Luzern: Strassentheater der Compagnie Trottvoir:

«Am Anfang wurde das Universum erschaffen – das macht heute noch Leute hässig»

(Bild: Maël Stocker)

Das ist kein Gute-Laune-Spektakel, im Gegenteil: Die Compagnie Trottvoir bringt ein schweres, aber starkes Stück auf den Jesuitenpatz. Exekutions-Explosionen und Schuldfragen – und warum das trotzdem ein Publikums-Erfolg ist.

Von weitem fällt die gewaltige Menschenmenge auf dem Jesuitenplatz auf – zählen ist genauso unmöglich wie ein Durchkommen. An der Spitze der Menschentraube ein Zirkuswagen, eingekleidet mit Wellblech. Links und rechts ein hohes Gerüst, auf dem einen ein Trapez, auf dem anderen Schlagzeug, Bass und Gitarre.

Die Compagnie Trottvoir gastiert wieder in Luzern. Noch bis Sonntag zeigt das zehnköpfige Zirkustheater jeweils um 16 und 20 Uhr seine neue Produktion «Überall niemand». Während der 45-minütigen zirzensischen Performance begeistert die Show durch ihr harmonisches Zusammenspiel von poetischen Bildern, gesellschaftskritischen Ausrufen und gekonnter Artistik.

Träumer mit Vollgas

Das Ensemble stürmt den Platz. Unverständliches Geschrei, ein Geknäuel. Dann plötzliche Stille. Manchmal habe er den Wunsch, «die Ohrstöpsel ins Ohr zu stecken, den Pamir drüber zu stülpen und den Kopf tief ins Wasser zu drücken. So lange, bis alles farbig wird. Wunderschön farbig». «Er» ist namenlos, wie überhaupt alle im Stück. Es geht ums Mensch-Sein, um Macht, um Spiel, um Ohnmacht, um Grenzen und das Überschreiten ebensolcher.

«Niemand trägt die Schuld – aber alle tragen mit»

Compagnie Trottvoir

«Wir sind Träumer – vollgas und risikoreich!» wird begeistert kundgetan. Und die Truppe träumt, musiziert und spielt in einer Mischung aus Bewegungstheater, Zirkus und Performance. Vertikaldiabolo und Trapez beispielsweise wird auf bestechendem Niveau gezeigt. Immer wieder blitzen in der 45minütigen Show neben dem artistischen Können gesellschaftliche Themen auf – hierbei fasziniert die gefundene Balance zwischen kryptischem Ausdruck und spitzen Monologen.

Schweres Stück, kein Gute-Stimmung-Spektakel

«Am Anfang wurde das Universum erschaffen – das macht heute noch Leute hässig»; es sind pointierte Aussagen wie diese, welche dem Schemenhaften der Show eine wage Form geben und die fragende und suchende Haltung der Truppe zum Ausdruck bringen.

Keine Geschichte, aber viel Träumerei: Die Compagnie Trottvoir zieht in Luzern das Publikum in ihren Bann.

Keine Geschichte, aber viel Träumerei: Die Compagnie Trottvoir zieht in Luzern das Publikum in ihren Bann.

(Bild: Maël Stocker)

«Überall niemand» unter der Regie von Damian Dlaboha unterscheidet sich stark von den bisherigen Trottvoir-Produktionen. Die Artistik beschränkt sich auf Akrobatik, Keulenjonglage, Diabolo und Trapez. Weder Kunsträder noch Zauberei, weder Hutjonglage noch Einrad sind mit auf der Tour. Keine Freude, kein Gute-Stimmung-Spektakel, keine fassbaren Personen stehen auf dem Programm. Es ist Dynamik, Politik, Kunst. Aber auch Bewegungstheater, Musik, Wagnis und Experiment. Mutig und ein starkes Stück Theaterperformance. Trotz der Schwere des Stücks gelingt es, auch die Kleinsten im Publikum zu Begeistern – starke Bilder, gelungene Publikumsinteraktionen und feiner Humor durchweben die Show.

Das Stück lädt zum Stehenbleiben und begeisterten Zuschauen ein – um dann mit Exekutions-Explosionen zum Weiterdenken und Hinterfragen anzuregen, denn «niemand trägt die Schuld – aber alle tragen mit». Wer sich darauf einlässt, freut sich über eine Performance, die sich nicht mit Spektakel begnügt.

Eine eigentliche Geschichte gibt es nicht. Das Stimmengewirr, der Lärm. Die Ruhe. Die Pausen. Und immer wieder eine dynamische, präzise Körperlichkeit. Davon lebt «Überall niemand». Wenn am Schluss der eine sagt «Ich habe das Spiel gewonnen» – so ist es Ausdruck der gelungenen Darbietung, dass das Publikum zusammenfährt und erstmal betroffen schweigt, bevor der Applaus über den Platz brandet.

Die Compagnie Trottvoir – eine bunte und vertraute Truppe

2011 wurde das Ensemble der Compagnie Trottvoir von ehemaligen und bestehenden Mitgliedern des Jugendzirkus Tortellini aus Luzern gegründet. Noch heute sind 6 der 10 Trottvoirs ehemalige Tortellinis – inzwischen sind fast alle hauptberuflich in den darstellenden Künsten tätig. Als Compagnie Trottvoir sind die Artistinnen und Artisten noch bis Ende August unterwegs. Die Tournée führt quer durch die Schweiz. Nächster Halt nach Luzern ist am 02. August St. Gallen.

Der Eintritt ist frei. Die Compagnie lebt aber hauptsächlich von den Einnahmen aus der Hutkollekte. Nur bei starkem Regen wird die Show nicht durchgeführt. Über Spiel oder Absage wird auf der Homepage informiert. Zum Schluss ein Tipp: Wer auf einem der Holzbänke vor der Bühne Platz finden möchte, muss rechtzeitig vor Ort sein. Die Luzerner Première war ein riesiger Publikumserfolg.

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