Besuch bei der «Güügali Zunft Luzern»

Wo bleiben die Luzerner Stadtoriginale?

Stadtoriginal Joe «Hau den Lukas» Birrer auf seinem Stuhl in der Baselstrasse. (Bild: zentral+)

Der Tod von Musiker Angy Burri am 22. Dezember zeigte: In Luzern weiss man gar nicht mehr so recht was ein Stadtoriginal ist. Er wollte keines sein, war es damit auch nicht und wird trotzdem als eines bezeichnet. Und wer die verbliebenen Stadtoriginale heute finden will, braucht Geduld und Vorwissen. Die bunten Hunde sind so einfach nicht mehr zu entdecken.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Medium auf die Suche nach den Luzerner Stadtoriginalen macht. Doch zwei Umstände machen es in diesem Fall speziell: Der Tod des legendären Musikers und Indianer-Freundes Angy Burri am 22. Dezember 2013 und jener von Radio Müsli am 14. August 2012. In Bezug auf die Luzerner Stadtoriginale sind beide Personen von unterschiedlichem Interesse: Angy Burri war nie ein offizielles Stadtoriginal und mit Marcel «Müsli» Schöngarth verliess das letzte augenfällige Original die Leuchtenstadt. zentral+ traf Adolf Portmann von der «Güügali Zunft Luzern», welche seit 1978 die Stadtoriginale fördert, zu einem Gespräch.

Mit Manser und Müsli die auffälligsten Originale verloren

Auf der Webseite der Güügali Zunft Luzern werden 137 verstorbene Luzerner Stadtoriginale aufgeführt. Darunter sind auch jene zwei zu finden, welche den Stadtbewohnern noch am ehesten bekannt sein dürften. Einer davon ist Emil Manser (1951-2004), welcher damit auffiel, als Mischung von Charlie Chaplin und Picasso verkleidet durch die Strassen zu laufen. Dabei trug er stets einen guten Spruch mit sich, aufgezeichnet auf zwei Tafeln, welche er sich wie einen Mantel umhängte. «Intelikenz ist gerecht verteilt. Jede(r) meint genug zu haben», war zum Beispiel darauf zu lesen. Seine Weisheiten wurden in Luzern zum Kult, sein Lebenswerk wurde in einem Buch festgehalten. Manser fiel auf. Optisch.

Ähnlich verhielt es sich mit Marcel «Radio Müsli» Schöngarth. Wer im Neustadt-Quartier mit seinen Einkäufen an der Kasse wartete, konnte sich dem Entertainer kaum entziehen. Müsli forderte jeden zu einem Gespräch auf, ob man nun dazu Zeit hatte oder nicht. Anzutreffen war er meist mit seinem Kinderwagen – ausgestattet mit einer Musikanlage und gefüllt mit selbstgeschriebenen Texten oder Schokolade, welche er zu verkaufen versuchte. Auch Müsli war auffällig: Gekleidet in einer Uniform irgendeiner Musikgesellschaft oder im feinen Anzug. So augenfällig Manser und Müsli waren, desto mehr fehlen sie heute dem Luzerner Stadtbild. Adolf Portmann, Vize-Präsident der Güügali Zunft hält fest: «Seit dem Ableben von Manser und Müsli haben wir keine legendäre, augenfällige Originale mehr. Wir müssen uns fragen: Wieso?»

Legendäre Beizen und bezahlbarer Wohnraum

Das Gespräch mit Adolf Portmann findet im Archiv der Güügali Zunft in der Kapellgasse der Luzerner Altstadt statt. Den Vizepräsidenten macht das Verschwinden der Originale nachdenklich. «Die heutige Gesellschaft lässt Originale fast nicht mehr zu», hält er fest, «in der Arbeitswelt herrscht nichts anderes als Hektik. Fällt einer aus dem Rahmen, wird das nicht mehr akzeptiert.» Auch die Stadtentwicklung mache es für die Originale immer schwieriger, noch Lebensraum vorzufinden: «Früher waren die Originale mitten in der Stadt präsent. Nahe am Bahnhof, in der Altstadt. Doch wer kann sich die heutigen Mieten da noch leisten? Die Originale nicht.»

«Die Fischerstube oder die Schmitte – da waren die Originale immer Willkommen. Wo gibt es heute noch solche Beizen?»

