Picassos Auferstehung im Kunsthaus Zug

Kunst darf das: Pepperšteins Lügen live aus Moskau

Die Ausstellung «Pavel Pepperštein – Picassos Auferstehung im Jahr 3111» wurde vergangenes Wochenende in Zug eröffnet. Sie bietet eine Auseinandersetzung mit der russischen Seele, mit dem Leben, dem Tod und den möglichen Welten dazwischen. Eine gelungene und vor allem anregende Ausstellung.

Während die Kirchenglocken zur Messe einläuten, begrüsst der Direktor und Kurator der Ausstellung Matthias Haldemann die Besucher im Kunsthaus Zug, welche zahlreich zur Vernissage erschienen sind. Das Glockengeläut sei durchaus angemessen, meint Haldemann ernst und doch mit einem Schuss Humor. Gehe es doch bei dieser Ausstellung um nichts weniger als um die Auferstehung eines Toten.

Die Ausstellung «Pavel Pepperštein – Picassos Auferstehung im Jahr 3111» wurde am Samstag mit einer Einführung des Slavisten Tomaš Glanc sowie unter Live-Zuschaltung des Künstlers eröffnet.

Picassos Reinkarnation 

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine etwas abgespacte Geschichte: Am Nikolai Fjodorow Institut sei es Forschern nach grossen Anstrengungen gelungen, Tote wieder zum Leben zu erwecken, so klärt Pepperštein die Museumsbesucher auf. Die Idee von der Auferstehung des Körpers, der Überwindung des Todes und die Vorstellung eines Weltbewusstseins mag den materialistischen Zeitgeist von heute etwas verstören, im 19. Jahrhundert hat sich der russische Philosoph Nikolai Fjodorow darüber aber ernsthafte Gedanken gemacht.

Dieses philosophische Gedankengut bildet also die Ausgangssituation für die künstlerische Expedition. Und weil sich die Forscher nicht für irgendeinen unbedeutenden Menschen abmühen wollten, haben sie keinen anderen als Pablo Picasso auferstehen lassen.

Picassos innere Welt sei aber wie eingefroren und taue nur langsam auf, wird berichtet. Damit die menschlichen Regungen zurückkehren würden, bedürfe es einer ganz besonderen Obhut, so die futuristischen Forscher. Für diese anspruchsvolle Aufgabe konnten sie glücklicherweise den Künstler Pavel Pepperštein gewinnen, der sich während eines Jahres um seinen Schützling gekümmert hat. Dieser habe ihn allerdings anfangs weniger an den spanischen Künstler erinnert als vielmehr an einen psychiatrischen Patienten mit Aphasie, weiss Pepperštein zu vermelden.

Fiktive Picasso-Geschichten

Die Ausstellung in Zug zeigt jetzt unter anderem 45 Gemälde, die unter Picassos Pinselführung entstanden seien, so die fiktive Geschichte. Ganz im Zeichen des Moskauer Konzeptualismus – Pepperštein war nach dem Niedergang des sowjetischen Kommunismus Gründungsmitglied einer konzeptualistischen Künstlergruppe – ist die Rolle der Urheberschaft von nicht allzu grosser Relevanz.

Zur Arbeitsweise des Konzeptualismus passt auch, dass neben der Malerei das Thema literarisch und filmisch bearbeitet wird. In jedem Raum kommentieren fiktive russische Wissenschaftler in Videos diese Auferweckungsgeschichte und die daraus entstandenen Arbeiten.

Malerei, Film und Literatur

Im Gegensatz zu Picassos früheren rosa und blauen Phasen entstanden – nach zwar zähen Anfangsschwierigkeiten – in einem fruchtbaren fiktionalen künstlerischen Austausch eine graue, violette, rote, schwarze, grüne und schliesslich eine weisse Periode.

Sechs Ausstellungsräume des Museums sind je einer dieser sechs Farbperioden gewidmet und wie die Ausstellungsmacher betonen, sollten die Räume in dieser Reihenfolge durchschritten werden.

Da der umfangreiche Text fester Bestandteil der Ausstellung ist, verlassen Besucher, die sich die Zeit fürs Lesen nicht nehmen, das Museum möglicherweise etwas orientierungslos.

Die fortlaufende Geschichte dazu, ein bisschen scheint das alles aus einem russischen Märchenbuch entstiegen zu sein, hängen in Deutsch und Russisch an den Wänden eines jeden Raumes. Da dieser umfangreiche Text ein fester Bestandteil der Ausstellung ist, verlassen Besucher, die sich die Zeit fürs Lesen nicht nehmen können oder wollen, das Museum möglicherweise etwas orientierungslos.

Viele Bilder erinnern durchaus an den uns bekannten Picasso: kubistische Auseinanderfaltung, üppige Frauen, die ihre Schenkel weit auseinanderspreizen, Zentauren und Harlekins.

Auch die Porträtierten der grauen Phase, die allesamt mit Euro-Geldscheinen in den Händen der Besucherin entgegenwinken, erinnern durchaus an den früheren Picasso. Im Gegensatz dazu sind im violetten Raum streng geometrische, abstrakte Bilder zu sehen, die dem russischen Konstruktivismus verpflichtet sind.

Im roten Raum steht die Sexualität im Vordergrund, die Farbe Grün sei wichtig im Sufismus und im weissen Raum erinnert wiederum nichts mehr an den grossen Meister der Moderne. Dort nämlich sind die typisch Pepperšteinschen Zeichnungen des russischen Märchenhelden Kolobok zu sehen: runde Gesichtchen, lächelnd und mit geschlossenen Augen, ein Symbol für das Sich-Entziehen, auch für eine Flucht vor jeglicher Form von Interpretation und Identitätszuschreibung. Ein bisschen, aber eben doch nicht ganz, erinnert dieses Farb- und Raumkonzept zusammen mit der Geschichte an die östliche Chakrenlehre.

Eine anregende Ausstellung

Die Ausstellung in Zug ist eine fantastische, spiritistische und metaphysische Auseinandersetzung mit der russischen Seele, mit dem Leben, dem Tod und den möglichen Welten dazwischen. Es ist aber auch ein Dialog zwischen Russland und Europa, die für einmal in etwas anderer Form als sonst geführt wird. Im Zuger Kunsthaus begegnet man nicht nur Picasso, auch Realität und Fiktion reichen sich dort zurzeit die Hand. Eine gelungene und vor allem anregende Ausstellung!

Die Ausstellung Pavel Pepperštein – Die Auferstehung Pablo Picassos ist bis am 21. Mai im Kunsthaus Zug zu sehen.

Pavel Pepperštein

Pavel Pepperštein, geboren 1966 in Moskau, gilt als einer der bedeutendsten in Russland lebenden Künstler. 2009 hat er an der Biennale in Venedig sein Land vertreten, 2014 nahm er an der Manifesta in St. Petersburg teil. Pepperštein arbeitet auch als Schriftsteller und Kunstkritiker. In Zug war er erstmals 1998 zu sehen, mit der aktuellen Ausstellung gastiert er bereits zum sechsten Mal im Kunsthaus.

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