Annette Windlin und Gisela Widmer packen aus

Zwei Alphatiere machen ganz schön Theater

Annette Windlin (links) und Gisela Widmer – ein eingespieltes Team in der Theaterwelt. (Alle Bilder: jav)

Gisela Widmer und Annette Windlin – zwei Namen, um welche man in der Zentralschweizer Theaterszene nicht herumkommt. Und das ist kein Wunder. Im Interview mit zentralplus sprechen die beiden über ihr neustes Projekt und auch über einander.

Gisela Widmer und Annette Windlin haben bereits einige gemeinsame Produktionen auf die Beine gestellt. Derzeit sind die beiden mit der nächsten Freilichtproduktion 2017 auf Tribschen beschäftigt (zentralplus berichtete). Für das Stück «Die Vögel» (Arbeitstitel) sind Widmer als Autorin und Windlin als Regisseurin engagiert – wofür die Arbeiten bereits in vollem Gange sind. zentralplus hat die beiden deshalb zum gemeinsamen Gespräch getroffen:

zentralplus: Die nächste Freilichtproduktion auf Tribschen wird euer nächstes gemeinsames Werk. Am 4. Juli findet schon die Infoveranstaltung statt. Worauf können wir uns gefasst machen?

Gisela Widmer: Es wird sehr erheiternd und aufregend schön.

Annette Windlin: Und farbig!

zentralplus: Wo steht ihr momentan mit der Arbeit?

Windlin: Für diese Produktion haben wir eineinhalb Jahre Vorlaufzeit. «Die Vögel» von Aristophanes ist ein schwieriger Stoff mit einer schwierigen Dramaturgie und damit eine grosse Herausforderung. Aber es ist eine sehr lustvolle Arbeit – vor allem im Team mit Gisela und Ruth Mächler, der Ausstatterin. Was jetzt grösstenteils abgeschlossen ist, ist die Konzeptarbeit – die Frage nach der Ästhetik, der Aussage.

Widmer: Und seit zwei Monaten schreibe ich jetzt. Und ich schreibe mal wieder so richtig gerne.

«Provinz ist im Kopf.»
Gisela Widmer

zentralplus: Was ist denn die Aussage des Stücks?

Widmer: Es geht um die ewig menschliche Sehnsucht nach einer idealen Welt. Nicht nach einer Utopie, sondern einer Eutopie; einem guten Ort. Unsere Welt ist düster geworden und die Sehnsucht nach Befreiung und Schönheit entsprechend gross. «Die Vögel» ist eine hoffnungsvolle Geschichte. 

Windlin: Aber nicht naiv.

zentralplus: Ihr arbeitet nicht das erste Mal gemeinsam. Und ihr scheint beide ziemliche Alphatiere zu sein. Geht das gut, oder klöpft’s bei euch auch mal?

Widmer: Es ist wahr. Alphatiere sind wir beide. (Sie lachen und nicken sich zu) Aber wir haben keine Angst vor Auseinandersetzung. Ich will und kann auch nicht mit einem Mauerblümchen zusammenarbeiten, welches immer Ja und Amen sagt.

Windlin: Wichtig ist der Respekt vor der Arbeit des anderen. Es funktioniert, wenn alle, die mit am Tisch sitzen, Ahnung davon haben, was sie tun, und die Arbeit des anderen schätzen und nutzen.

Widmer: Gerade bei so grossen und künstlerisch ambitionierten Kisten wie dem Freilicht trägt man eine grosse Verantwortung und da kann man sich nicht zurückhalten.

«Scheitern ist überall möglich – auf der Laienbühne genauso wie auf der Kleintheater- oder Stadttheaterbühne.»
Annette Windlin

zentralplus: Ihr seid immer wieder bei verschiedensten Theaterproduktionen beteiligt. Was ist das Besondere am Freilicht?

Windlin: Dass man mit dem grossen Pinsel malen, mit der grossen Kelle anrühren kann. Man kann alles grösser denken – die Bühne, Kostüme, die Bilder insgesamt.

Geballte Frauenpower

Gisela Widmer lebt als freischaffende Autorin für Profi- und Laienbühnen in Luzern. 1983 war sie Hausautorin am damaligen Stadttheater Luzern und ist diesem bis heute eng verbunden – als Autorin, aber auch als Mitglied des Stiftungsrats. Ab 1986 war die Journalistin Gisela Widmer für diverse Medien als Korrespondentin in Südasien mit Sitz in Delhi und danach während elf Jahren in London.

Die Fachzeitschrift «Schweizer Journalist» ehrte Widmer mehrere Male als beste Kolumnistin des Landes. 2001 verabschiedete sie sich jedoch vom Journalismus und widmete sich wieder hauptsächlich dem Theater. Als Dozentin an der Schweizer Journalistenschule MAZ ist die 58-Jährige ebenfalls tätig.