Adolf Portmann, Vize-Präsident Güügali Zunft Luzern

Portmann stellt sich weiter die Frage, wohin denn ein Original noch gehen soll, wenn es die Stadt besucht. Denn eines scheint mit dem Verschwinden der Stadtoriginale Hand in Hand zu geschehen: Die «legendären» Beizen in der Stadt Luzern würden laut Portmann zunehmend aussterben. «Die Fischerstube oder die Schmitte – da waren die Originale immer willkommen. Für sie war das ein Stück Heimat. Wo gibt es heute noch solche Beizen?» Während dem Gespräch fallen die unzähligen Fotos von Originalen auf, welche im Archiv der Zunft hängen. Der Raum ist nur um die 16 Quadratmeter gross, aber randvoll mit Geschichten und Relikten von den verstorbenen Originalen. 137 verstorbenen Originalen stehen 18 lebende gegenüber. Es gibt sie also noch heute. Bloss, wo sind diese zu finden?

«Wer kauft den heute noch Lose?»

Eines der verbliebenen Originale ist Rolf «der Losverkäufer» Boff. Sein Markenzeichen ist – oder vielmehr war es – in der Stadt Lose zu verkaufen. Boff selbst sieht man heute noch ab und zu in der Luzerner Altstadt, zum Beispiel im Restaurant Sankt Magdalena. Er gibt sich gerne als Mann von Welt und hat viele Geschichten bereit, mit dessen Wahrheitsgehalt es sich in etwa so verhält, wie mit dem Wasserstand der Reuss. Nur seine Lose hat Rolf Boff nicht mehr dabei. «Auch hier hat sich der Zeitgeist verändert», stellt Adolf Portmann fest und fragt, «wer kauft den heute noch Lose»?

Obwohl eigentlich sehr diskret und unauffällig, ist Joe Birrer eines der lebenden Originale, welches am ehesten anzutreffen ist. An einem Ort, «an dem Originale noch akzeptiert werden», wie Portmann betont: In der Baselstrasse. Dort sitzt neben dem Kiosk meist ein älterer Herr auf einem Stuhl und beobachtet das Treiben auf der belebten Strasse, eben: Joe «Hau den Lukas» Birrer. Neben ihm ein altes, rotes Mofa. «Mit diesem Mofa fährt er dann auch mal nach Innsbruck, nur um kurz ‹Hallo› zu sagen», verrät Portmann. Trifft man ihn nicht in seiner Baselstrasse, ist er am ehesten an der «Lozärner Määs» zu sehen. Dort hilft er seit Jahren am «Hau den Lukas-Stand». Aber: Im Gegensatz zu Manser oder Radio Müsli ist Birrer nicht auf den ersten Blick als Original zu erkennen. Keine Spruchtafel, keine Uniform: Er sitzt einfach da.

Angy Burri wäre ein Original gewesen

Mit dem jüngst verstorbenen Angy Burri hat für viele Luzerner Bewohner ein weiteres Original die Weltbühne verlassen. Dabei gilt es festzuhalten, dass Burri nie ein offizielles Stadtoriginal war – nicht weil er dazu nicht «ausgereicht» hätte – sondern weil er schlicht nicht wollte. «Angy Burri wäre ein Original gewesen und wurde von uns auch angefragt», erinnert sich Portmann, «doch er wollte ‹à tout prix› nicht als solches abgestempelt werden. Er meinte stets, er sei sein eigenes Original». Als Luzerner Original «abgestempelt» sein. Eine von vielen Zeiterscheinungen, welche es für die Güügali Zunft schwer machen, neue Originale zu finden. Aber es gibt durchaus noch weitere Gründe.

«Er wollte ‹à tout prix› nicht als solches abgestempelt werden.»

Adolf Portmann, Vize-Präsident Güügali Zunft Luzern

«Die Güügali Zunft feierte letztes Jahr ihren 35. Geburtstag», erklärt Portmann, «das heisst, das auch wir Zünftler und die Welt um uns herum 35 Jahre älter geworden sind». Er erinnert sich, dass man zu Gründungszeiten noch mit den Originalen gelebt habe. Mehr und mehr seien dabei die Originale weggestorben, «wir blieben übrig», hält Portmann fest. Dabei fällt auf, dass die Zunft im Moment gerade selbst in einem Findungsprozess steckt: «Wir haben es vielleicht verpasst, frühzeitig Nachwuchs-Originale zu finden, aber eben, wo sind diese heute zu finden?» Kritisch fragt sich Portmann, was die Aufgabe der Zunft sei, wenn es keine Originale mehr gäbe. «Es geht darum, die Werte der verstorbenen und noch lebenden Originale hochzuhalten, damit diese nicht verloren gehen», beantwortet er die Frage gleich selber.

