Konzerte für Menschen mit Demenz in Luzern

Mit Musik gegen das Vergessen

Es ist bekannt, das Musik Erinnerungen und Emotionen wecken kann – auch bei Menschen mit Demenz. (Bild: fotolia)

Musik weckt Erinnerungen und löst Emotionen aus – und das auch bei Menschen, welchen das Erinnern immer schwerer fällt. Das Luzerner Sinfonieorchester veranstaltet nun Konzerte für Menschen mit Demenz – und erhält unerwartet grossen Zuspruch.

Man hört eine Melodie und schon ist das Bild wieder da, von den Ferien in der Berghütte, von der Jugendliebe, von der Sommerparty am See. Musik weckt nicht nur Erinnerungen, sie löst auch Emotionen aus – meist positive. Und das auch bei Menschen, die an Krankheiten leiden, welche das Gehirn schädigen.

«Ensemble D» ist ein Projekt des Luzerner Sinfonieorchesters (LSO), welches Menschen mit Demenz und deren Angehörige anspricht. Dabei handelt es sich um Konzerte, die durch spezifische Angebote auch für Demenzkranke einfach zu besuchen sind. In der letzten Spielzeit fand der Pilot statt – zwei Konzerte wurden bereits durchgeführt. In der laufenden Spielzeit stehen nun erneut drei Mittagskonzerte im Zusammenhang mit Ensemble D auf dem Programm.

zentral+ hat mit zwei Frauen gesprochen, die sich mit dem Projekt und der Thematik auskennen. Die Musikvermittlerin Diana Lehnert ist die Projektleiterin für Ensemble D. Sandra Baumeler führt im Mandat die Alzheimervereinigung Luzern.

zentral+: Was muss man alles beachten, wenn man eine Veranstaltung für Menschen mit Demenz plant?

Sandra Baumeler: Die Menschen mit Demenz sollen sich wohl, sicher und geborgen fühlen. Orientierungslosigkeit oder auch Unbekanntes kann schnell Ängste auslösen. Das gilt es in der Vorbereitung zu berücksichtigen.

zentral+: Frau Lehnert, was heisst das konret für die Organisation der Konzerte?

Diana Lehnert: Es gibt viele kleine Details, die beachtet werden müssen. Die Leute werden Backstage in Empfang genommen und dann einfach –mit Musik und Wort – an das Thema des Konzerts herangeführt. Dabei wird an Erinnerungen angeknüpft – über bekannte Lieder oder Gedichte, wie jetzt beim nächsten Mal der «Erlkönig» zum Beispiel oder über einfache Volkslieder. Daraus entsteht dann im besten Fall ein angeregter Austausch, Erzählungen oder auch gemeinsames Singen. Es sind auch jedes Mal Musiker dabei. Dann wird auch noch etwas Kleines gegessen, eventuell müssen noch Medikamente eingenommen werden. Wir treffen uns bei den Ensemble D-Konzerten deshalb immer eine Stunde vorher.

«Wir informieren die Leute, damit sie sich nicht wundern, falls plötzlich jemand mitsingen oder dirigieren sollte.»
Diana Lehnert, Projektleiterin Ensemble D

zentral+: Welche Konzerte wählt man aus?

Lehnert: Wir haben in dieser Spielzeit alles Lunchkonzerte ausgesucht. Es kann aber durchaus in der nächsten Spielzeit wieder ein Sonntagnachmittag oder -morgen dabei sein. Es geht lediglich darum, dass die Konzerte nicht zu spät stattfinden und nicht zu lange dauern. Falls jemand aber lieber ein anderes Konzert besuchen möchte, sind wir stets bereit, dies zu ermöglichen. Wir wollen allgemein einen Anstoss dazu geben, sich auch ausserhalb dieses Angebots zu trauen, in Konzerte zu gehen.

zentral+: Inwiefern sensibilisieren Sie auch die anderen Konzertzuschauer für das Projekt?

Lehnert: Wir legen allen Zuschauern einen Zettel ins Programmheft, welcher über das Projekt informiert. Dies vor allem, damit die Leute sich nicht wundern, falls plötzlich jemand aufstehen, mitsingen oder dirigieren sollte. Wir haben mit allem gerechnet, waren auf alles vorbereitet. (Sie lacht.) Aber bisher ist nie etwas vorgefallen. Die Leute waren völlig versunken in das Konzert –und auch danach völlig fokussiert und entspannt.

zentral+: Und wie sind die Reaktionen auf das Projekt?

Lehnert: Seit wir damit begonnen haben, erhalten wir zahlreiche Rückmeldungen. Die Leute sind hell begeistert. Ich war nach den Konzerten richtig gerührt ob der Dankbarkeit der Leute, auch der Demenzkranken. Wir erhalten auch jetzt immer wieder E-Mails mit Zuspruch von Betroffenen, aber auch von Konzertbesuchern, die selbst nichts mit der Thematik zu tun haben.

Baumeler: Dem kann ich mich anschliessen. Auch bei der Alzheimervereinigung gingen zahlreiche positive Reaktionen ein. Offenbar ist Luzern hinsichtlich des Themas «Kunst und Demenz» fruchtbar, was mich sehr freut. Wir haben bereits mit dem Kleintheater zusammengearbeitet, nun mit dem LSO, und jetzt planen wir ein Projekt mit dem Kunstmuseum. Die Sensibilität für das Thema ist da, und das ist auch an den Reaktionen spürbar.