Die 56-jährige Annette Windlin arbeitet als Regisseurin, Schauspielerin und Theaterpädagogin. Sie absolvierte nach der Dimitrischule eine klassische Ausbildung zur Schauspielerin und später zur Theaterpädagogin. In den vergangenen 30 Jahren hat Windlin unzählige Projekte mit diversen professionellen und Laien-Theatergruppen verwirklicht. Darunter auch richtig grosse Kisten wie «Big Bang» in der Zementfabrik Brunnen oder das Freilichtspektakel Morgarten – der Streit geht weiter.

2008 wurde Windlin mit dem Anerkennungspreis des Kantons Schwyz und 2010 mit dem Innerschweizer Kulturpreis ausgezeichnet. Auch kulturpolitisch ist Windlin, ebenso wie Widmer, in der Zentralschweiz sehr aktiv – beispielsweise als Vertreterin der freien professionellen Theaterschaffenden im Theater Werk Luzern (TWL).

Widmer: Es ist ein Privileg, fürs Freilicht auf Tribschen arbeiten zu können. Die Struktur, die ganze Organisation, die zur Verfügung gestellt wird, funktionieren extrem professionell. So kann man sich als Künstler völlig auf die Produktion konzentrieren. Häufig ist es so, dass man zu 70 Prozent organisatorische Arbeiten erledigt, wie dem Geld hinterherzurennen. Der ganze Krampf, der nichts mit Kunst zu tun hat, fällt hier weg.

Windlin: Es ist wirklich ein grosser Unterschied, ob man ein Projekt selbst auf die Beine stellt – von Beginn an. Bei «Big Bang» in Brunnen war das so. Da war alles – von der ersten Idee bis hin zum letzten Stuhl und letzten Rappen – meine Verantwortung und die meines Teams. Bei einer Auftragsarbeit kann man sich nur auf die Kunst konzentrieren.

zentralplus: Nachteile?

Widmer: Ich sehe nur Vorteile.

Windlin: Ich bin halt schon auch gern mein eigener Chef. Bei Auftragsarbeiten stehst du immer in einer Verpflichtung. Im besten Fall ist es eine tolle Zusammenarbeit wie die jetzt. Es kann aber auch hinderlich sein für die künstlerische Arbeit, wenn ein Verein so ganz anders tickt als du.

zentralplus: Geht man nach so grossen Kisten gerne zurück auf die kleine Bühne?

Windlin: Definitiv. Ich habe auch etwas Sehnsucht danach. Etwas mit nur zwei Schauspielern zu machen oder auch mal wieder selbst auf der Bühne zu stehen. Aber ich komme gerade einfach nicht dazu.

zentralplus: Gisela, spielst du auch?

Widmer: Ich kann nicht schauspielern. Ich kann nur mich selbst sein. (Sie lacht)

zentralplus: Was ist das Besondere an der Theaterszene in der Zentralschweiz?

Windlin: Wir leben in einer tollen Region für Laien – es gibt Produktionen auf sehr hohem Niveau. Diese Tradition bietet einen grossen Reichtum und es ist sehr beglückend, all die Möglichkeiten zu haben. Und es befruchtet sich gegenseitig. Leider ist der Boden für professionell arbeitende Truppen in der Zentralschweiz eher steinig.

Widmer: Da viele Profiregisseure hier seit Jahrzehnten mit Amateuren arbeiten, sind auch wirklich gute Spieler entstanden. Das ist ein langjähriger Prozess, welcher in der Zentralschweiz schon seit langem Früchte trägt.

zentralplus: Ist das fürs Profitheater ein Nachteil? Das Publikum ist oft ja nicht so differenziert. Konkurrenziert sich das dann und die Leute gehen weniger ins Stadttheater?

Widmer: Ich hab kürzlich im Rahmen des Sehnsuchts-Projekts der Albert-Koechlin-Stiftung eine grottenschlechte Produktion gesehen. Das Publikum aber hat teilweise hinterher davon geschwärmt. Ich war entsetzt, das hat mir echt fast das Herz gebrochen. Ich wollte sagen: Kommt ins Luzerner Theater und schaut euch an, was grossartiges Theater ist.

