Gesamter Baubestand wird gesichtet

Luzerner Bauinventar: Schützen, was schützenswert ist

Ein Riegelbau aus dem Jahr 1866 in Altishofen. «Eindeutig schützenswert», urteilen die Inventarisatoren Frank Bürgi und Nathalie Wey. (Bild: Fabian Duss)

Seit 2010 erstellt die Luzerner Denkmalpflege ein umfassendes Bauinventar für sämtliche Gemeinden. Der Aufwand zahlt sich für die kommunalen Baubehörden aus, stösst bei Hauseigentümern und der SVP aber auf Skepsis. Zu Konflikten kommt es letztlich kaum.

Es ist ein nebliger Februarmorgen, als der Architekt Frank Bürgi das rote Mobility-Auto durch das Wiggertal steuert. Neben ihm sitzt Nathalie Wey, eine Kunsthistorikerin. Die beiden sind unterwegs nach Altishofen, wo sie ihre Arbeit abschliessen wollen. Bürgi und Wey sind als Inventarisatoren bei der Luzerner Denkmalpflege angestellt und erarbeiten bis 2018 für alle Gemeinden des Kantons ein Bauinventar.

Besuch von den Inventarisatoren

Bürgi hat bereits eineinhalb Tage in die Sichtung der Altishofer Bausubstanz investiert, nun will er sich die verbleibenden Gebäude ansehen. Der zähe Nebel stört ihn: «Wir brauchen gutes Licht für gute Fotos», seufzt er. Im oberen Dorfteil Altishofens schreiten die Inventarisatoren dann trotzdem zur Tat. Bürgi klingelt an einem alten Bauernhaus, in dessen Türrahmen das Jahr 1866 eingeritzt ist. Als die Tür geöffnet wird, dringt Essensgeruch nach draussen. Bürgi will nicht lange stören, stellt sich vor, erklärt seinen Besuch und sagt, er werde draussen ein paar Fotos des Hauses machen.

Bereitwillig lässt man die beiden Inventarisatoren ins Haus treten. Ihr scharfer Blick schweift über den Boden, die Wände und die Decke der Stube, in die Küche und durch den Flur. Nach wenigen Minuten ist der Besuch zu Ende. «Das reicht», erklärt Frank Bürgi draussen, während Nathalie Wey die Hausfassade fotografiert. «Vielleicht hat es oben noch alte Zimmer, aber das ist für das Inventar nicht mehr so relevant.» Die beiden haben gesehen, was sie sehen wollten. Es passe alles zusammen, so Bürgi: die Jahreszahl am Eingang, die regelmässige Anordnung der Fenster, die Wandverkleidungen. Es handle sich um einen typischen Vertreter eines Riegelbaus aus dem 19. Jahrhundert mit klassizistischem Einfluss, an dem baulich wenig verändert wurde. Aussergewöhnlich sei, dass die Riegel auch gezeigt würden. Sein Fazit: Das Haus ist schützenswert.

Hauseigentümer reagieren skeptisch

Unter der Leitung von Mathias Steinmann sichten seit 2010 drei Inventarisatoren den gesamten Gebäudebestand des Kantons auf seine bauhistorische Bedeutung. Voraussichtlich werden – die Stadt Luzern nicht mitgerechnet – etwa 7’000 Objekte erfasst und kategorisiert. Das sind etwa 5 bis 7 Prozent aller Gebäude. Das Projekt kostet rund 3,2 Millionen Franken und kommt gut voran. In 40 von 83 Gemeinden ist das Bauinventar bereits in Kraft, ebenso in anderen Kantonen wie etwa Aargau oder Bern. Luzerns inventarisierte Gebäude sind auf dem Geoportal des Kantons einsehbar. Steinmann ist überzeugt, dass die Feldarbeit bis 2018 abgeschlossen sein wird. Bis zur Inkraftsetzung könne es mancherorts aber noch etwas länger dauern.

In den allermeisten Fällen werden Bürgi und Wey freundlich empfangen. Die Gemeinden werden vorinformiert und die Inventarisierung im Gemeindeblatt angekündigt. Viele Hauseigentümer sind skeptisch, wenn Wey und Bürgi auftauchen. Sie fürchten, in der Verfügung über ihr Gebäude eingeschränkt zu werden, sagt Nathalie Wey. «Wenn wir erklären, es gehe nicht um eine Unterschutzstellung, sondern um die Erarbeitung eines Fachinventars, sind die Leute aber meist erleichtert.» Dass die Sichtung primär von aussen erfolgt, wirkt ebenfalls positiv.

