Eine neue Ära im Luzerner Theater

Schluss mit «Regietheater» – Schluss mit «schönen Tönen»

Das offizielle Bild des neuen Leitungsteams ab der Spielzeit 2016/17: Regula Schröter, Brigitte Heusinger, Adrian Balmer, Susanne Benedek, Benedikt von Peter, Clemens Heil, Kathleen McNurney und Peter Klemm (v.l.n.r.).

 

(Bild: Marco Sieber)

Das Theater steht vor einer Wende. Und das nicht nur in Luzern. Im September beginnt hier eine neue Ära unter dem jungen Intendanten Benedikt von Peter. Und dabei soll sich nicht nur räumlich vieles ändern. Das führt aber auch zu Verunsicherung.

Kürzlich hat das neue Team des Luzerner Theaters das Programm für die Spielzeit 2016/17 bekannt gegeben (zentralplus berichtete). Und dabei gab es einige Überraschungen.

So werden nicht nur neue Menschen ins Haus einziehen, Jugendliche das Haus besetzen und Luzerner Mütter die Bühne bekochen, es werden auch neue Räume Teil des Theaters. So etwa die Box, die gerade neben der Jesuitenkirche gebaut wird, die Jesuitenkirche selbst oder die Viscosi in Emmen. Und auch das Theatergebäude wird auseinandergenommen.

Doch was heisst das alles für das Luzerner Publikum? Und wer sind diese neuen Leute, die in Luzern künftig Kultur produzieren werden? Der Theaterclub Luzern will es wissen. Dazu lud der altehrwürdige Verein die vier Neuen des künstlerischen Teams zur Fragerunde ein. Im Theater-Pavillon im Tribschenquartier wurden sie von vier Mitgliedern des Theaterclubs zu ihren Plänen und Visionen befragt. Und dabei wurde eines klar: Eine Neue Ära steht an.

Loslegen, Kennenlernen

Die stellvertretende Intendantin Brigitte Heusinger macht im Gespräch mit dem Theaterclub-Präsidenten Philipp Zingg den Anfang und dabei auch gleich klar: Es muss jetzt losgehen. «Wir haben nun schon so lange Theater im Kopf gemacht. Jetzt wollen wir es endlich praktisch angehen.» Dabei gehe es zu Beginn auch stark darum, einander bei der Arbeit richtig kennenzulernen. Denn Theater sei eine Kompromissarbeit, betont Heusinger. Ein Schriftsteller oder Maler arbeitet für sich alleine. Beim Theater hingegen treffen so viele verschiedene Künstler und Meinungen aufeinander. Das werde eine der grossen und schönsten Herausforderungen.

Für das Ende des verpönten «Regietheaters» – dieser bedeutungsschwanger vorgetragenen Symbole – sei die Zeit nun langsam aber sicher gekommen. Es gehe zurück zu den Menschen und ihren Geschichten.

«Wir wollen kein Theater, das schlauer als sein Publikum sein will.»
Regula Schröter, künftige Leiterin der Sparte Schauspiel am Luzerner Theater

Hier knüpft auch die künftige Leiterin der Sparte Schauspiel, Regula Schröter, im Gespräch mit Stefan Graber an. Der gebürtigen Luzernerin geht es vor allem um Geschichten, betont sie, ums Erzählen. Dabei will sie auch dokumentarisch arbeiten. Es gehe darum, was hinter den historischen Stoffen stehe – die Geschichten, die Emotionen. Und was die Leute hier in Luzern zu erzählen haben. Man wolle schliesslich Theater in Luzern machen. Das heisse auch mit und für Luzern und die Region.

Auch Schröter kommt auf das Thema Regietheater zu sprechen, «welches in den letzten Jahren immer mehr zu einem bösen Wort geworden ist». Tatsächlich wolle man davon eher wegkommen. «Wir wollen keine Konzepte über Stoffe stülpen. Wir wollen kein Theater, das schlauer als sein Publikum sein will», betont sie dabei.

Natürlicher werden, fühlen dürfen

Der dritte der vier Bremer Stadtmusikanten in Luzern, wie Michael Kaufmann, Direktor der HSLU und Mitglied des Theaterclubs, sie nennt (siehe Box unten), ist der künftige Musikdirektor Clemens Heil. Dieser nennt auch die Veränderung in der Oper – im Musiktheater. «Der schöne Ton» sei ebenfalls immer mehr in Verruf geraten.

