Nachbarschaftsstreit vor Gericht

«Blöde Kuh» kostet 100 Franken

Was kann eine friedliche Kuh dafür, dass sie oft als Schimpfwort für Frauen benützt wird? (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Das Zuger Strafgericht musste sich mit dem konfliktgeladenen Alltag zweier Nachbarinnen beschäftigen. Eine 63-jährige Frau aus Rotkreuz ist wegen Beschimpfung verurteilt worden. Sie hat ihre 72-jährige Nachbarin mit «blöde Kuh» betitelt. Das Strafgeld wurde aber von 600 Franken auf 100 Franken reduziert, weil der Ausdruck zu den harmloseren Schimpfwörtern gehöre. Doch wenn wir schon im Tierreich sind: Eigentlich geht es dabei um einen allzu lebhaften kleinen Hund.

Kerzengerade sitzt die bürgerlich-elegant gekleidete ältere Schweizerin im Gerichtsssaal, am Arm trägt sie eine goldene Uhr. Ihre Augen verbergen sich hinter einer dunkel getönten Brille, die Klägerin wirkt streng und kontrolliert. Die Angeklagte ist das pure Gegenteil: Südländertyp, lange schwarze Haare und sehr emotional. Was die beiden verbindet: Sie wohnen seit Jahren im selben Haus.

Der Hund ist schuld

Folgendes hat sich im Wohnblock in Rotkreuz an einem Samstag im September 2012 abgespielt. Die Klägerin S. wohnt in der Dachwohnung. Auf dem gleichen Stock befindet sich die Waschküche und ein Bastelraum, den die Beschuldigte W. gemietet hat. S. wollte mit ihrem Mann auf den Wochenmarkt, die Türe ihrer Wohnung stand bereits offen und sie hielt einige Taschen in der Hand. Da geht die Lifttüre neben ihrer Wohnungstüre auf. Heraus tritt W., gleichzeitig flitzt ihr halbjähriger kleiner Jack Russel hinaus. Der nicht angeleinte junge Hund will sogleich in die fremde Wohnung. Das verweigert ihm S., indem sie ihm Taschen in den Weg stellt und ihn verscheucht.

Daraufhin platzt der Angeklagten der Kragen, sie sagt «Es langt!» und bezeichnet die Nachbarin als «blöde Kuh». Ein Detail der Formulierung war am Gericht ebenfalls ein Thema: Ob sie «dumm» oder «blöd» gesagt habe. Aber daran konnte sich keine Seite erinnern. Vorangegangen sind viele andere Nadelstiche und Vorfälle zwischen den beiden Nachbarinnen, wie sich im Laufe der Verhandlung herausstellte.

Angeklagte bestreitet die Tat

Der Einzelrichter versuchte zunächst, wie bereits vorher vergeblich die Staatsanwaltschaft, die Frauen zu einer Einigung zu bewegen: Es lohne sich doch gar nicht, das hier zu verhandeln und auch der Staatsanwalt komme nicht extra wegen einer solchen Kleinigkeit. Ein zweckloses Unterfangen.

Von Anfang an wehrte sich die Angeklagte heftig gegen die Beschuldigung. Dafür kehrte sie den Spiess um und erklärte, die Klägerin habe sie einmal vom Balkon herunter mit «Jugo» betitelt. Die 63-jährige Frau stammt aus Bosnien im ehemaligen Jugoslawien. «Ich bin schon 45 Jahre in der Schweiz und werde schon genug geplagt als Ausländerin», sagte sie. Damit erreichte sie zwar einen gewissen Sympathiebonus. Allerdings wurde einem als Beobachter schnell klar, dass sie keine pflegeleichte Person ist. Die Frau fiel dem Richter laufend ins Wort.

Grund zum Ärger hatte sie: Ursprünglich hätte die Beschuldigte eine Busse von 120 Franken bezahlen sollen. Weil sie aber Einsprache erhob, landete der Fall vor Gericht. Die Staatanwaltschaft forderte neben der Busse eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 30 Franken, total also 600 Franken.

Der Hund ist das Problem

Wie hat alles angefangen? Die Klägerin sagte, es habe nie Probleme gegeben im Haus, bis sich die Angeklagte diesen Hund anschaffte. «Dieser klettert allen Leuten die Beine hinauf, rennt in fremde Wohnungen hinein. Ausserdem hat er die Mode, dauernd zu kläffen». Die Besitzerin entschuldige sich nicht bei den Leuten für das Verhalten ihres Hundes.

