Zuger Leseshow

Die Bühne, von der man nie verscheucht werden kann

Hier wird im Stehen gelesen: Michael van Orsouw und Judith Stadlin auf ihrer Lesebühne im «Oswalds Eleven». (Bild: zvg)

Es ist ein Stück Berlin, gut eingepackt ins Erdgeschoss eines Zuger Altstadthauses. Ein politischer Ort. Einer, wo auch Expats mal lokalpatriotisch werden. Die Lesebühne «Oswalds Eleven» hat schon 4’000 Besucher angezogen, das brauchte allerdings sieben Jahre. Denn viel Platz ist da nicht.

Es hat etwas Eigenbrötlerisches, wenn Künstler ihre Bühne gleich selber bauen. Aber die beiden Zuger Performer Judith Stadlin und Michael van Orsouw hatten vor lauter Begeisterung wohl keine andere Wahl: «Wir haben beim Bauamt angerufen, noch bevor wir von unserem Aufenthalt in Berlin zurückgekommen sind» , sagt van Orsouw. «Wir waren so begeistert von den Berliner Lesebühnen.» Es ist ein Stück importierte Kultur, dass da hinter blauen Schiebetüren steckt, zwischen Vorhang und Klappstühlen.

«Satz & Pfeffer-Lesebühne» heisst die Vorleseshow im «Oswalds Eleven», sie ist einer der ewigen Geheimtipps, einmal im Monat lesen hier die beiden Zuger Autoren plus drei Gäste aus der Umgebung oder von weit weg. «Wir laden nur Autoren ein, die gut vorlesen können» sagt van Orsouw, «Schreiben und Auftreten sind ja eigentlich zwei verschiedene Berufe.»

Es ist die einzige echte «Berliner Lesebühne» der Schweiz, sogar urkundlich verbrieft (siehe unten), ein Stück deutsche Hauptstadt mitten in der engen Zuger Altstadt.«Satz und Pfeffer mal im Bundeshaus wäre uuu-erfrischend und täte allen gut!», schreiben Gäste ins Gästebuch des Oswalds Eleven, und «keep on elfing!» Immer weiter mit der Oswaldsgasse elf.

Vor sieben Jahren aus den Parterre-Räumen gestampft, in drei Monaten, die Bühne keine vier Meter breit, der Publikumsraum hat Platz für drei Fahrräder oder vierzig begeisterte Menschen und fünf auf der Bühne. Aber da gibt es einen Trick: Van Orsouw und Stadlin tauschen ihr Publikum in der Pause einfach aus.

Und jetzt Stühle tauschen

Das halbe Publikum sitzt im versteckten Proberaum hinter der Bühne und schaut die Show auf der Leinwand, die Autoren sind gleich daneben, getrennt durch zwanzig Zentimeter Wand, zusammen mit der anderen Publikumshälfte. Und in der Hälfte der Show werden Plätze getauscht.

«Das geht wunderbar, im hinteren Raum entsteht eine ganz spezielle Stimmung, wie in einer Festhütte, hier vorne sitzen die Leute still und hören den Lesenden zu. Dieser Tausch in der Hälfte, das finden die Gäste spannend.» Siebzig Menschen passen so ins Oswalds Eleven, in sieben Jahren macht das 4’000 bespielte Zuschauer. Rein rechnerisch hat sich also schon Mal ein Fünftel der Stadtzugerinnen ins Oswalds Eleven gequetscht. Und Autoren aus dem ganzen deutschsprachigen Raum haben zugehört.

Denn sie kommen alle: Die Schweizer Prominenz, Charles Lewinsky, Pedro Lenz, Beni Thurnheer oder Gisela Widmer, unzählige Zentralschweizer Autoren, sagt van Orsouw, und solche aus Deutschland, wie etwa der beste Poetry Slammer, Lars Ruppel. Alle bekommen die gleiche Gage. «Und wollen wieder kommen. Man kennt uns schon in der Deutschen Szene: Ah, das sind doch die, die das Publikum tauschen.»

 

Die Leuchten im Eingang an, den Vorhang zu, und aus einem Treppenhaus wird ein Kassenhäuschen, aus der Waschküche eine Garderobe, die Fahrräder gehen auf die Strasse, dann gibt’s Platz für Zuschauer. Welcher Künstler nimmt sein Publikum gleich mit zu sich nach Hause? Diese beiden. Obwohl: «Wir wollen sie auch nicht im Schlafzimmer», sagt Judith Stadlin, «und auch nicht im Wohnzimmer», so van Orsouw, aber im Parterre sind sie willkommen.

«Das ist so ein Blöffer-Bau, da wollte ich etwas schreiben»

Michael van Orsouw

Das Ganze soll experimentell bleiben, soll auch subversiv sein. Die Lesebühne ist auch ein politischer Ort. «Absolut», sagt Stadlin. «Wir wollen uns hier auf künstlerische Art auch damit beschäftigen, was in Zug passiert.»

Der «Saal» sei beim Programm «Die Verzugung» zusammen mit dem Zuger Liedermacher Troubadueli etwa acht Mal gefüllt gewesen. Aber auch an den Lesebühne-Abenden findet politische Literatur statt: Wenn van Orsouw zum Beispiel über den Park Tower schreibt. «Das ist so ein Blöffer-Bau. Da wollte ich etwas schreiben.» Dann sei das etwas, was sonst nirgends stattfinde.

«Spoken Word braucht einen Ort»

Der künstlerische Umgang mit der Verwandlung der Stadt, es ist ein Stück Arbeit an der Urbanität, was da im Oswalds Eleven geschieht. Eine kleine Resonanz auf das schwere Gletschergeschiebe in der Stadt, das alle Steine dreht, so fest verändert, dass das sogar die Expats merken: «Da waren Deutsche bei uns in der Show, die haben gesagt, die Stadt hat sich in den letzten zehn Jahren so verändert, ich erkenne mein Zug nicht wieder», sagt Judith Stadlin lachend.

Aber ernsthaft: Ist das Ganze nicht auch ein Sandkasten? Ein Stück Eitelkeit, ein Künstlertraum: Die eigene Bühne, von der man nie verscheucht werden kann? «Keine Ahnung ob das ein Künstlertraum ist», sagt Stadlin. «Wir haben es einfach gemacht, weil Spoken Word in Zug einen Ort braucht. Und wir finden es immer noch spannend. Wenn’s keinen Spass mehr macht, hören wir einfach wieder auf damit.» Falls das überhaupt geht. Einmal gab’s eine Pause, einige Monate lang, das Publikum hat sofort reklamiert.

Und ums Verscheuchen geht’s auch nicht: Bühnen haben die beiden genug unter den Füssen, sind ständig auf Tour, auch diese Woche. Die Koffer sind gepackt, für jeden Gig ein anderer. «Die Lesebühne ist für uns auch eine Disziplinierungsmassnahme», sagt Michael van Orsouw. «Wir bleiben dran. Die Gäste bringen natürlich ihre besten Texte mit, wir müssen jedes Mal neue Texte schreiben. Wir wollen immer besser werden, das ist unsere Herausforderung.»

Urkundlich verbrieft: Das Oswalds Eleven ist eine offizielle Berliner Lesebühne.

Urkundlich verbrieft: Das Oswalds Eleven ist eine offizielle Berliner Lesebühne.

(Bild: zvg)

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