Neue Zünftler, neue Originale

Wer sich die Zeit nimmt und die Webseite der Güügali-Zunft durchforscht, der merkt schnell: Die Seite ist in die Jahre gekommen, oder wohlwollend: sie ist zumindest originell altmodisch. Es macht den Eindruck, als hätte die Zunft auf allen Ebenen eine Erfrischung notwendig: Verjüngung der Zünftler, neue Originale und ja, vielleicht eine Webseite, welche jedes Original mit Foto zeigt. Das würde möglicherweise dabei helfen, die Originale in der Stadt einfacher zu erkennen. Die gute Nachricht: Adolf Portmann und seine Zunft-Freunde haben die Zeichen der Zeit erkannt: «Bald werden wir durch einen neuen Jungzünftler verstärkt und mit dem Archiv müssen wir aufgrund von Renovationsarbeiten umziehen.» Dies soll zu neuem Schwung verhelfen, den es auch braucht: Denn im weiteren Verlauf des Gespräches kommt Portmann von sich aus auf einige neue Originale zu sprechen.

«Vielleicht stehen die ja heute an einem Kebab-Stand?»

Adolf Portmann, Vize-Präsident Güügali Zunft Luzern

«Einer läuft zum Beispiel immer als Elvis Presley durch die Stadt. Den will ich angehen», erzählt Portmann und beim Gedanken an ein neues Stadtoriginal funkelt es in seinen Augen. «Ich glaube der wohnt am Seetalplatz, oder?» Weiter erwähnt Portmann den «Eigenbrötler» Daniel Amrein, welcher jeweils am Wochenmarkt in Luzern ausgefallene Brote verkauft. «Der verkauft immer Samstags. Und egal ob zehn oder mehr Personen anstehen, bleibt der die Ruhe selbst.» Portmann reflektiert, ob die neuen Origanle anders gesucht und gefunden werden müssten: «Vielleicht stehen die ja heute an einem Kebab-Stand?» Einen anderen Kandidaten findet Portmann an der Lindenstrasse in Reussbühl: «Da gibt es den Power Shop Harley Davidson. Der gehört einem gewissen Heinz Amstein.» Die Garage gleiche einem grossen Chaos, diverse zerlegte Motorräder würden darauf warten, wieder zusammengesetzt zu werden. «Er hat ein grosses Know-how über Harley Davidson. Bringt man seinen Töff, müsse man aber auf das Prinzip «Lust und Laune» hoffen. «Zeitpläne und Hektik scheinen ihm egal», weiss Portmann – selber passionierter Harley-Fahrer – aus eigener Erfahrung zu berichten.

Neuer Freiraum für neue Originale

Dass es zur Fortführung dieser typischen Luzerner Tradition neue Originale, aber auch eine aktivere Güügali Zunft braucht, dessen ist sich Adolf Portmann bewusst. «Wir bekommen viele Tipps. Leider sind die aber oft nicht brauchbar,» erklärt Portmann. «Uns war immer eine klare Distanz zu tragischen Sozialfällen wie Alkoholikern oder Drogensüchtigen wichtig.» Wer beim Schlendern durch Luzerns Gassen Ausschau nach neuen Originalen hält, stellt schnell fest: Die Grenze zwischen «normalen» und «tragischen Sozialfällen» wird in der heutigen, angepassten Zeit immer klarer gezogen. Schnittstellen sind kaum noch vorhanden. Es stellt sich daher abschliessend die Frage, in welchen Freiräumen sich solche «Originale» denn heute noch aufhalten könnten.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 21.07.2014, 19:54 Uhr

    Sehr einfach: Den Spiessern von der Güggseli-Zunft gelten nur Alkoholiker und anderswie anständig durchgeknallte als «Originale». Junkies und ähnliches sind für a priori pfui. Also: beschränkte Auswahl, beschränkte Köpfe, Zeitgeist verschnarcht. Unoriginell.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von ub41
    ub41, 05.01.2014, 22:32 Uhr

    Wie waer’s wenn die Originale mal alle noch lebenden ‹Ruedigen› Luzerner anfragen wuerden? Das gaebe schon mal einen rechten ‹Vorrat› an Nachwuchs, oder?

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon