50 Fragen an Federica de Cesco

Von Harry Potter und harten Nippeln

«Eine grössere Feministin als mich gibt es nicht», ist die Autorin Federica De Cesco überzeugt. (Bild: jav)

Über 60 Jugendromane hat Federica de Cesco veröffentlicht und setzt dabei auf starke Mädchenfiguren. zentral+ stellte der Wahlluzernerin 50 Fragen und erfuhr dabei so einiges über idiotische Buchtitel, wie man die Götter unterhält, die Chinesen ärgert und über früher, als die Stones noch schön waren.

Leichtfüssig steigt die 76-Jährige die Treppe des «Café César» in Luzern hinauf. Sie hat das gemütliche Café im Hotel National in Luzern vorgeschlagen. Wir setzen uns in eine ruhige Ecke, die Sonne scheint durch das Fenster. Sie bestellt einen Milchkaffee, legt die Sonnenbrille auf den Tisch und lehnt sich zurück. Federica de Cesco ist bereit für die 50 Fragen.

zentral+: 1. Mit 15 verfassten Sie bereits Ihr erstes Buch. Hatten Sie jemals einen Plan B für ihr Berufsleben?
Federica Kitamura- de Cesco: Nein. Nie. Ich bin gar nie auf den Gedanken gekommen. So blöd war ich. Sie lacht herzlich.

2. Sind Sie ein typisches Einzelkind?
Mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil war, dass ich meine Ruhe hatte – auch zum Schreiben. Ein Nachteil, dass ich mich oft nach Gspändli gesehnt habe, aber ich hatte dann auch viele Freunde.

3. Wo ist Ihre Heimat?
Ach. Ich bin in der Schweiz und in Japan zuhause.

4. Haben Sie eigentlich alle Länder bereist, in welchen Ihre Romane spielen?
Nicht alle, nein. Aber viele. Und wenn ich in einem Land noch nie war, dann gebe ich das Manuskript zuerst jemandem zu lesen, der aus dem jeweiligen Land kommt. Ich will ja keinen Mist schreiben. Daher recherchiere ich auch immer wahnsinnig gründlich und genau.

5. Wie schreiben Sie? Frei von der Leber weg oder fest nach einem Plan?
Meist steht bei mir am Anfang eine Art Vision – nichts Esoterisches – aber eine Art Szene oder ein zentraler Plot, den ich vor mir sehe. Diesen schreibe ich auf. Und dann entsteht alles rundherum. Wie kam es zu dieser Szene und was entsteht aus ihr, was geschieht nach ihr. Das heisst ich beginne eigentlich meist irgendwo in der Mitte der Geschichte und weiss dann auch noch nicht, was am Anfang und am Ende geschehen wird.

6. Wann und wie entstehen die Titel Ihrer Bücher?
Sie fängt an zu gestikulieren. Das ist ganz schlimm. Die sind praktisch nie von mir. Die meisten kamen von meinem alten Verlag – was auch einer der Gründe für meinen Verlagswechsel war. Mir wurden da die idiotischsten Titel aufgedrückt. Die unmöglichsten Sachen. Ich habe mich teilweise krumm und schief geärgert. Sie wollten immer nur ein Wort. Mondtänzerin oder Traumjägerin. Und immer diese Mond-, Sonne-, Gott-, Frau-, Tochter-Begriffe. Schlimm.

«Mir wurden die idiotischsten Titel aufgedrückt.»

7. Wie schreiben Sie Ihre Bücher? An der Schreibmaschine, am PC oder von Hand?
Am PC. Und das seit bereits über 30 Jahren. Damals habe ich zum Geburtstag von meinem Mann einen Computer erhalten – mit der Notiz: «Steinzeit adé». Ich war damals eine der ersten Schriftstellerinnen, die auf einem PC schrieb. Die meisten hatten noch eine «Hermes Baby»-Schreibmaschine oder die Puristen gar noch ihre Füllfederhalter vom Mont Blanc oder so. Sie lacht.

8. Kochen Sie viel?
Mein Mann bekocht mich jeden Tag. Ich bin auch deshalb total aus der Übung.

«Ein Schluck und ich liege unterm Tisch und singe.»

9. Rösti oder Sushi?
Beides. Aber Sushi nicht in der Schweiz. Mein Mann ist da sehr vorsichtig – er findet, der Fisch muss frisch gefischt sein. Und ohne Meeranschluss ist das relativ schwierig.