Was ist kulturhistorisch wertvoll?

Als der Kantonsrat 2009 die Revision des Gesetzes über den Schutz der Kulturgüter beriet, leistete die SVP heftigen Widerstand. Die Gesetzesänderung sei übertrieben, gehe viel zu weit und schränke Eigentümer ein, anstatt sie zu schützen, hiess es. Der SVP gelang es letztlich nicht, das Bauinventar zu verhindern. Ihre Kantonsräte verfolgen dessen Umsetzung kaum. An ihrer Haltung hat sich indes nichts geändert: Nach Ansicht von Christian Graber, der damals die Haltung der SVP-Fraktion vortrug, reicht das existierende Denkmalverzeichnis des Kantons mit seinen rund 800 geschützten Objekten aus. «Die zusätzliche Arbeit hätten wir uns sparen können», sagt Graber. Alte, schützenswerte Kapellen oder Kirchen seien ja längst erfasst.

Die Auffassung, als «Denkmäler» kämen einzig Hofkirchen, Kapellbrücken, Stadtmauern und Schlösser infrage, ist weit über die SVP hinaus verbreitet. Das Gesetz spricht aber eine andere Sprache: Es bezeichnet unter anderem auch gut erhaltene Arbeiterhäuser, stattliche Bauernhöfe oder Speicher aus vergangenen Jahrhunderten als kulturhistorisch wertvoll.

Bauinventar für jede Gemeinde

Das Bauinventar will die Vielfalt der Kulturdenkmäler vermitteln. Gleichzeitig soll es als Grundlage für eine planungsrechtliche Umsetzung dienen. Bei der Inventarisation wird der gesamte Baubestand einer Gemeinde gesichtet und auf seine bauhistorische Bedeutung geprüft.

Ins Inventar aufgenommen wird aber nur eine signifikante Auswahl, die Objekte aller Baugattungen umfasst – ländliche und dörfliche Alltagsbauten, Bauzeugen des Tourismus oder der Industrie bis hin zu Beispielen der Architektur des 20. Jahrhunderts. Für die im Bauinventar erfassten Objekte gibt es kein Bauverbot.

«Viele historische Bauten sind in der Vergangenheit etwa vor dem Hintergrund des andauernden Baubooms bereits verschwunden oder wurden durch Umbauten in ihrer historischen Substanz oder ihrem Erscheinungsbild erheblich zerstört, ohne dass wir davon Kenntnis hatten», erläutert Mathias Steinmann. Mit dem Bauinventar soll das nicht mehr vorkommen. Das Instrument helfe, erhaltens- und schützenswerte Objekte frühzeitig zu erkennen und bauliche Massnahmen rechtzeitig mit denkmalpflegerischen Anliegen abzustimmen.

Schützens- und erhaltenswerte Objekte

Zurück ins Feld nach Altishofen, wo Frank Bürgi gerade das Wort schützenswert auf sein Datenblatt schreibt. Im Inventar wird das Bauernhaus nun als wertvoller Bau vermerkt, dessen ungeschmälertes Weiterbestehen wichtig ist. Bei baulichen Veränderungen muss künftig die Denkmalpflege beigezogen werden. Andere Gebäude vermerken die Inventarisatoren derweil bloss als erhaltenswert. Die Bewilligungsverfahren liegen dort einzig in der Zuständigkeit der Gemeinde. Ihr Spielraum ist gross, spielt bei der Umsetzung des Bauinventars nämlich auch etwa die Verhältnismässigkeit der Erhaltung eines Objektes eine Rolle.

Manche Hauseigentümer reagieren stolz auf die Nachricht, dass ihr Gebäude ins Bauinventar aufgenommen wurde. Bei vielen hält sich die Freude aber in Grenzen. Aus Wolhusen, wo das Bauinventar bereits seit Februar 2013 in Kraft ist, berichtet Bauverwalter Bruno Stalder über unterschiedliche Reaktionen. Die Inventarisierung habe Besitzer von erhaltenswerten Gebäuden kaum besorgt, während Eigentümer von nun schützenswerten Häusern sich eher gemeldet hätten.

