Zug

«Es ist einfach so, dass klassische Projekte weniger gut ankommen.»

Die Zuger Sinfonietta: Ein Experiment für mehr Spielraum (Bild: PD)

Für die Finanzierung des neuen Projekts «Unerhört!» setzt die Zuger Sinfonietta erstmals auf Crowdfunding. Für das bekannte Orchester ist das ein erster Versuch, sich zumindest teilweise von der staatlichen Kulturförderung zu emanzipieren.

Zuerst die gute Nachricht: Rund neunzig Prozent der Kosten für das neue Projekt «Unerhört!» der Zuger Sinfonietta sind finanziert. Kanton und Stadt Zug sowie Stiftungen, etwa die Ernst Göhner Stiftung oder das Migros Kulturprozent, steuern 60’000 Franken bei.

Der Rest, 6’666 Franken, fehlen noch, und darum testet das Orchester zum ersten Mal in seiner Geschichte einen neuen Weg der Finanzierung. Über ein Crowdfunding auf dem Portal wemakeit.ch will die Sinfonietta einen Teil des Honorars für den Komponisten Oliver Waespi hereinspielen. «Wenn das nicht klappt, müsste der Komponist auf einen Teil seiner Gage verzichten», erklärt Simon Müller, Geschäftsführer der Sinfonietta. 

Das könnte der Geschäftsführer nur schwer akzeptieren. Denn «Unerhört!» ist eine besondere und auch eine originelle Komposition: In «Unerhört!» wird das Euphonium als Soloinstrument zu hören sein, oder im Duo mit dem Marimbaphon. Begleitet werden beide vom professionellen Kammerorchester. Aufmerksamkeit ist der Komposition schon heute gesichert: Die Premiere wird in Bern stattfinden, und die darauf folgende Aufführung im Zuger Theater Casino wird von Radio SRF 2 aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt.

Doch dem Orchester geht es nicht nur darum, den Komponisten von «Unerhört!» anständig zu bezahlen, es geht um mehr: Die Sinfonietta will ausloten, ob es mit Crowdfunding den künstlerischen Spielraum ausweiten kann. «Jedes Jahr müssen wir genau berechnen, wie viele Projekte wir durchführen können. Momentan sind wir bei fünf pro Saison. Wir würden gerne mehr machen, aber die Finanzen lassen das nicht zu», erklärt Simon Müller seine Motivation.

Klar ist, Geld vom Staat und von privaten Sponsoren oder Gönnern ist bei Künstlerinnen und Künstlern heiss begehrt. Die Konkurrenz um die Spenderfranken ist also gross, die Kompromisse sind es nicht selten ebenso. In der staatlichen Kulturförderung bestimmen Experten, welche Kunst gefördert werden soll, und Projektfinanzierungen sind von den künstlerischen Ansprüchen der Kulturkommissionen abhängig. Diese Spielregeln gelten auch für die Sinfonietta. Ein Grund mehr, nach Alternativen zu suchen.

 Schwierige Ausgangslage

Doch die ersten Erfahrungen mit dem Crowdfunding auf dem Spenderportal wemakeit.ch sind ernüchternd. «Es läuft momentan nicht so gut», sagt Simon Müller. «Wir haben nach den ersten Tagen bloss 5 Unterstützer erreicht, das sind 308 Franken. Beim Crowdfunding ist es aber in der Regel so, dass in den ersten Tagen 25 Prozent des Betrages zusammenkommen.» 

Der 27-jährige Musikmanager und Geigenspieler spricht aus Erfahrung. Schon einmal hat er über wemakeit.ch Geld gesammelt: Für das Studienorchester der ETH und Universität Zürich. «Das war eines der ersten klassischen Projekte auf wemakeit.ch, am Ende kamen wir auf 130 Prozent des gesuchten Betrags», sagt Müller. Dabei wurde das Projekt dieses Studienorchesters vor allem von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten der Studierenden unterstützt.

Dass nun das «öffentliche» Geldsammeln für die Sinfonietta zumindest bis jetzt harzt, überrascht ihn nicht. «Die Ausgangslage ist ganz anders. Wir arbeiten hier mit professionellen Musikern zusammen. Die haben ihre festen Anstellungen und arbeiten für verschiedenste Orchester. Sie machen Musik, um Geld zu verdienen. Die emotionale Verbindung zum Projekt ist weniger stark.» Mit anderen Worten: Die Profis sind zurückhaltender, wenn es darum geht, Freunde und Bekannte auf die Crowdfunding-Aktion aufmerksam zu machen. 

Beim Sinfonietta-Geschäftsführer kommt deswegen aber keine schlechte Laune auf. «Wir wollen ja auch grundsätzlich die Form des Crowdfunding austesten. Wir sind uns dabei sehr wohl bewusst, dass klassische Projekte weniger gut ankommen.» Das lasse sich auch auf der Gönnerplattform wemakeit.ch ablesen: Eine Popband habe es einfacher, ihr Publikum und damit Gönner zu finden. 

Pioniere im Kanton

Die Sinfonietta ist bis jetzt die einzige klassische Zuger Musikformation, die auf Crowdfunding setzt. Die Kammer-Solisten Zug und das Stadtorchester Zug haben keine Erfahrungen damit. Stefan Buri, künstlerischer Leiter und Präsident der Kammer-Solisten sowie Christoph Balmer, Präsident des Stadtorchesters und der IG Kultur Zug, finden Crowdfunding eine gute Idee. Für Balmer ist jedoch klar: «Nur clevere Ideen, die attraktiv für ein Crowdfunding sind, werden Erfolg haben. Ich denke dabei an ein spezielles Grossprojekt, das ausserhalb der üblichen Programmlinie liegt.» Diese Ansicht teilt Stefan Buri, und ergänzt: «Ich stelle mir vor, dass es ein Projekt mit breiter Publikums-Akzeptanz sein müsste.» 

Publikums-Akzeptanz und Crowdfunding, diese Begriffe lösen bei den Musikern sogleich Diskussionen aus. «Ist denn ein Projekt, das nicht genügend Sponsoren findet, überhaupt nötig?», lautet eine der Fragen. «Es wäre ein Armutszeugnis, wenn Projekte nur dann gemacht würden, wenn genügend Gönner und Sponsoren vorhanden sind», mein Christoph Balmer, «und wo bliebe da die künstlerische Freiheit?» 

Simon Müller von der Sinfonietta glaubt allerdings, dass Künstler die Abstimmung des Publikums mit dem Geldschein nicht fürchten sollten. «Wenn die Leute finden, dass es das Projekt braucht, spenden sie, sonst nicht.» Das Publikum in der Expertenrolle findet auch Stefan Buri gut: «Am Publikum vorbei kann man auf die Länge sowieso nicht Kultur machen. Das Publikum will ernst genommen werden. Wir Künstler dürfen es überraschen und herausfordern.» 

Die Frage der Qualität, finden die Ensemble-Vertreter, sei nur sehr schwer zu beantworten. Weder staatliche Hilfe noch ein Sponsoring durch wemakeit.ch seien Garanten für die Qualität oder die Ansprüche eines Projektes. Klar sei aber, dass die Finanzierung über wemakeit.ch mehr Unabhängigkeit schaffen könne. 

Und genau diese Unabhängigkeit sucht nun die Zuger Sinfonietta: Sie macht einen Schritt Richtung Selbstständigkeit und entzieht sich ein Stück weit der Politik der öffentlichen Kunstförderung. Ob die Aktion gelingt, wird sich in 34 Tagen zeigen.

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