10. Bier oder Wein?
Keines von beiden. Wasser oder Kaffee. Ich trinke keinen Alkohol, vertrage es überhaupt nicht. Ich habe einen zu hohen Adrenalinspiegel. Ein Schluck und ich liege unterm Tisch und singe.

11. Ich habe gelesen, dass Sie sich über die Bezeichnung «Frauenliteratur» in Buchgeschäften geärgert haben. Sind Sie eine Feminstin?
Oh ja, das ärgert mich. Eine grössere Feministin als mich gibt es nicht. Für mich ist klar, dass wenn irgendwo die Rechte für Frauen nicht vorhanden sind, dann kann es mit den Menschenrechten auch nicht weit her sein. Und man sieht ja, wohin sich eine rein patriarchale Gesellschaft, ohne Frauen an der Macht, entwickelt – so wie im letzten Jahrhundert. Kriege wohin man schaut.

«Eine grössere Feministin als mich gibt es nicht.»

12. Wie hat sich die Jugendliteratur seit Ihrer Jugend verändert?
Früher war es langweilig. Da war auch noch alles geschlechtergetrennt. Ich habe dann angefangen, die Rolle eines Jungen an Mädchen zu geben – die Mädchen haben gejubelt und die Lehrer besorgt die Stirn gerunzelt. In den Siebziger-Jahren kam dann die Jugendliteratur mit dem moralischen Zeigefinger. Auch das war langweilig. Und dann dieser Quatsch wie «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo». Damit wurden die Jugendlichen ja erst auf die Drogen aufmerksam gemacht. Nach den Siebzigern wurde es dann etwas spannender mit Abenteuergeschichten und Hauptfiguren aus fremden Kulturen – fundierte Geschichten. Sie hält kurz inne. Und dann kam Harry Potter.

13. Und was sagen Sie zu Harry Potter?
Es ist nichts für mich. Ich habe entweder zu viel oder zu wenig Fantasie. Ausserdem sind da überall und ständig diese fliegenden Fruchtbarkeitssymbole  – also die Besen. Andererseits hat man uns früher gesagt: «Nie mehr als 200 Seiten, sonst lesen es die Kinder nicht.» Und dann kam Harry Potter mit 800 Seiten, mit 1’000 Seiten und hat die Kinder mit dem Lesen vertraut gemacht, sie das Lesen gelernt. Das ist doch irgendwie ganz schön. Mittlerweile aber sind überall diese Potter-Imitationen. Da kommt man in den Stocker rein und findet auf einem Tisch 50 Fantasybücher.

14. Ist das starke Mädchen in der Jugendliteratur noch so gefragt wie zum Beginn Ihrer Arbeit?
Es braucht immer starke Mädchenfiguren und emanzipierte Jungenfiguren. Die Mädchen haben sich emanzipiert, nun müssen sich die Männer emanzipieren. Die hängen da noch in ihren bequemen, überholten Rollenbildern fest.

15. Welche Jugendbücher haben Sie gelesen?
Zuerst amerikanische Jugendbücher. Mark Twain zum Beispiel mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Später habe ich auch englische Autoren entdeckt. Die Brontë-Schwestern zum Beispiel. Das war gut. Ich mochte auch Emily Dickinson. Richtig geärgert habe ich mich aber über den Schweizerischen Robinson – der hatte irgendwie zehn Söhne und kein einziges Mädchen. Die wollten einfach keine Mädchenfiguren.

Federica de Cesco

Federica de Cesco wurde 1938 in Italien geboren, wuchs in Äthiopien und Belgien auf. Mit 15 Jahren verfasste sie bereits ihr erstes Buch, die Indianergeschichte «Der rote Seidenschal». Ihre Geschichten spielen meist in fremden Ländern und Kulturen und die Protagonisten sind selbstbewusste Mädchen und junge Frauen, die gegen aufgezwungene Normen rebellieren – was die Autorin auch selbst gut beschreibt.

Mit mittlerweile über 60 veröffentlichten Jugendbüchern ist De Cesco eine der meistgelesenen Jugendbuchautorinnen im deutschen Sprachraum. Seit 1994 verfasst sie jedoch auch Romane für Erwachsene. Ein Film über ihr Leben kam 2008 in die Kinos. Und 2014 wurde ihr Buch «Shana das Wolfsmädchen» verfilmt.

Seit den Sechziger-Jahren lebt de Cesco in der Schweiz. Die Autorin hat zwei Kinder aus erster Ehe und ist seit 1971 mit dem japanischen Fotografen Kazuyuki Kitamura verheiratet.

