Temporäre Kulturwohnung in Zug

«Dieses Haus rebelliert nicht»

Das Mehrfamilienhaus an der Albisstrasse 3 in Zug. Das Erdgeschoss wird kulturell zwischengenutzt. (Bild: pbu)

Einsam steht es da. Umzingelt von Neubauten, die bedrohlich auf das schmächtige Haus hinunterblicken und es förmlich zu zerquetschen drohen. Lange hat es standgehalten. Doch das Ende naht. Jetzt wird das alte Gebäude am Zuger Bahnhof als Kulturwohnung zwischengenutzt – ein letzter Akt des Widerstands?

Vinyasa Yoga, Qi Gong, Kochen mit Unbekannten, Kafistube: Der Veranstaltungskalender der Kulturwohnung «D’Wohnig» füllt sich zwar nur langsam, aber dafür stetig. Seit dem 15. Oktober 2015 werden die Räumlichkeiten an der Albisstrasse 3, direkt am Zuger Bahnhof, mit Leben gefüllt. Mit Kulturellem, mit künstlerischem Leben, um genau zu sein. «Wir wollen einen Ort bieten, an dem man etwas ausprobieren kann», sagt Patrick Bützer. Er ist Teil des Vereins «Netzwerk Paettern», der die Wohnung quasi verwaltet. «Wir sind die Schlüsselmeister. Wenn jemand ein Projekt umsetzen will, sind wir es letztlich, die Ja oder Nein sagen», erklärt er.

Zusammen mit Jasmin Schmid und Debora Bühlmann sitzt er im Vorstand des Vereins. Sicher bis Ende März 2016 hält das Kollektiv die Schlüssel der Wohnung in den Händen. So lange nämlich dauert das Zwischennutzungsprojekt, das von Stadt und Kanton finanziell unterstützt wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das Gebäude danach dem Erdboden gleichgemacht. «Geplant ist ein Wohn- und Geschäftshaus», sagt Lea Rickenbacher, Besitzerin des Hauses und zugleich Erstellerin des Neubauprojekts. «Wir gehen davon aus, dass wir im April 2016 mit dem Abriss beginnen können», fügt sie an.

«Es ist kein Nagelhaus. Es rebelliert nicht. Es leistet keinen Widerstand.»

Lea Rickenbacher, Immobilienbesitzerin und Architektin

Einsam steht es da zwischen Flachdach-Neubauten. Das alte, graue Haus aus der Vogelperspektive.

Einsam steht es da zwischen Flachdach-Neubauten. Das alte, graue Haus aus der Vogelperspektive.

Ein Wachstumsprojekt

Manch einer wird einen erstaunten Blick auf das graue Mehrfamilienhaus mit dem steilen Dach geworfen haben, als er im Zug daran vorbeifuhr. Denn es steht schon etwas quer in der Landschaft, so alleine gelassen zwischen modernen Neubauten. «Es fällt auf jeden Fall auf», bestätigt Rickenbacher. «Es ist aber kein Nagelhaus. Es rebelliert nicht. Es leistet keinen Widerstand gegen auffahrende Bagger oder raffgierige Investoren», betont sie. Auch wenn man das denken könnte.

In Zug hat es auf jeden Fall Seltenheitswert – und ist für jeden Liebhaber von Wohnungen mit alten Parkettböden und mit Stuck behangenen Decken eine Augenweide. Genauso dünn gesät seien in der Stadt die Möglichkeiten, ein Kulturprojekt wie D’Wohnig zu initiieren, wie Patrick Bützer erklärt: «Es ist schwierig, in Zug solche Sachen zu machen. Zum einen fehlt es an Lokalitäten, zum anderen ist leider die kulturelle Vernetzung in Zug mangelhaft.» Die Kulturwohnung soll – zumindest temporär – genau da Abhilfe schaffen.

«Zug ist anonymer geworden.»