Die neue Musik auf der Bühne will weniger künstlich sein. Es gehe darum, immer natürlicher und direkter zu werden. Und das soll sich auch das Publikum trauen. Es soll sich trauen, zu fühlen, offen zu sein und die Inhalte an sich heranzulassen.

Kleine Preise

Das Luzerner Theater hält seine Eintrittspreise in dern nächsten Spielzeit stabil. Im Abo bleibt man breit aufgestellt mit 18 Abonnements, verpackt diese aber nunmehr in 5er- und 10er-Pakete. Statt eines Wahl-Abos setzt das Theater auf Cards: die LT Cards. Es gibt sie als «LT Halbtax» für Leute mit flexibler Agenda und als «LT Flat» für alle in Ausbildung bis 30 Jahre: Für nur 99 Franken können sie sechs Monate ins Theater, sooft sie möchten.

Theater als Grundversorger

Peter Mendler will als Erstes vom künftigen Intendanten Benedikt von Peter wissen, wie seine Vision für ein Theater der Zukunft aussehe. Und wie das in Luzern konkret umgesetzt wird.

Von Peter geht dabei als Erstes auf die Neue Theaterinfrastruktur (NTI) und das Theater Werk Luzern (TWL) ein. Die Vision einer neuen Form von Theater, eines neuen Gebäudes und einer Zusammenarbeit über die verschiedenen Szenen hinweg sei in Luzern ja bereits seit Jahren Thema. Und seit 2014 ist auch von Peter Teil dieser Diskussionen im TWL.

Das Publikum sei viel spezialisierter als früher. Es hätten sich verschiedene Szenen gebildet – Leute, die eine bestimmte Form von Theater oder Kunst für sich entdeckt hätten und weniger fluktuieren würden. Damit das Stadttheater wieder ein Grundversorger von Kultur werde, müsse man sich neu finden und das Theater wieder mehr zu einem sozialen Ort machen. Dabei gehe es auch darum, die Interessen und Gruppen zu vereinen und Gräben zu überwinden. Gemeinsam mit anderen Kulturveranstaltern und dabei auch für Menschen, die dem Theater sonst öfters fernbleiben.

Michael Kaufmann, Clemens Heil, Peter Mendler, Benedikt von Peter, Philipp Zingg, Brigitte Heusinger, Regula Schröter und Stefan Graber (von links) im Theater Pavillon. (Bild: jav)

Michael Kaufmann, Clemens Heil, Peter Mendler, Benedikt von Peter, Philipp Zingg, Brigitte Heusinger, Regula Schröter und Stefan Graber (von links) im Theater Pavillon. (Bild: jav)

Runter von der hohen Bühne

Von Peter will die Musik körperlich erfahrbarer machen. «Musik ist auch 3D», betont er. Die Musiker sollen deshalb auch mal aus ihren Orchestergräben geholt werden, um sie auf mehreren Ebenen spürbar zu machen.

Es geht ihm aber auch darum, die Idee der Guckkastenbühne zu überdenken. Genau so, wie im schulischen Kontext der Frontalunterricht überdacht werde, müsse auch das Theater wegkommen von dem «von oben herab».

Dabei zitiert von Peter ein altes deutsches Lied: «Von den blauen Bergen kommen wir. Unser Lehrer ist genauso doof wie wir.» Damit wolle er sagen, dass die Theaterschaffenden die Deutungshoheit aufheben und dem Publikum auf Augenhöhe begegnen sollen.

Globe, Viscosi, Box und Gemüsegärten

Von Peter will Räume öffnen, neue entdecken und alte umnutzen. Das Luzerner Theater will dafür in der kommenden Spielzeit und den 27 Premieren in verschiedenen Räume arbeiten.

«Kommen Sie und bringen Sie Neugierde mit.»
Clemens Heil, künftiger Musikdirektor des Luzerner Theaters

Das «Globe» – also das Luzerner Theater mit ausgeräumtem Parterre –, die Box und die Jesuitenkirche oder die «Viscosi» gehören dazu. Im Sommer geht es dann auch nach draussen, unter anderem in Luzerner Gemüsegärten. Und auch das UG geht Luzern nicht verloren. Im Winter wird auch dort gemeinsam mit der Freien Szene gearbeitet. Und dabei werden auch nicht professionelle Darsteller die Bühnen erobern – die grosse Bühne und die Jesuitenkirche. Das Publikum wird bei einigen Produktionen ebenfalls auf der Bühne oder am Boden sitzen oder auch im Theater stehen – wie zu Shakespeares Zeiten.

