damit aber auch eine grosse Herausforderung. Viele der beteiligten Frauen stehen das erste Mal auf einer Theaterbühne, haben kaum Erfahrung. Wie sie im Moment der Aufführung «funktionieren» werden, wird erst bei der Premiere klar. Und diese findet bereits am Donnerstag, 23. März statt – die Aufregung ist zu spüren.

Bewirtet und bemuttert

Zum Stück

Die Darstellerinnen: Wahida Aissaoui, Mirza Beciragic, Susanna Burger, Gloria Buser, Shery Davtalab, Jasmina Hodzic, Emina Kovačević, Aura Ocampo, Rathika Thevakumar, Minu Tighi, Rita Ueberschlag, Larysa Vetsch, Brigit Zehnder

Beim Stück sitzt das Publikum mitten auf der Bühne des Luzerner Theaters und wird während des Zuhörens von den Darstellerinnen bekocht. Das Essen ist im Eintritt von 60 Franken inbegriffen. «Mütter» wird nur sechsmal aufgeführt, aber dafür auch am Muttertag.

Gesprochen wird auf Deutsch und teilweise auch Englisch.

«Es ist wie ein Sack voller Flöhe», amüsiert sich Produktionsleiterin Selina Beghetto. Jede Darstellerin hat Fragen, Ideen, Einwürfe zum Text, zum Gesang und natürlich auch zur Verpflegung. Allgemein spielt das Essen eine grosse Rolle – auch nach der Probe im Südpol wird gemeinsam gegessen. Und wahrscheinlich würde jeder, der sich per Zufall in den Raum verlaufen hätte, sofort mit an den Tisch geladen und verpflegt. Mütterliche Gastfreundschaft kumuliert.

So soll es auch im Theater werden, wo Küche, Tische und Bänke auf der Bühne des Luzerner Theaters eingerichtet werden. Die Mütter werden darin singen, tanzen, lachen, weinen und ganz nebenbei für sich und das Publikum verschiedene Gerichte zubereiten. Die Zuschauer werden gemeinsam mit den Müttern auf der Bühne des Luzerner Theaters Platz finden und am Ende der Vorstellung gemeinsam mit den Darstellerinnen schlemmen und geniessen.

Das Essen spielt in der Inszenierung und bei den Proben eine grosse Rolle.

Das Essen spielt in der Inszenierung und bei den Proben eine grosse Rolle.

(Bild: jav)

Kennenlernen und schätzen lernen

Regula Schröter ist seit über einem Jahr mit der aussergewöhnlichen Produktion beschäftigt: «Ich habe mich erst mal gemeinsam mit Selina Beghetto überall herumgetrieben, wo man Frauen aus verschiedenen Kulturen trifft. Bei Organisationen wie Hello Welcome oder beim Frauenpalaver des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks Zentralschweiz.»

«Vielleicht können wir dem Publikum vermitteln, welche Bereicherung eine Nachbarin aus einer anderen Kultur sein kann.»
Rita Ueberschlag, Darstellerin «Mütter»

Im Mai 2016 haben sich die beteiligten Mütter schliesslich erstmals getroffen. Einmal pro Monat sind sie seither zusammengekommen, um jeweils miteinander über ein Thema zu sprechen, Geschichten und Anekdoten zu erzählen und sich kennenzulernen. «Man weiss nun langsam, wie die Leute ticken», sagt die Darstellerin Rita Ueberschlag lachend und isst einen grossen Löffel vom Couscous, den Wahida Aissaoui in dieser Probe gekocht hat. Sie spricht damit nicht nur die unterschiedlichen Geschichten der Frauen an, sondern auch ihre Macken und ihre «Rolle» in der Gruppe. «Vielleicht können wir das auch dem Publikum vermitteln – welche grosse Bereicherung eine Freundin oder auch eine Nachbarin aus einer anderen Kultur sein kann.»

Denn Migrantinnen in der Schweiz leben in ihrem Alltag, ihrer Wohnung oft isoliert, so Produktionsleiterin Beghetto. Sie seien zwar teilweise seit Jahren oder Jahrzehnten hier, doch die sozialen Kontakte hätten sich nie richtig aufgebaut. Gerade bei nicht berufstätigen Müttern sei das oft der Fall.

Soziales Theaterprojekt

Aus den erzählten Anekdoten und Geschichten, die im Verlauf der Jahres zusammengekommen sind, haben die beiden Dramaturginnen, Regula Schröter und Liet Lenshoeck, das Skript erstellt. Ein Skript, das jedoch mehr ein Geländer darstellt, an welchem sich die Darstellerinnen entlangbewegen werden. «Vieles bleibt offen. Auch bei den Aufführungen soll Platz für Spontaneität bleiben», betont Schröter.

Die Produktion «Mütter» beinhaltet auch einen grossen sozialen Aspekt, betont Beghetto: «Für viele der beteiligen Mütter sind diese Begegnungen und der Austausch untereinander sehr wichtig geworden.»

Alles muss in den Pausen genau diskutiert und bis ins Detail besprochen werden.

Alles muss in den Pausen genau diskutiert und bis ins Detail besprochen werden.

(Bild: jav)

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