Patrick Bützer, Verein Netzwerk Paettern

Die Räume sollen nicht nur sporadisch genutzt werden, sondern möglichst dauerhaft. Ein Wachstumsprojekt, dessen Verlauf bewusst relativ offen gelassen werde. «Wir koordinieren», sagt Bützer. «Auch mit den Behörden. Wir behalten den Überblick darüber, welche Zimmer wie belegt sind, und vermitteln den Platz. Dann lassen wir die Leute machen.» Sie sollen das Projekt schliesslich mitgestalten. Es habe Platz für viele Sachen, auch für Tabubrüche. Ein experimenteller Charakter ist nicht abzustreiten. Möglichst niederschwellig solle das Ganze gehalten werden, ohne grobe hierarchische Strukturen, merkt Schlüsselmeister Bützer an.

Ein Ort, wo man sich vernetzen kann

Fünf Zimmer bieten Raum für Kunst- und Kulturprojekte, für Kurse und Literaturabende, für Ausstellungen, gemeinsames Kochen und für eine gemütliche Kaffeerunde. Die Idee dahinter beschreibt Bützer so: «Im Zentrum stehen nicht unbedingt die Projekte an sich, sondern das Netzwerk.» Das Ziel sei, dass sich die Leute kennen lernen, dass sie sich vernetzen. «Das Co-Working steht im Fokus, das ist im kulturellen Bereich von grosser Wichtigkeit», betont Bützer.

Denn Zug sei anonymer geworden, sagt er. Wegen der internationalen Ausrichtung und wegen des schnellen Wachstums. «Deshalb bieten wir die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Unter der Woche ist D’Wohnig ein Co-Working-Space. «Es ist cool, das gesamte Know-how unterschiedlichster Leute einfliessen zu lassen», konstatiert Bützer. Man könne einiges weitergeben und lerne viel Neues. Neues, ein Stichwort, das auch Architektin Rickenbacher aufnimmt: «Wir sind dafür, dass man baut. Verdichtung der Städte ist etwas Gutes. Wir begrüssen es, wenn Neues entsteht.»

«Die junge Generation nimmt das in Angriff.»

Lea Rickenbacher

Jetzt scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein. Die letzte Etappe wurde eingeläutet. «Die junge Generation nimmt das in Angriff», sagt Rickenbacher. Und meint damit sich selber. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Caroline Zimmerli hat sie den Neubau entworfen (siehe Bild unten). Die Avik AG übernimmt die Bauherrschaft. Die Zeichen stehen auf Wandel. Beschwerden sind allerdings eingegangen, zwar nicht von den Bewohnern, aber von den Nachbarn. Ob sie sich daran stören, dass sie den Blick auf ein Stück Zuger Geschichte verlieren werden?

So soll es zukünftig an der Albisstrasse in Zug aussehen.

So soll es zukünftig an der Albisstrasse in Zug aussehen.

(Bild: zvg)

Ende gut?

Patrick Bützer findet indessen Gefallen am begrenzten Platzangebot in der Wohnung. Denn die Anlässe müssen dadurch zwangsweise klein und familiär sein. «Man bringt nicht 200 Leute in die Wohnung. Das macht es viel persönlicher. Man geht nicht in der Masse unter.» In der Masse untergehen. Ist nicht das gerade das Schicksal, welches dem alten, grauen Gebäude an der Albisstrasse droht, wenn es durch einen Flachdach-Neubau ersetzt wird? Anonymität durch Uniformität? Ein Schelm, wer da an ein Widerstandsnest denkt.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Noch ist nicht klar, ob im April 2016 die Bagger auffahren. «Es wäre natürlich toll, wenn wir die Sache weiterführen könnten», schwelgt Patrick Bützer. Und auch Lea Rickenbacher untermauert, dass im Falle einer Bauverzögerung die Zwischennutzung fortgesetzt würde. Denn: «Es ist ein super Projekt, das da auf die Beine gestellt wurde. Falls das Gebäude länger bestehen sollte, sehe ich nichts, was einer Verlängerung der Kulturwohnung im Weg stehen könnte», sagt sie. Aber eben, Rickenbacher will bauen – und ein Blick aus der Wohnung im Erdgeschoss zeigt: Die Bauzone ist bereits abgesteckt.

Schlüsselmeister Patrick Bützer in der Wohnung an der Albisstrasse 3 in Zug.

Schlüsselmeister Patrick Bützer in der Wohnung an der Albisstrasse 3 in Zug.

(Bild: pbu)

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