16. Welches ist das beste Buch, welches Sie geschrieben haben?
Die «Mondtänzerin» und das «Vermächtnis des Adlers» – also bei den Erwachsenenromanen. Bei den Jugendromanen sind es «Shana das Wolfsmädchen» und «Das Lied der Delfine».

17. Wo stehen Sie politisch?
In der Mitte. Ich höre mir gern alle Meinungen an.

18. Wofür engagieren Sie sich?
Für «Plan Schweiz». Dort setzte ich mich für die Bildung von Mädchen auf der ganzen Welt ein. Ich sage immer: «Die Mädchen sind die wichtigsten Personen auf der Welt. Denn wie sie behandelt werden, das ist die Visitenkarte einer Gesellschaft.» Und für Tibet setze ich mich ein. Da kämpfe ich lautstark auf verlorenem Posten. Doch ich kämpfe gerne. Und damit wische ich gleich noch den Chinesen eins aus. Nicht nur was sie den Tibetern antun, auch wie sie Elefanten abschlachten – es ist einfach eine riesige Schweinerei.

19. Empfinden Sie Luzern als sehr katholisch?
Sie lacht.
Hoho. Ja. Aber auf eine liebenswerte Art. Das Priesterthema lassen wir jetzt mal bei Seite. Aber es gibt ja viele Menschen, die brauchen den Glauben und eine religiöse Gemeinschaft. Und da will ich niemandem etwas wegnehmen.

20. Sie sind also nicht religiös?
Ich denke anders.

21. Und Ihr Mann?
Japanisch-religiös.

22. Und was bedeutet das?
Animistisch. Da gibt es Millionen von Göttern. Die haben die Erde und alles aufgebaut und nun wollen sie von den Menschen nur etwas: unterhalten werden. Die Menschen sollen Feste feiern, sich schön machen, trinken, essen, tanzen. Sie lacht und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. Nette Götter, nicht wahr? Die Sterberiten sind dann aber sehr ernst und feierlich und sehr schön. Die werden von den buddhistischen Priestern übernommen.

23. Was können wir von der japanischen Kultur lernen?
Einiges. Gerade beim Thema Religion. Japaner sind da auch sehr neugierig. Sie machen einfach mal mit – sie singen beim Gottesdienst mit Katholiken, beten mit Juden an der Klagemauer, werfen sich mit Muslimen Richtung Mekka auf den Teppich – wenns nicht hilft, kanns auch nicht schaden. Die Götter wollen ja unterhalten werden.

24. Und neben der Religion?
Gesundes Kochen. Beruf und Privates trennen. Und das moderne Denken – bei den Japanern gibt es keine Diskrepanz zwischen Tradition und Moderne.

25. Wo ist Ihr Lieblingsort in Luzern?
Die See-Promenade vom Hotel Europe hin zum Lido.

26. Was mögen Sie gar nicht in Luzern?
Alles rund um den Bahnhof herum und den Schwanenplatz mit seiner Car-Parade. Und den Abfall und die randalierenden Fussballfans.

27. Wo haben Sie vor Luzern überall gelebt?
Ach. In Italien, Belgien, Äthiopien, Frankreich, Spanien, Schweiz, Schweden, Japan. Ich glaube das war alles.

28. Hund oder Katze?
Katze. Unsere heisst Ninja. Sie ist aus dem Tierheim und etwas schwierig, und ganz fixiert auf meinen Mann. Ein Weibchen halt. Sie ist total verliebt in ihn.

29. In Ihren Büchern kommen oft auch Pferde vor. Reiten Sie?
Ja, und wie. Ich bin richtig gut. Sie überlegt kurz. Naja. Ich war richtig gut.

30. Welche Sprachen sprechen Sie?
Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Englisch und etwas Japanisch – nicht gut, aber sobald ich eine Weile dort bin, kommt es wieder.

31. In welcher Sprache denken, träumen, zählen Sie?
Französisch.

32. Sie sind nun über 40 Jahre mit ihrem Mann zusammen. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
In Paris. Ganz romantisch.

33. Wie würde er Sie beschreiben?
Sie lacht und legt ihren Kopf zur Seite.
Zerstreut, energisch, redegewandt und pragmatisch.

