Luzerner Bands zieht es ins Obwaldner Gasthaus

«Das Grünenwald ist Legende»

Fabian «Hefe» Christen nennt sich selbst den «Hausgeist» des Grünenwald. (Bild: Mo Henzmann)

Über hundert Bands und Künstler wie Seven, Stahlberger und Caroline Chevin haben das Engelberger Gasthaus bereits bevölkert – davon viele Luzerner. Denn das Haus kann Musikschaffenden trotz seines Alters so einiges bieten. Henrik Belden und auch Heidi Happy schätzen hier aber vor allem den Hausgeist.

Ein altes Gasthaus an der kurvigen Strasse nach Engelberg. Der Zug hielt hier früher auf Verlangen, mittlerweile fährt er durch einen Tunnel in das Skigebiet Engelberg-Titlis. Das «Grünenwald» scheint auf den ersten Blick keine besondere Oase der Kunst zu sein. Doch der erste Eindruck täuscht. Wenn die Wände dieses Hauses singen könnten, sie sängen uns viele Probeversionen und unveröffentlichte Songs. Aber auch solche, die jeder kennt – nicht nur aus der Urschweiz. Und vor allem die Luzerner Musikszene hat das Haus für sich entdeckt. Auch Heidi Happy, Henrik Belden, Gaia und Ophelia’s Iron Vest waren schon zu Besuch.

Ferien für laute Leute

Im Grünenwald stören Gitarren und Schlagzeug niemanden, und deshalb gibt es hier «Ferien für laute Leute». Das Gasthaus hat sich in den letzten fünfzehn Jahren bei Kulturschaffenden einen Namen gemacht: «Das Grünenwald ist Legende!», so Max Christian Graeff, Stimme der Luzerner Band «Die Morlocks».

Das Haus ist im Besitz der «Gasthaus Grünenwald AG» und dem zugehörigen Verein, welcher dort günstige Gästezimmer und Räumlichkeiten für Musiker und andere Gäste anbietet, die rege genutzt werden. Ungefähr 1’500 Übernachtungen verbucht das Haus pro Jahr. Der Verein organisiert daneben auch Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen wie eine «Metzgete» oder das «Weinabfüllen».

Der Luzerner Sänger Henrik Belden und seine Band verbrachten im letzten März fünf Tage im alten Haus, um sich auf ihre Tour vorzubereiten. Der Ort war Belden jedoch schon vor diesem März ein Begriff: «Ich kenne das Haus einerseits durch die Band ‹Jolly and the Flytrap› und durch meinen Bassisten Andi, der schon des Öfteren mit verschiedenen Projekten und Bands da oben war.» Dass das Haus in der Nähe von Luzern liegt und man trotzdem sehr absorbiert von der Aussenwelt sei, schätze er sehr.

Das Haus sei «wunderschön alt und knarrig, was fast ein bisschen mystisch anmutet», findet Belden und schwärmt im selben Atemzug vom Star-Wars Zimmer, welches liebevoll mit unzähligen Star-Wars-Objekten dekoriert ist. Der Ort biete alles, was für kreatives Schaffen nötig sei. «Geborgenheit, Abgeschiedenheit, guter Vibe, nette Leute und die Infrastruktur für professionelles Schaffen.» Auch Graeff ist vom Angebot überzeugt: «Das Grünenwald hat eine PA und alles, was Musiker brauchen. Rückzugsmöglichkeiten, Technik, Inspiration fernab der Zivilisation und doch recht nah.»

Das Gasthaus Grünenwald.

Das Gasthaus Grünenwald.

(Bild: zvg)

Der Hausgeist

Was alle befragten Künstler gleichermassen schätzten, ist Fabian «Hefe» Christen, der Gastgeber der Grünenwalds. Seit 14 Jahren lebt er im obersten Stock des ehemaligen Gasthauses und wird es wohl so schnell auch nicht verlassen. «Seit zehn Jahren sage ich, dass sich vielleicht in zwei Jahren etwas ändern wird. Mittlerweile denke ich, man wird mich wohl mit den Füssen voran hier raustragen müssen», so Hefe. Als Präsident des Vereins und Bewohner des Hauses, macht er einen grossen Teil des Grünenwalds aus, und der Teil scheint sehr beliebt zu sein.

«Man wird mich wohl mit den Füssen voran hier raustragen müssen.»
Fabian «Hefe» Christen, Hausgeist, Tontechniker und Webdesigner

Karin Steffen, Sängerin von «My Baby The Bomb», ist regelrecht begeistert: «Der Hausherr hat unsere Herzen innert Sekunden erobert.» Er sei der perfekte Gastgeber, findet auch Belden, «der gerne mal ein Bier mittrinkt und sich dann wieder zurückzieht und einem Freiraum im ganzen Haus lässt.» Manchmal habe man auch mehr als ein Bier zusammen getrunken, was immer willkommen sei, «da er ganz einfach ein gemütlicher Socken ist». Priska Zemp schreibt dem Hausherrn sogar eine entschleunigende Wirkung zu.