Die Hundebesitzerin ihrerseits sagte in der Verhandlung, sie verstehe nicht, warum die Klägerin zur «Hundehasserin» geworden sei. «Sie hat ja früher selber einen Hund gehabt, sogar einen grossen.»

Der Hund dürfe gemäss dem Hauswart nicht in die Waschküche des Wohnhauses, erklärte die Klägerin. «Frau W. muss nicht behaupten, sie halte sich daran. Sie hält sich an rein gar nichts!» Dann legte sie noch einen drauf und sagte, W. habe ein Hausverbot im nahe gelegenen Restaurant Mamma Mia in Rotkreuz. «Das stimmt überhaupt nicht», schrie die Angeklagte und warf ihre schwarzen Haare effektvoll in den Nacken.

Das pralle Nachbarschaftsleben

Der Richter mahnte die Frauen zwar beim Thema der Verhandlung – der Beschimpfung – zu bleiben und nicht «das ganze Leben» auszubreiten. Vergeblich. Es wurden weitere nachbarschaftliche Streitthemen erörtert, aus denen hervorging, dass das Verhältnis schon lange angespannt ist. Die Angeklagte warf der Klägerin vor, ihre Balkonblumen täglich eine Stunde lang zu giessen. Das Wasser fliesse regelrecht auf ihre liebevoll gehegten Bonsai-Bäume; ihr Mann habe deshalb eine Spezialkonstruktion zum Schutz der Pflanzen erstellen müssen.

Ausserdem schikaniere die ältere Nachbarin sie in der Waschküche. Dort bestehe jede Frau auf ihrer Seite, wehe, wenn ein «Lümpli» auf der anderen Seite hänge… «Ich frage mich schon, wer hier wen schikaniert», erklärte die Angeklagte. Es sei «unmenschlich», was die andere Frau ihr antue.

Die Klägerin, die meistens ruhig blieb und nur ab und zu mit einem Schnalzen ihr Missfallen signalisierte, meinte zu all den Vorwürfen nur lapidar: «Vier Fünftel von dem, was sie erzählt, stimmt gar nicht.» Zum Ende der Verhandlung brach die Angeklagte in Tränen aus, sie sei mit den Nerven am Ende, nicht belastbar, habe vier Kinder und ihre Tochter sei vor kurzem tragisch verunglückt. Eine höchst emotionale Situation. Ob sie den Richter beeinflusste, war nicht abzuschätzen.

Schuldig gesprochen, aber Strafe reduziert

Danach zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Der Richter verkündete danach das Urteil und bat die Frauen, ihn dabei nicht zu unterbrechen. Er sprach die Angeklagte schuldig. Aufgrund der Aktenlage sei man überzeugt, dass sich die Sache tatsächlich so zugetragen habe. Man sehe keinen Grund, an den Aussagen der Klägerin und deren Mann als Zeuge zu zweifeln.

Die Geldstrafe wurde jedoch auf 100 Franken reduziert. «Blöde Kuh ist nicht so ein massives Schimpfwort, da gibt es Schlimmere», sagte der Einzelrichter. Zudem sei das Schimpfwort in einem von Spannungen geprägten nachbarschaftlichen Verhältnis gefallen.

Strafmildernd wirkte sich zudem aus, dass die Klägerin nach der Beschimpfung die Gegenfrage stellte, wer denn hier eigentlich die «dumme Kuh» sei. Das sei quasi eine Gegenbeleidigung und der Klägerin wohl «rausgerutscht», sagte er. Zusätzlich zur Geldstrafe wurden der Angeklagten die Gerichtskosten von 1000 Franken auferlegt. Der Richter bat die beiden Frauen abschliessend, sich das Leben gegenseitig nicht mehr schwer zu machen.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Kruemelmonster
    Kruemelmonster, 02.02.2014, 15:14 Uhr

    Für mich ist eine Frage ganz entscheidend bei diesem hochpolitischen Prozess, der bereits international Schlagzeilen gemacht hat: Warum ist die Kuh auf dem Bild nicht als Nebenklägerin aufgetreten wegen Verletzung des Washingtoner Artenschutz-Abkommens. Müsste die geltende Antirassismus-Gesetzgebung nicht erweitert werden um einen Kuh-Paragrafen? Kühe sind arbeitsame und sensible Tiere und ihre Vertretung in Politik nimmt bisher niemand war, obwohl sie entscheidend zum Bruttosozialprodukt und zum Image der Schweiz beitragen. Auch die Krümelmonster mussten in der Vergangenheit um ihre Anerkennung kämpfen, bis sie in der Sesamstrasse eine adäquate Plattform für ihr grösstes Anliegen erhielten – sprich: KEEEEEKSE! 🙂

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon