Neuen Lebenssinn durch Kunst aus der Dose

Monstergraffitis setzen diesen Maler unter Strom

Neues Kraftwerk in Steinen: Besucher vor dem fast 200 Quadratmeter grossen Graffiti des Künstlers Ralph Hospenthal.

(Bild: slam)

Ralph Hospenthal hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich: vom illegalen Sprayer zum erfolgreichen Auftragsmaler. Ein schicksalshafter Unfall brachte seiner Karriere die entscheidende Wende und seiner Leidenschaft unermüdliche Motivation. Wie der Zuger 390 Quadratmeter Kunst an die Wand bringt.

Mit seinen riesigen Bildern will ein junger Künstler mit Zuger Wurzeln ganz hoch hinaus. Auf seinem Weg hat der 31-Jährige schon so manche Hürde gemeistert: Seone, mit richtigem Namen Ralph Hospenthal, machte sich als Teenager wegen illegaler Graffitis strafbar und erlebte nach einem Velo-Unfall eine Nahtoderfahrung. Seither scheint der Künstler wie neu geboren, auch künstlerisch. Graffitis von monströsen Dimensionen sind sein neues Geschäft. Grössenwahnsinnig? Zwanghaft perfektionistisch? «Nah dran», sagt der gelernte Schriftenmaler, als wir ihn bei der Eröffnung seines neuen Werks in Steinen besuchen. Eine riesige Turbine dreht bedrohlich über den Köpfen der Besucher an den Wänden eines Kraftwerks.

Über-Lebensgrösse: die Lieblingsdimension des jungen freischaffenden Artisten mit Zuger Wurzeln.

Über-Lebensgrösse: die Lieblingsdimension des jungen freischaffenden Artisten mit Zuger Wurzeln.

(Bild: slam)

Insgesamt waren die Besucher von fast 200 Quadratmetern Kunst aus der Dose umgeben. Aus der Spraydose. Dieses und andere Bilder von Ralph Hospenthal erwecken beim Betrachter den Eindruck, als stünde er mittendrin in Alice’ Wunderland. Nicht allzu lange ist es her, dass Hospenthal seine Lehre in Zug beendet hat, nun arbeitet er seit zwei Jahren professionell an einigen der grössten Bildern der Schweiz. Wir sprachen mit Hospenthal über seine Bilder und seine neu geschöpfte, schöpferische Kraft.

«Nach einigen Jahren mit der Zuger Graffitigruppe Begas habe ich mich dann definitiv davon verabschiedet, musste aber während meiner Lehre in Zug eine Busse in Höhe eines gut fünfstelligen Betrages abbezahlen. Das war hart.«

Ralph Hospenthal, Auftragsmaler

zentralplus: Ralph Hospenthal, viele Leute sind bei der Einweihung Ihres Kunstwerks vor Ort und betrachten begeistert Ihr enormes Wandgemälde. Zufrieden?

Ralph Hospenthal: Ich bin zwar noch etwas müde von der letzten Nacht, es waren über hundert Stunden Arbeit, von der Entwicklung, Umsetzung bis zum Abschluss letzte Nacht. Aber das war es definitiv wert, wenn die Besucher am Schluss mit derart grossen Augen vor meinem Bild stehen. (Sperrt seine Augen auf.) Dieser Moment ist für mich immer wieder elektrisierend.

Ralph Hospenthal ist jetzt eigenständig tätig.

Ralph Hospenthal ist jetzt eigenständig tätig.

(Bild: zVg)

zentralplus: Ihre Karriere hat aber nicht ganz so glamourös angefangen.

Hospenthal: Nein, mit 14 kam ich bei einer Schulreise nach Basel erstmals mit Graffitis in Berührung. Nach einigen Jahren mit der Zuger Graffitigruppe Begas habe ich mich dann definitiv davon verabschiedet, musste aber während meiner Lehre in Zug eine Busse in Höhe eines gut fünfstelligen Betrages abbezahlen. Das war hart. Als ich mich entschloss, professionell zu sprayen, habe ich ein Atelier gemietet und meine Arbeit in drei Bereiche gegliedert, ganz legal: Privat- und Geschäftskunden sowie Workshops. Dafür musste ich mit meinen eigenen, freien Bildern halt etwas kürzer treten.

«Ich hab daraus definitiv neue Kraft und einen stärkeren Willen im Leben geschöpft.»

Auch diesem Kraftwerk im Kanton Schwyz hat er mit seiner Kunst neues Leben eingehaucht.

Auch diesem Kraftwerk im Kanton Schwyz hat er mit seiner Kunst neues Leben eingehaucht.

(Bild: slam)

zentralplus: Sie hatten vor sechs Jahren einen schweren Unfall. Wie hat Sie dieser Einschnitt verändert?

