Gesprochene Literatur

Spoken Word: Eine kleine feine Szene

Das Rezitieren auf der Bühne ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. (Bild: ©iStockphotos.com/AarStudios)

Literaturbühnen verschiedenster Couleur bereichern zunehmend die Zentralschweizer Kulturlandschaft. Grund genug, einen Blick hinter das Phänomen Spoken Word zu werfen und die wichtigsten Vertreter dieser Kunst in Luzern und Zug einmal ins Rampenlicht zu stellen.

In seinem literarischen Werk «Flucht aus der Zeit» schreibt Hugo Ball, Mitbegründer der Dada-Bewegung und Pionier des Lautgedichts: «Das laute Rezitieren ist mir zum Prüfstein der Güte eines Gedichts geworden, und ich habe mich (vom Podium) belehren lassen, in welchem Ausmasse die heutige Literatur problematisch, das heisst am Schreibtische erklügelt und für die Brille des Sammlers, statt für die Ohren lebendiger Menschen gefertigt ist.»

Aus dieser Denkweise erblühte Anfang des 20. Jahrhunderts die Bühnenliteratur, englisch das Spoken Word (gesprochenes Wort). Darunter versteht man den Vortrag eines selbst verfassten Textes auf einer Bühne. Die Textformen bei dieser Art der vorgetragenen Literatur haben keinen fixen Rahmen.

Wie Hugo Ball andeutet, ist bei Spoken Word nicht nur der Text an sich wichtig, sondern auch die Art und Weise, wie er vorgetragen wird. Eine der bekanntesten Formen ist der sogenannte Poetry Slam, ein literarischer Vortragswettbewerb. Auch in diesem Bereich gibt es kaum fixe Vorgaben.

Daher gibt es in der Schweiz wahrscheinlich genauso viele Slams, wie es Veranstalter gibt. Gemeinsam haben jedoch alle, dass die Anzahl der teilnehmenden Slammer (Dichter) beschränkt sowie das Zeitlimit für die Texte vorgegeben ist und am Ende, meistens durch die Wahl des Publikums, eine Siegerin oder ein Sieger erkoren wird.

Poesie auf der Bühne

In der Umgebung von Luzern und Zug gibt es einige Poetry Slam-Formate, die schon seit Jahren bestehen und sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Die Vereinigung Barfood Poetry beispielsweise organisiert seit dem Jahr 2001 regelmässig Poetry Slams. Mindestens vier Mal im Jahr stehen sich Slammer und Slammerinnen aus nah und fern auf der Bühne gegenüber und lassen ihre lyrischen Muskeln spielen.

Gestartet hat das Projekt im Théâtre La Fourmi. Jedoch wurde wegen dessen unsicherer Zukunft der Schauplatz der Slams ins Kulturzentrum Südpol verlegt, wo sich durchschnittlich jeweils rund 60 Zuschauerinnen und Zuschauer einfinden.

Geschlossene Lücken

Massgeblichen Anteil am Spoken-Word-Angebot der Stadt Luzern hat André Schürmann. «Uns fehlte in Luzern das passende Angebot, wo Autoren eine regelmässige Chance erhalten, aufzutreten. Da haben wir uns entschlossen, selbst die Initiative zu ergreifen», sagt er. Zusammen mit zwei Tänzern gründete der Luzerner Kulturveranstalter deshalb 1997 das Théâtre La Fourmi im Tribschengebiet.

Im Jahr 2004 folgte zusammen mit Jürg Lischer die Gründung des Kulturlokals Loge an der Moosstrasse 26 in Luzern. Damit wurde eine grosse Lücke in der literarischen Region des Vierwaldstättersees geschlossen und die Bühnenliteratur erhielt ihren festen Platz in der Luzerner Kulturlandschaft.

Von Berlin nach Zug

Und wie sieht es in Zug aus? Das Ehepaar Judith Stadlin und Michael van Orsouw alias Satz&Pfeffer entdeckte bei einem Berlin-Aufenthalt Anfang der 2000er Jahre das Konzept der Literaturbühne und adaptierte das Format, indem es 2007 die erste regelmässige Lesebühne der Schweiz an der Oswalds-Gasse 11 in Zug einführte.

Seither gibt es immer am 11. des Monats sprachliche Leckerbissen, bei dem Stadlin und van Orsouw, ergänzt durch mehrere Gäste aus dem In- und Ausland, eine literarische Vorleseshow zelebrieren. «In Berlin prägen die Stammautoren das Programm hauptsächlich. In Zug ist es genau umgekehrt, bei uns ist die Prägung durch die Gastautoren viel markanter», erklärt Michael van Orsouw das Konzept, mit dem das Duo bisher sehr erfolgreich ist.

Die Zuger Lesebühne ist mit jeweils rund 70 Besucherinnen und Besuchern seit Jahren fast ständig ausverkauft. Durch das «NKK – Neues Komma Kollektiv» sind Satz&Pfeffer künstlerisch auch mit André Schürmann verbunden. Als dreiköpfiges Ensemble präsentieren die Künstler, analog zur Lesebühne in Zug, regelmässig selbst verfasste Texte in der Luzerner Loge und laden dazu jeweils literarische Gäste ein, die mit ihnen auf der Bühne stehen.