«Es geht darum, Musik aktiv und live zu erleben.»
Diana Lehnert

zentral+: Wie kann sich ein Konzert für Menschen mit Demenz positiv auswirken?

Baumeler: Die Musik ist wie ein Schlüssel, der die Türen zu den Erkrankten öffnen kann. Emotionen und Erinnerungen werden geweckt, denn meistens aktiviert Musik. Im besten Fall ist Musik ein Weg aus der Isolation.

Lehnert: Zudem kann das Wiederkennen von Melodien Erfolgserlebnisse auslösen. Wenn man mitsingen, oder die Struktur eines Liedes erkennen kann – trotz der Krankheit.

Baumeler: Genau. Erfolgserlebnisse sind sehr wichtig – gerade im Anfangsstadium der Krankheit. Wenn man erkennt, dass es bergab geht, haben die Betroffenen oft das Gefühl, das Leben bestehe nur noch aus Defiziten. Demenzkrankheiten sind nicht heilbar. Für die Betroffenen und die Angehörigen ist dieses Wissen sehr belastend. Die beste Therapie ist daher, die Lebensqualität zu erhalten oder sogar zu verbessern. Und dafür ist Musik ein gutes Mittel.

Ensemble D

Drei Konzerte am Mittag wurden diese Spielzeit für Ensemble D ausgewählt. Das erste Lunchkonzert findet am 6. November statt, das zweite am 29. Januar 2016 und das dritte am 3. März 2016.

Die Konzerte beginnen um 12 Uhr 30 und dauern eine Stunde. Eine Stunde davor ist der Treffpunkt für Betroffene und deren Begleitung für die Einführung. Die Kosten betragen 15 Franken bzw. 25 mit Verpflegung.

zentral+: Inwiefern sind solche Effekte von Musik wissenschaftlich belegt?

Lehnert: Es gibt zahlreiche Studien darüber, dass sehr viele verschiedene Gehirnregionen durch Musik stimuliert und aktiviert werden. Musik macht es auch möglich, dass sich im Gehirn neue Strukturen bilden. Das passiert auch trotz der Demenz, welche Nervenzellen zerstört. Aber es ist wichtig, dass es sich um aktives Hören handelt. Am Besten in Kombination mit Bewegung oder aktivem Musizieren. Ständige Hintergrundmusik hingegen ist eher schädlich. Es geht darum, Musik aktiv und live zu erleben. Die Schwingungen zu spüren, die Musiker zu sehen.

zentral+: Ist es wichtig, um welche Art von Musik es sich handelt?

Baumeler:  Alles ist möglich. Hauptsache, die Musik spricht an und führt zu positiven Erlebnissen. Ob Klassik, Rock, Pop, Heavy Metal, Volksmusik, Jazz: Was gefällt und berührt ist bestimmt auch teilweise generationenabhängig.

«Am Anfang sollte immer die Frage stehen: Was will der Betroffene?»
Sandra Baumeler, Geschäftsleiterin der Alzheimervereinigung Luzern

zentral+: Weshalb veranstalten Sie für Menschen mit Demenz öffentliche Konzerte im KKL und nicht an einem geschützten, separaten Ort? Wäre das nicht einfacher?

Baumeler: Menschem mit Demenz sollen wie alle anderen auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das ist aber oft schwierig. Nicht zuletzt wegen der vielen Reizüberflutungen im Alltag, die Menschen mit Demenz überfordern. Ein Konzertsaal bietet einen geschützten Rahmen. Die Aufmerksamkeit aller Zuschauer ist auf dasselbe gerichtet. Diese Ruhe und Fokussierung gibt Menschen mit Demenz die Möglichkeit, gemeinsam mit Angehörigen – vielleicht dem Partner – unter Menschen zu gehen und einen schönen Anlass zu besuchen. Wie früher.

zentral+: Wie kann man die Idee solcher Projekte auch in den Alltag übertragen?

Baumeler: Das Wichtigste, aber auch das Schwierigste ist der Ausgangspunkt: Darüber zu sprechen. Demenz ist für viele noch immer ein Tabuthema. Die Schamgefühle, die Unsicherheiten und die Ängste sind gross. Die Enttabuisierung ist sehr wichtig. Das fängt im Kleinen an: Dass man als Tochter den Nachbarn darüber informiert, weshalb die Mutter immer wieder den Schlüssel stecken lässt oder die Bedienung im Stammcafé, weshalb der Vater manchmal unwirsch reagiert. Werden die Leute über die Diagnose Demenz und deren Auswirkungen informiert, reagieren sie meistens positiv und mit Verständnis und bieten im besten Fall ihre Hilfe an. 

zentral+: Und dann?

Baumeler: Am Anfang sollte immer die Frage stehen: Was will der Betroffene? Was gefällt ihm? Was hat ihr in gesunden Tagen Freude bereitet? Gemeinsame Unternehmungen wie ein Konzertbesuch ist eine von vielen Ideen. Auch für die Angehörigen – besonders die Lebenspartner – kann ein schönes gemeinsames Erlebniss sehr wertvoll sein. Wenn man seinen Partner in kleinen Schritten immer mehr verliert und der Alltag oft aus Leid, Anstrengung und Schmerz besteht, können solche Erlebnisse, die vielleicht sogar gemeinsame Erinnerungen hervorrufen, eine grosse Wirkung auf die Beziehung und das Wohlbefinden haben: auch eine Art Therapie zugunsten der Lebensqualität.

Sandra Baumeler (links) und Diana Lehnert

Sandra Baumeler (links) und Diana Lehnert

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