Andreas Gantner, Sänger der Country und Bluegrass-Band «Ophelia’s Iron Vest», schätzt neben dem «unglaublich guten Gastgeber» auch die hauseigenen Brände sehr: «Während den letzten Aufnahmen hat uns Hefe den Hausschnaps – den Gelbmösteler – schmackhaft gemacht. Neben all den interessanten Erklärungen, wer wieviel des Schnaps nach dem Brennen steuerfrei bekommt, haben sich verschiedene Mitglieder unserer Band diesem Schnaps so sehr verschrieben, dass wir für unseren diesjährigen Auftritt am ‹Halt Auf Verlangen› einen Teil der Gage in Gelbmöstler-Flaschen ausbezahlt haben wollten.»

«Der Hausherr hat unsere Herzen innert Sekunden erobert.»
Karin Steffen, Sängerin von «My Baby The Bomb»

Viele der Bands wurden erst durch dieses Festival, das «Halt auf Verlangen» auf das Grünenwald aufmerksam oder durch Tipps von anderen Musikern. (siehe Box)

Halt auf Verlangen

Fast alles, was an den grossen Open-Airs angeboten wird, gibt es auch am kleinen Festival im Grünenwald. Auf zwei Bühnen – auf der Terrasse und im Wohnzimmer – treten während zwei Tagen verschiedenste Interpreten auf.

Neben bekannten Bands wie «Baby Jail» spielen vor allem junge, noch unbekannte Bands. In der Garage findet sich eine Bar, hinter dem Haus werden kreative Versionen von Gewinnspielen oder Verschönerungen angeboten. Mehrere hundert Besucherinnen und Besucher pilgern dazu jeweils am Pfingstwochenende zu diesem experimentierfreudigen Festival. Und dies, obwohl der Zug gar nicht mehr hält.

Auch Gantner lernte das Grünenwald durch das hauseigene Festival kennen: «Unser Pedal-Steel-Gitarrist Julius und ich sind dank ‹Mama Rosin› auf das Festival aufmerksam geworden. Nach dem ersten Besuch waren wir von der Stimmung so begeistert, dass wir seither jedes Jahr an Pfingsten hoch pilgern.» Ophelia’s Iron Vest haben seither auch ihre beide Platten «The Spice River Valley Radio Show» und «The Drinking Side» im Grünenwald aufgenommen.

Die Luzerner Band «My Baby The Bomb» hat ihr Album «I’m a tiger» ebenfalls hier aufgenommen. «Wir haben von Freunden und anderen Musikern vom Grünenwald gehört und einige von uns waren auch schon am Festival. In dieser Zeit haben wir uns entschieden, ein Album aufzunehmen und unsere Ideen konkret werden zu lassen. Wir suchten nach einem ruhigen Ort, wo wir uns voll und ganz auf unsere Musik und auf uns konzentrieren konnten. Hier haben wir das gefunden», erklärt Steffen, Sängerin der Band.

Es fällt auf. Die Mund-zu-Mund-Propaganda zwischen den Musikern funktioniert. So auch bei Priska Zemp alias Heidi Happy. Die Singer-Songwriterin aus Luzern hat sich schon mehrmals in das Gasthaus bei Engelberg zurückgezogen, um zu proben. Und dazu habe Hefe viel beigetragen.

«Am Arsch der Welt»

Hefe ist Hauswart, Gastgeber und Seelsorger als Bewohner und, abgesehen davon, Tontechniker der Band «Jolly and the Flytrap» und Webdesigner. Der Präsident des Vereins zur Erhaltung des Gasthauses Grünenwald organisiert alles bis hin zum Halt auf Verlangen. Er zählt kurz die Plakate beim Eingang, um sicher zu sein, wie viele Halt auf Verlangen bereits Geschichte sind. «Dreizehn», zählt er: «aber da fehlt doch eines. 2000 haben wir angefangen – also sind es vierzehn.»

Als Tontechniker und Bewohner des Hauses ist er Ansprechpartner für alle technischen Probleme, alle Wehwehchen und alle Fragen. «Ich biete keine Rundum-Betreuung an, aber ich bin natürlich da, wenn Schwierigkeiten auftauchen. Eigentlich bin ich der Hausgeist», lacht er.

Wie sieht der Alltag eines solchen Hausgeistes eigentlich aus, so «am Arsch der Welt», wie er es selbst nennt, wenn das Haus leer ist? «Wenn keine Gäste da sind, dann gibt es am Haus kleine Arbeiten zu erledigen; gerade habe ich Abfall entsorgt und die Kaffeemaschine entkalkt. Und dann habe ich Zeit für meine eigentliche Arbeit im Büro.» Hefe arbeitet für das Festival «Obwald» und als Webdesigner.

«Da steigen gerade Bilder in mir hoch, die ich selbst nicht so recht glauben kann.»
Max Christian Graeff, Autor und Stimme der Band «Die Morlocks

Da der einzige dauerhafte Bewohner deshalb nicht immer im Haus ist, lässt er in einigen Fällen die Künstler auch alleine im Grünenwald – zum Beispiel Graeff und die Morlocks: «Da Jolly mitsamt Flytraps ausgerechnet an diesem Datum ein Bandwochenende anderswo machten – sie flohen also von einem Paradies in ein anderes – hüteten wir quasi eine Geistervilla.» «Da steigen gerade Bilder in mir hoch, die ich selbst nicht so recht glauben kann … Das wird alles nur Einbildung sein…», witzelt Graeff über die Erlebnisse in der Geistervilla.

Altersgebrechen und das gute alte Geld

Das Haus ist mittlerweile 140 Jahre alt. Kleine Gebrechen sind da völlig normal. Lange konnte der Verein das Haus mit Eigenleistungen bei Stange halten. Doch nun fallen grössere Arbeiten an. Für die Renovation der alten Fenster und eine neue Klein-Kläranlage müssen 120’000 Franken investiert werden. Finanziert werden können die Renovationen und Erneuerungen grösstenteils über Rückstellungen und eine Erhöhung der Hypothek. Dennoch fehlen dem Verein noch ungefähr 25’000 Franken. 5’000 erhielt der Verein vor kurzem von einer Schreinerei in Ennetbürgen. «Wir sind aus allen Wolken gefallen. Solche Leute braucht es», freut sich Hefe, Präsident und Bewohner des Grünenwalds.

«Aber auch Gemeinde und Kanton wären aus unserer Sicht am Zug», findet er. Das Grünenwald sei mittlerweile ein etabliertes Haus geworden und dies sollte auch dem Kanton etwas wert sein.

Ein Plakat des Legendären «Halt auf Verlangen»-Festivals.

Ein Plakat des Legendären «Halt auf Verlangen»-Festivals.

Eine Geschichte, wie Hefe und die «Jollys» zum Grünenwald kamen

Lange stand es nämlich leer, das Grünenwald, direkt am Gleis der Zentralbahn, wie sie damals hiess. Dann wurde es für zwei Wochen zum Proberaum für die Engelberger Band «Jolly and the Flytrap» und das eigentlich nur aus Mangel an Alternativen. Die Türen wurden geöffnet, die Fenster, die alten Glühbirnen funktionierten noch. Die Band entdeckte Gästebücher von 1888 und unangetastete Konserven aus den 1950ern. Ein Paradies der Inspiration. In den Weihnachtswochen 1998 setzten sich also diese Männer in die Gaststube, schrieben Songs, probten. Es sei diese Nacht gewesen, in welcher das Grünenwald wieder erwachte.

In den vierzehn Probetagen betörte das Grünenwald zwei der Bandmitglieder dermassen, dass sie sich sogleich einmieteten. Zwei Jahre später, ebenfalls an Weihnachten, erfuhr man, dass das Haus verkauft werden sollte. Eine Snowboarder-Unterkunft sollte das Grünenwald werden. Die Band entschied sich, ebenfalls ein Angebot zu machen. Trotz der uralten Elektrizität, der Feuchtigkeit in der Gastroküche, der bröckelnden Terrasse. Sie sprachen mit Freunden, Bekannten, allen, die sie kannten. «Wir haben da ein Projekt, das sich nicht lohnt, es ist irgendwie hirnrissig, aber es hat wunderbar begonnen und steht jetzt vor dem Aus», appellierten sie. Und innerhalb von zwei Monaten stand die Finanzierung. Mehr als hundert Personen kauften Aktien zu 1’000 Franken. Die Gasthaus Grünenwald AG wurde gegründet, dazu der «Verein zur Erhaltung des Gasthaus Grünenwaldes». Die AG platzierte ihr Angebot und konnte kaufen.

Sänger Henrik Belden freut sich auf jeden Fall auf das nächste Mal im Grünenwald. Vielleicht werde er dort ein neues Album schreiben. Denn das Haus hat es ihm ganz schön angetan: «Getrost kann man sagen, dass ich mich in den Grünenwald verliebt habe.»

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