Erhöhter Wachstumsbedarf

Die «Loge» in Luzern wirbt mit dem Slogan «5 Quadratmeter Kultur» für eine Bühne mit familiärem Ambiente. Doch für das 2008 gestartete Format «Text-Tiegel» wurde der Raum bald schon zu klein, und man verlegte den Schauplatz in das unweit entfernte Kleintheater. Rund 90 Zuschauerinnen und Zuschauer besuchen im Schnitt diesen Spoken Word-Anlass, der am Donnerstag (16. Mai) bereits sein sechstes Finale feiert.

Das Konzept des Anlasses trägt Züge eines Poetry Slams. Bei diesem Anlass kann es geschehen, dass arrivierte Buchautoren ihre liebe Mühe beim improvisierten Verfassen von Texten bekunden, aber auch, dass bisher unbekannte Autoren auf der Bühne richtiggehend aufblühen und das Publikum mit ihrer Qualität überraschen.

Für Veranstalter André Schürmann ist das kein Zufall: «Es ist ein Unterschied, ob man einen Text für die Bühne oder das Bücherregal schreibt.» Häufig zeigt sich dieser Unterschied in der Sprache. Während das Buch meistens in der klassischen Schriftsprache, also in Hochdeutsch, verfasst wird, ist der Text für die Bühne mehr auch durch die Muttersprache, respektive den eigenen Dialekt geprägt.

Mundart: Grosses Potenzial

Für van Orsouw ist das Potenzial bei der Mundart noch lange nicht erschöpft: «Ein grosses, bisher kaum genutztes Potenzial steckt in der Urner, Ob – und Nidwaldner Mundart. Aus diesen Regionen gibt es sehr wenige Bühnenautoren, obwohl diese Dialekte gute Chancen auf der Bühne hätten. Ich wünschte mir mehr Mundartautoren aus diesem Gebiet.»

Wer sich die Altersdurchmischung von Spoken Word-Anlässen ansieht, erkennt schnell, dass die Bühnenliteratur vor allem von erfahrenen Semestern betrieben wird. Während beispielsweise mit Katharina Lanfranconi, Pius Strassmann, Max Christian (MC) Graeff, Franziska Greising, Max Huwiler oder auch Hans Bösch Texter und Texterinnen der älteren Generation häufig bei Lesebühnen vertreten sind, ist die Autorendichte bei der jüngeren Generation mit Namen wie Pablo Haller oder Noemi Wyrsch eher klein. Dies hat verschiedene Gründe.

Der Luzerner Spoken-Word-Autor Pablo Haller sieht die Gründe dafür im Zeitgeist: «Es gibt immer weniger Leute, die sich für Literatur interessieren. Literatur ist schwierig, zäh, ist Auseinandersetzung, setzt Aufmerksamkeit voraus. Musik ist zugänglicher. Ein Text wirkt sofort besser, wenn Musik darunter liegt. Film vermengt Bild, Ton und Text. Wahrscheinlich ist Literatur im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr wirklich zeitgemäss.»

Keine Frage des Alters

Haller gehört zusammen mit André Schürmann und Matthias Burki zum Programmgestaltungsteam von Barfood Poetry. Auf die rar gesäten jungen Bühnenliteraten angesprochen, antwortet Burki: «Die Nachwuchsförderung im Bereich Spoken-Word ist nicht planbar. Veranstalter können Auftrittsmöglichkeiten bieten, jedoch muss der Input von den Autoren selbst kommen.»

Der, wie er sich selbst nennt, literarische Allgemeinpraktiker Michael van Orsouw meint dazu: «Auf der Bühne spielt das Alter überhaupt keine Rolle. Es kommt darauf an, welche Form der Text hat und wie dieser vorgetragen wird.»

Van Orsouw weiss, wovon er spricht. Zusammen mit Judith Stadlin hat er an der Chamer Jubiläumsfeier letztes Jahr einen Spoken-Word-Workshop angeboten und rund 10 bis 15 Anmeldungen erwartet – am Schluss waren es 120.

Literarische Erweiterungen

Neben den Lesebühnen in Luzern und Zug bieten Pablo Haller und Patrick Hegglin im Ulkulturum an der Guggistrasse 1 in Luzern eine weitere Bühne für Lokal-Literaten. Jeweils am letzten Mittwoch des Monats lesen dort Luzerner Autorinnen und Autoren aus ihren Werken.

Bisher waren es ausschliesslich Beitragende zur Sammlung «Schäferschond – Lesbare Luzerner Literatur», die 39 lokale Autoren und Autorinnen versammelt und Ende Mai im Verlag Der Kollaboratör erscheint. Bei diesen Lesungen gibt es auch immer wieder Autoren, die quasi ihre Bühnen-Jungfräulichkeit verlieren. Wer also selbst noch eine literarische Bühnen-Jungfrau ist, es aber nicht mehr sein will, kann in den erwähnten Lokalitäten vorbeischauen und die ersten Schritte wagen.

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