Ein offener Brief im Sinne kultureller Freiräume

Luzerner Sedel greift der Reitschule unter die Arme

Der ehemalige Knast und heutige Musik- und Proberaumtempel macht seine Türen weit auf.

(Bild: zvg)

Die Wogen rund um die Berner Reitschule gehen derzeit hoch. Das Luzerner Kulturzentrum Sedel mag nicht tatenlos zusehen. Gemeinsam mit anderen Kulturhäusern lanciert es einen offenen Brief. Sie finden: Ein Dialog zwischen der Stadt Bern und der Reitschule muss geführt werden. Den Freiräumen zuliebe – egal, wo sich diese befinden.

Am letzten Wochenende wurden bei Ausschreitungen rund um die Berner Reitschule elf Polizisten verletzt. Daraufhin beschloss die Stadt Bern Sanktionen und sistierte die Gelder an die Reitschule. Nun stellen sich drei alternative Schweizer Kulturhäuser auf die Seite des Hauses. Neben der «Roten Fabrik» in Zürich und der «Usine Genève» äussert sich auch das Luzerner Kulturzentrum «Sedel» in einem offenen Brief gegen die Androhung der Berner Stadtregierung, die Reitschule zu schliessen.

«Ein verzerrtes Bild des Kulturzentrums»

Diesen Samstagabend teilte der Sedel auf Facebook einen offenen Brief. In diesem wird insbesondere kritisiert, dass in der aktuellen Debatte um die Berner Reitschule ein verzerrtes Bild des Kulturzentrums entstehe.

«Es fällt kein Wort zu den Konzerten und Shows, die Woche für Woche im Dachstock oder im Rössli über die Bühne gehen. Dass diese beiden Plattformen für ein ausgezeichnetes Musikprogramm sorgen, scheint niemanden zu interessieren. Ebenfalls zu erwähnen sind alle weiteren Aktivitäten im Tojo, Theater, im Kino Reitschule oder im Frauenraum», schreiben die drei Häuser.

Die Reitschule habe seit ihrer Besetzung 1987 einen Ruf als kulturellen Hotspot in der Deutschschweiz und als gesellschaftlichen Freiraum aufgebaut. Dieser habe eine grosse Bedeutung für die ganze Schweizer Kulturszene und beeinflusse diese massgeblich.

Auf Facebook postete der Sedel den offenen Brief:

Offener Brief an die Stadt BernVon: Sedel, Rote Fabrik, L’Usine & PETZI > Unterstütze den Brief durch Teilen!Nach den…

Posted by Sedel on Samstag, 12. März 2016

 

«Strassenmob ist nicht gleich Reitschule»

Im offenen Brief werden tiefe Gräben angesprochen, die zwischen den Bedürfnissen der Strasse und den Ansprüchen der Politik bestehen würden.

Weiter wird kritisiert, dass sich die Berner Polizei im Klaren darüber hätte sein müssen, «dass sie mit ihrer Polizeipräsenz vom vergangenen Freitag dem gewaltbereiten Teil der Szene in die Hände spielen. Und sie hätte wissen müssen, dass der Strassenmob nicht deckungsgleich mit allen Besuchern der Reitschule ist». Es gelte, diese Ursache anzugehen, und nicht, deren Symptome zu bekämpfen.

Die Initianten warnen im Schreiben, eine Schliessung der Reitschule würde den bereits tiefen Graben um ein Vielfaches vergrössern. «Eine Sistierung der Mittel würde die Reitschule zu einem besetzten Haus und den Vorplatz zur Sperrzone für Ordnungshüter machen. Bern würde wieder brennen. Wer will das?»

Was geht die Luzerner Bern an?

Der Brief ging am Samstagabend aufs Netz, wurde innert der ersten drei Stunden bereits dreihundert Mal «geliked». Aber was will man damit überhaupt bezwecken? Was kümmert es, salopp gesagt, die Luzerner, wenn’s in Bern turbulent wird?

«Der Sedel ist in den 80ern aus denselben Unruhen heraus entstanden wie die Reitschule. Diese Freiräume, die man damals erobert hat, gilt es zu erhalten.»

Marco Liembd, Sedel-Vorstandsmitglied

Sedel-Vorstandsmitglied Marco Liembd erklärt: «Der Sedel ist in den 80ern aus denselben Unruhen heraus entstanden wie die Reitschule. Diese Freiräume, die man damals erobert hat, gilt es zu erhalten. Ich denke, dass man Freiräume verteidigen muss, egal, wo diese bedroht werden.»

«Unser grosser Wunsch ist es, dass ein Dialog entsteht.»

Marco Liembd, Sedel-Vorstandsmitglied

Jetzt steht also ein offener Brief, der auf grosse Resonanz stösst. Aber was bringt das Ganze? Was bringen die «Likes» den alternativen Kulturhäusern tatsächlich? «Unser grosser Wunsch ist es, dass ein Dialog entsteht. Wir sind uns bewusst, dass wir wohl keinen Politiker umstimmen werden, doch wenn aus dem Brief ein Dialog entsteht, ist schon einiges erreicht. Jedes Teilen und jedes ‹Gefällt mir› ist quasi eine Unterschrift.»

Wie die SVP ja bereits sagte …

Die Ausschreitungen vom Samstag im Umfeld der Reitschule brachten dieser bestimmt nicht nur Sympathiepunkte ein. Es wäre ja einfach zu argumentieren, die Betroffenen wollen das offenbar nicht anders – wer Gewalt anwendet, solle auch sanktioniert werden. Die Berner JSVP reichte letzte Woche eine Initiative zur Schliessung des alternativen Freiraums ein und formulierte plakativ: «Seit 25 Jahren macht das Haus Werbung für unsere Initiative.»

Liembd sagt darauf: «Wie bereits im Brief geschrieben, finden wir, die Berichterstattung der letzten Woche ist zu einem grossen Teil eine verzerrte Darstellung der Situation. Was in der Reithalle kulturell geleistet wird, ist grossartig. Gleichzeitig ist es wohl auch nicht auszuschliessen, dass ein Teil dieses positiv genutzten Freiraums unkontrollierbar ist.»

 

 

 

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