Hospenthal: Ich hab daraus definitiv neue Kraft und einen stärkeren Willen im Leben geschöpft. Ich gehe weniger in den Ausgang, denn wenn man ein Lebensziel hat, sollte man es konsequent verfolgen. Ich habe ganz klar gesehen, wo meine berufliche Reise hingehen wird. Mein Leben wurde mir dadurch neu vor Augen geführt. Ich bin sozusagen vom Licht am Ende des Tunnels an ein neues Licht an meinem beruflichen Horizont gelangt. Irgendetwas anderes zu machen, erscheint mir seit dem Vorfall unlogisch und eine Zeitverschwendung.

«Auch Leonardo Da Vinci soll’s ja kaum länger als eine bis zwei Stunden pro Nacht im Bett ausgehalten haben, wenn er eine Arbeit zu erledigen hatte, und geschadet hat’s bei ihm ja nicht.»

zentralplus: Wie kommt man überhaupt dazu, solche aufwändigen Bilder zu malen?

Hospenthal: Es fängt oft mit einem Logo an, das mir Kunden schicken, dieses versuche ich dann ähnlich wie ein Handwerker auf einer Wand optimal zu platzieren. Auch wenn es viel körperliche Arbeit bedeutet, kann das Sprayen sehr kopflastig sein. Kleine Bilder wären sicher einfacher zu malen …

zentralplus: Diese machen Ihnen dann aber keinen so grossen Spass.

Hospenthal: … genau. Für mich vergeht die Zeit dabei wie im Flug, auch wenn ich mir Grosses vornehme, die neuste Offerte ist für ein Werk, das 26 auf 15 Meter misst, also 390 Quadratmeter. Ich kann dann mit Spraydosen viel freier und schärfer malen als z.B. bei kleinen Airbrush-Bildern. Farbige Schattierungen und Nuancen, die ich vom Graffiti her sehr gut beherrsche, geben einem Bild dann eine unglaubliche Tiefe. Es ist, als würden die Leute beim Ansehen dann ins Bild eintauchen.

<p>Das Büro des Künstlers: Aussicht auf die Berge und viel Grün.</p>

(Bild: slam)

zentralplus: Haben Sie sich auch schon zu viel vorgenommen bei einem Auftrag?

Hospenthal: Sicher, sogar andauernd (lacht). Aber es ist alles eine Frage der Organisation, wenn man Projekte rechtzeitig abschliessen will. Der Aufwand lohnt sich aber nicht nur für mich. Viele Firmen begreifen noch gar nicht, was für Projekte ich für firmeninterne Zwecke realisieren kann. Inserate sind beispielsweise viel teurer als ein Firmenbild, das für 20’000 Franken schon recht gross an einer Fassade angebracht werden kann und über Jahre eine anziehende Wirkung erzielt. Ein Inserat ist gleich mit der nächsten Zeitungsausgabe wieder vergessen.

Graffiti im Wasserkraftwerk Steinen

360-Grad-Ansicht des neusten ‹Monstergraffitis› von Seone. Das Interview mit dem jungen Künstler unter http://www.zentralplus.ch/f/+vj12j #Graffiti

Posted by zentralplus on Mittwoch, 21. September 2016


zentralplus: Wer ist König: die Kunst oder der Kunde?

Hospenthal: Wenn ich mir oder einem Kunden eine Frist gesetzt habe, ist es mir extrem wichtig, diese auch einzuhalten, im Notfall mit einigen Überstunden auf meine Rechnung. Da bin ich manchmal schon nah einem krankhaften Perfektionismus.

zentralplus: Wie schafft man es, so lange die Konzentration aufrechtzuerhalten?

Hospenthal: Das hab ich mich auch schon gefragt, aber sicher mit grossen Abstrichen beim Schlaf. Motivation ist wie eine Droge. Wie vielen anderen Künstlern kommen mir unter Zeitdruck oder Schlafmangel manchmal einfach die besseren Ideen und die grösste Inspiration, das ist höchst spannend. Aber das scheint eine Berufskrankheit zu sein. Auch Leonardo Da Vinci soll’s ja kaum länger als eine bis zwei Stunden pro Nacht im Bett ausgehalten haben, wenn er eine Arbeit zu erledigen hatte, und geschadet hat’s bei ihm ja nicht.

<p>Ordnung muss sein, auch im Atelier des Künstlers.</p>

(Bild: slam)

zentralplus: Haben Sie neue Hobbys, jetzt wo Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht haben?

Hospenthal: Ja, ich tüftle gerne oder optimiere mein Atelier. Erst kürzlich habe ich mir ein eigenes kleines Ökosystem mit Nebelmaschine im Büro eingerichtet, um die Luftfeuchtigkeit natürlich zu regulieren. Man muss eben doch auch Freude an kleinen Dingen haben.

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