Windlin: Es ist so, dass sich Laien vor allem Laienproduktionen anschauen und weniger Profitheater. Es besteht wohl eine Schwelle – eine gewisse Scheu und eine Angst davor, diese «Kunst» nicht zu verstehen. Obwohl auch Laientheater teilweise sehr komplexe Inszenierungen und schwierige Stoffe auf die Bühne bringen. Ich finde das sehr schade. Denn auch im professionellen Theater kann man das meiste sehr gut verstehen, wenn man sich darauf einlassen kann. Und auch Scheitern ist überall möglich – auf der Laienbühne genauso wie auf der Kleintheater- oder Stadttheaterbühne. Das ist in der Kunst so.

zentralplus: Wie seht ihr dem Intendanten-Wechsel am Luzerner Theater entgegen?

Windlin: Ich freue mich sehr auf das Angedachte. Benedikt von Peter gibt alles, wirbelt vieles auf. Der neue Auftritt, die neuen Spielorte wie die Box – ich find’s super. Die Energie ist spürbar.

zentralplus: Gibt es vonseiten des Luzerner Theaters tatsächlich eine Öffnung und Annäherung an die Vielfalt der verschiedenen Theater?

Widmer: Das ist so. Denn von Peter denkt nicht in Grenzen und strahlt das auch aus. Er ist zugänglich und offen den Gruppierungen und Szenen gegenüber, bewegt sich in verschiedensten Kreisen. Das braucht es. Ein Aufbrechen dieses Gärtlidenkens. Man muss Schwellen überwinden und Synergien nutzen.

Windlin: Und von Peter hat die Möglichkeiten und das Geld, um die Synergien durch eine Öffnung des Luzerner Theaters zu nutzen. Von sich aus. Wir haben diese Möglichkeit nicht. Und der Glücksfall ist, er tut es schon.

«Luzern darf keine drittklassige Provinzstadt ohne Theatergebäude werden – oder dann ohne mich.»
Gisela Widmer

zentralplus: Aufbrechen ist das Stichwort. Braucht es dafür ein neues Haus?

Windlin: (lacht und schaut erwartungsvoll zu Widmer)

Widmer: (bestimmt) Ja. Denn die Lebensdauer des jetzigen Theaters ist noch auf 8 bis 12 Jahre beschränkt. Das ist so.

Windlin: Gleichzeitig muss sich aber auch die Szene entwickeln. Das was jetzt passiert mit der Annäherung der verschiedenen Akteure und Szenen, ist ein Prozess, der seit Jahren läuft. Dass man die andere wahrnimmt und schätzt. Die Achtung vor der Arbeit und dem Standpunkt der anderen ist gewachsen. Und das sind die Grundbedingung für Synergien. Natürlich sind wir noch nicht angekommen. Wir werden nie ankommen, aber der Prozess muss weitergehen.

zentralplus: Wie geht es weiter?

Windlin: Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wie und ob es weitergeht mit dem neuen Haus. Aber der inhaltliche Prozess ist losgetreten.

Widmer: Luzern darf keine drittklassige Provinzstadt ohne Theatergebäude werden – oder dann ohne mich. Es braucht eine neue Infrastruktur, das ist unbestritten.

Windlin: Das ist bei allen unbestritten. Aber die Fragen sind: Wo und wie gross und wie teuer?

zentralplus: Gerade bei solchen Diskussionen – habt ihr nicht auch mal genug von dem Kaff hier? Ab nach Berlin oder Wien?

Windlin: Nein, gar nicht. Klar ist es wichtig, immer mal wieder rauszukommen. Ein halbes Jahr New York zum Beispiel. Das hat bei mir eine enorme Schaffensperiode ausgelöst. Und es ist auch wichtig, Leute von ausserhalb zu holen, um sich auszutauschen. Aber schlussendlich ist es egal, wo ich arbeite, wenn die Arbeit mich ausfüllt.

Widmer: Ich war bis 2001 im Ausland. Ich war lange fort und fand es sehr bereichernd. Aber jetzt will ich nicht mehr fort. (Sie lacht) Ich bin in der Zentralschweiz stark eingebunden und richtig glücklich. Klar bin ich trotzdem viel unterwegs, aber ich will mich nicht anbiedern und erniedrigen, um irgendwo hinzukommen – nach Berlin zum Beispiel. Ich will mich nicht unglücklich machen. Ich habe hier ein so bereicherndes Umfeld und ich finde die Region und die Leute auch gar nicht provinziell. Provinz ist im Kopf.

zentralplus: Könnt ihr uns bitte die jeweils andere in wenigen Worten beschreiben?

Widmer über Windlin: Annette ist persönlich sehr geradlinig und offen. Im Beruf kreativ, verbissen im positiven Sinne, präzise und ungeduldig. Das bin ich auch. (Sie lacht.) Und sie ist «fadegrad».

Windlin über Widmer: Gisela ist eine intelligente, schnell denkende und impulsive Frau. Und sie kann sich extrem leidenschaftlich in ein Thema reinhängen.

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