34. Werden Sie auf der Strasse erkannt?
Ja. Ziemlich oft.

35. Erhalten Sie auch viel Fanpost?
Es ist nicht mehr so viel wie früher. Mittlerweile kommen mehr Mails. Aber früher waren es sehr viele Briefe – kaum mehr zu bewältigen. Da hat mir oft meine Mutter geholfen und einige Antworten übernommen. Sie hat dann ein von mir signiertes Buch genommen und dazu geschrieben, dass ich gerade verreist sei. Sie lacht.

36. Sind Sie auf Facebook oder in anderen Social Media präsent?
Nein. Will ich auch gar nicht sein.

37. Wie kommt man von der grossen, weiten Welt nach Luzern?
Für meine Arbeit ist die Deutschschweiz ein guter Standort. Die Anreise zu Vorträgen ist nicht zu weit. Ausserdem war der See ein Argument und in Luzern ist alles zu Fuss erreichbar.

38. Warum gelten Sie als Schweizer Autorin, obwohl Sie aus Italien kommen?
Ich bin ja seit 50 Jahren Schweizerin. Daher bin ich eigentlich eine Schweizer Autorin mit italienischen und deutschen Wurzeln.

«Die einzig interessanten Menschen in Amerika wurden von den Siedlern abgeknallt.»

39. Welche Länder möchten Sie noch bereisen?
Island, Hawaii und Neuseeland. Da waren mein Mann und ich beide noch nicht.

40. Welches Land hat Sie nie gereizt?
Es kommt wie aus der Pistole geschossen. Amerika. Nie, nie, nie. Die einzig interessanten Menschen dort wurden von den Siedlern abgeknallt. Für den Dreh zur Verfilmung meines Buches Shana das Wolfsmädchen war ich in Kanada. Da musste ich erkennen: Auch die Kanadier haben eine Meise im Umgang mit den Indianern.

41. Schauen Sie gerne Fernsehen?
Nein. Ich habe gar keinen.

42. Dann lesen Sie viel?
Sehr viel. Aber mehr Sachliteratur – zur Recherche. Und Informatives wie das «GEO». Und wenn ich sehr, sehr müde bin, dann diese Modemagazine wie das «Elle» oder die «Madame». Da muss ich nicht viel Denken.

43. Welche zeitgenössischen Autoren schätzen Sie?
Das sind vor allem indianische Autoren. Sie haben eine ganz besondere Art die Welt zu betrachten. Louise Erdrich zum Beispiel. Oder Scott Naiche Momaday.

44. Beatles oder Stones?
Stones. Früher, als sie noch schön waren, habe ich auch ihre Konzerte besucht.

45. Was sagen Sie zu Leuten, die Sie als harmlose Kitsch-Liebesroman-Autorin beschreiben?
Diese Leute haben meine Bücher nicht gelesen. Ich schreibe auch ohne Happy End – mal mit ganz katastrophalen Enden. Und die Liebesgeschichten in meinen Büchern sind selten einfach nur schön. Oftmals sehr intensiv und schwierig. Ich mag auch keine solchen amerikanischen Liebesszenen, mit den ständig harten Nippeln. Da lach ich mich schief, wenn bei den Amerikanern wieder die Nippel hart werden. So ein blöder Ausdruck.

46. Was sagen Sie zu Leuten, die sich über Ihre nicht jugendfreien Erwachsenenromane echauffieren?
Natürlich sind die nicht jugendfrei. Sie lacht.

«Da lach ich mich schief, wenn bei den Amerikanern wieder die Nippel hart werden.»

47. Wissen Sie immer am Anfang, ob es einen Jugend- oder einen Erwachsenroman gibt, oder entwickelt sich das mit dem Schreiben?
Ich weiss das auf jeden Fall immer vorher.

48. Beschäftigen Sie sich mit der Schriftsteller-Szene in Luzern? Kennen Sie die lokalen Autoren und Verleger?
Nein. Noch nicht. Ich habe mich immer etwas von der Schriftsteller-Szene ferngehalten. Ich schreibe, da will ich nicht auch noch ständig über das Schreiben und Lesen sprechen. Ich spreche lieber über anderes.

49. Gehen Sie als Schriftstellerin einmal in Pension?
Nein. Solange der Kopf noch funktioniert nicht. Und das tut er noch gut – wie auch der Rest. Sie lacht.

50. Wie wäre es mit einem Jugendroman, der in Luzern spielt?
Why not. Aber warum einen Jugendroman? Sagen wir einen Roman. Sie überlegt einen Moment. Ja vielleicht.

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