Keine Einsprache gegen Kategorisierung möglich

Wehren können sich Hausbesitzer und Gemeinden gegen die Kategorisierung kaum, Einsprache kann dagegen nicht eingereicht werden. Einen sogenannten Feststellungsentscheid hat bislang niemand verlangt, worüber sich Chef-Inventarisator Steinmann freut. Er betont, dass die Erfassung der Objekte nach rein fachlichen Kriterien erfolge. Es gäbe aber immer wieder Gemeinden, welche die Kategorisierung einzelner Gebäude in Frage stellen, etwa weil bereits Planungen laufen oder über die künftige Nutzung eines Gebietes andere Ideen herrschen. «In Gemeinden, wo der Baudruck grösser ist, gibt es häufiger Diskussionen», sagt Steinmann.

Die Inventarisatoren begründen ihre Entscheide und beantworten Fragen von Gemeinden und Hausbesitzern ausführlich. An den Kategorisierungen können derweil einzig fachliche Einwände rütteln, etwa wenn ein Objekt vor ein paar Jahrzehnten innen völlig ausgekernt wurde und dies die Inventarisatoren von aussen nicht feststellen konnten.

Bauinventar erleichtert Planung

Bei den Gemeinden sowie beim Hauseigentümerverband (HEV) stösst das Bauinventar auf Akzeptanz. «Wir haben damit aber bislang relativ wenige Erfahrungen gesammelt», sagt etwa Karl Rigert, Präsident des kantonalen HEV. Er bittet die Denkmalpflege, mit Augenmass zu inventarisieren, denn nicht alles Alte sei auch schützenswert. Rigert hofft zudem, dass das Bauinventar moderat umgesetzt werde. Das sieht auch Mario del Puppo so, der als Bauberater und Bewertungsexperte für den HEV wirkt. Er rät Eigentümern, gegenüber den Baubehörden nicht einfach auf stur zu schalten. «Man muss intelligent mit ihnen umgehen, denn es ist ein Geben und Nehmen.» Die Behörden hätten letztlich ja auch ein Interesse daran, dass gebaut werde.

Peter Ottiger, der die Ebikoner Hochbauabteilung leitet, stand dem Projekt anfangs kritisch gegenüber. Seit September 2012 ist das Bauinventar Ebikons in Kraft. Mittlerweile findet es Ottiger «eine sehr gute Sache». Das Inventar erleichtere seine Arbeit und gäbe ihm eine gewisse Sicherheit in der Behandlung von Kulturobjekten. «Wir wissen nun rechtzeitig, bei welchen Objekten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden müssen und wo nicht.» Bei erhaltenswerten Gebäuden definiert seine Behörde die konkreten Schutzbestimmungen erst, wenn bauliche Änderungen vorgenommen werden sollen. Dazu zieht die Gemeinde freiwillig die Denkmalpflege bei. Probleme mit Eigentümern seien bislang ausgeblieben, sagt Ottiger.

Mehr finanzielle Mittel nötig

Etwas weniger euphorisch fällt das Zwischenfazit des Wolhuser Bauverwalters aus. Er lobt zwar dessen Vorteile, setzt aber ein Fragezeichen hinter den Aufwand, den die Denkmalpflege betreibt. Für SVP-Kantonsrat Christian Graber ist die Inventarisierung eine reine Arbeitsbeschaffungsmassnahme: «Die Denkmalpflege will doch einfach möglichst viele Objekte erfassen, um sich so die Arbeit für die nächsten Jahre zu sichern.»

Auch wenn diese Darstellung übertrieben sein mag, einen wunden Punkt deutet Graber an: Gemäss dem Kulturgüter-Gesetz müssen die Bauinventare alle zehn Jahre gesamthaft überprüft und angepasst werden. Und je mehr Objekte den Weg ins Inventar finden, desto grösser wird der Beratungsaufwand, den die kantonale Denkmalpflege zu leisten hat. Die intensive Luzerner Bautätigkeit der letzten Jahre beschäftigt die Denkmalpfleger zusätzlich, denn sie muss immer mehr Baugesuche prüfen. Trotz diesem Mehraufwand haben Bund und Kanton in den vergangenen Jahren die finanziellen Mittel für die Denkmalpflege gestutzt. Soll das Bauinventar nachhaltig wirken, wird die Politik also die Sparschraube bald wieder etwas lockern müssen.

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