Erwarten uns überforderte Zuschauer?

All die neuen Ideen und die Aussicht auf ein völlig neues Theater verunsichert einige der Ur-Theatergänger im Theaterclub. Ein Mitglied meldet sich und will vom Team wissen, ob er nun alle seine Erfahrungen über Bord werfen müsse. Und welches Rezept ihm die vier geben können, damit er nicht völlig verloren in der neuen Theaterwelt sitzen werde. Eine Wortmeldung, die viele der Anwesenden mit zustimmendem Lachen kommentieren.

Clemens Heil beruhigt ihn. «Kommen Sie und bringen Sie Neugierde mit.» Das sei das Wichtigste. Und man solle auf keinen Fall alle seine Erfahrungen vergessen. «Wir wollen ein Publikum mit Charakter. Wir wollen diskutieren», so Heil.

Näher an die Leute ran

Während eines knapp fünfwöchigen Auftakts erprobt das Theater mit der «Open Box» diese Bewegung der Öffnung. Der Raum wird mit einer Reihe von Veranstaltungen und Formaten täglich offen sein. Das Auftaktfestival dauert vom 9. September bis zum 16. Oktober. Mit der antiken Trilogie «Ödipus Stadt» stellt sich zu Beginn der Spielzeit beispielsweise das gesamte Ensemble in der Box vor. «Wie am Kamin» solle es werden, erklärt von Peter. Niederschwelliger soll das Theater werden, näher an die Stadt und an die Leute rankommen.

Gewisse Stücke sollen ab nächster Saison schon nach vier bis acht Wochen abgespielt sein und damit eine Art Festivalcharakter haben. Andere ziehen sich durch die Spielzeit. Auch damit soll die Nachfrage gesteigert werden.

Brigitte Heusinger und Clemens Heil (oben) und Benedikt von Peter und Regula Schröter. (Bilder: Marco Sieber)

Brigitte Heusinger und Clemens Heil (oben) und Benedikt von Peter und Regula Schröter. (Bilder: Marco Sieber)

Die neuen Gesichter (Die Bremer Stadtmusikanten)

Benedikt von Peter wurde 1977 in Köln geboren, studierte in Bonn Musikwissenschaft, Germanistik, Jura und Gesang. Danach war er an verschiedenen Häusern Regieassistent und gründete ein freies Theaterkollektiv. Nach einigen Jahren in der Freien Szene inszenierte er an zahlreichen Theatern und Opern in Deutschland und der Schweiz. Ab 2012 leitete Benedikt von Peter die Musiktheatersparte des Theaters Bremen.

Brigitte Heusinger studierte Psychologie, Germanistik und Philosophie in Bremen und Freiburg. Ihre erste Station war die Oper Frankfurt, an der sie als Dramaturgieassistentin und Referentin für Schulprojekte wirkte. Als Dramaturgin in allen Sparten, jedoch vornehmlich im Musiktheater, arbeitete sie acht Jahre am Landestheater Linz. Von 2006 bis 2012 war sie Operndramaturgin am Theater Basel. Seit 2012 ist sie Operndirektorin am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken.

Clemens Heil, seit 2012 Erster Kapellmeister am Theater Bremen, wuchs in Tübingen auf. Zum Pianisten und Dirigenten an den Musikhochschulen Stuttgart und Freiburg ausgebildet, führten ihn erste Engagements als Korrepetitor und Chorleiter an die Staatsopern von Stuttgart und Hannover. Dann kam er als Solorepetitor und Kapellmeister ans Staatstheater Mainz und 2007/08 arbeitete er als Dirigent der Internationalen Ensemble Modern Akademie Frankfurt. Seither besteht eine regelmässige Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern und mit zahlreichen deutschen Orchestern.

Regula Schröter (1977) wuchs in Meggen auf. Ab 2002 arbeitete sie parallel zum Studium der Theaterwissenschaft sowie Deutscher und Spanischer Literaturwissenschaft in Bern, Quito und Berlin frei als Regieassistentin, Übersetzerin und Dramaturgin, unter anderem am Stadttheater Bern, am Theater Marie Aarau, am Theater Neumarkt Zürich und am Maxim Gorki Theater Berlin sowie als Korrespondentin für das Migros-Kulturprozent. 2009 bis 2012 war sie Dramaturgin am Schauspielhaus Graz. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Regula Schröter Schauspieldramaturgin am Theater Bremen.

Mehr über die Luzernerin Regula Schröter finden Sie im Interview mit zentralplus.

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