Luzern diskutiert über «Wohnraum für alle»

Leben in den Genossenschaftswohnungen nur noch gut betuchte Linke?

Die Talkrunde (von links): Urs Hauser (nicht auf dem Bild), Barbara Emmenegger, Stephan Wicki, Moderatorin Christine Weber, Jesús Turiño und Sarah Grossenbacher.

(Bild: sib)

100 Jahre Wohnbaugenossenschaften Schweiz: Anlässlich dieses Jubiläums fanden am Dienstag im Luzerner Neubad Vertreter von Genossenschaft, Stadt Luzern, Wissenschaft, Behörde und Mieter zusammen. Sie diskutierten, wer überhaupt Anspruch auf eine gemeinnützige Wohnung haben soll – und wo es aus genossenschaftlicher Sicht hakt.

Zum Ende hin wagte Moderatorin Christine Weber die ketzerische Frage zu stellen: «Man hört immer wieder den Vorwurf, in den Genossenschaftswohnungen wohnen vermehrt eher wohlhabende Linke und nicht mehr die ‹echten› Büezer. Ist das so?»

Weber traf damit zumindest bei Barbara Emmenegger einen wunden Punkt. Die Dozentin am Institut für soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern hielt vehement dagegen: «In den Genossenschaften wohnen die richtigen Leute. Zumal es auch nicht die eine Genossenschaft gibt.» Was die «NZZ» betreibe, sei peinliches Genossenschafts-Bashing. Unter anderem schrieb die Zeitung, es gebe deutlich effizientere Wege, genügend Wohnraum für die unteren Einkommensschichten erschwinglich zu machen.

1’500 Genossenschaften, 150’000 Wohnungen

Es war einer der wenigen Momente, in denen es wirklich emotional wurde am Dienstag-Vorabend im Luzerner Neubad. Ansonsten herrschte viel Einigkeit. Anlass für den Feierabendtalk unter dem Motto «Wohnraum für alle: Für wen sind die Wohnbaugenossenschaften da?» war der 100. Geburtstag des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Der Verband vereint rund 1’500 Genossenschaften als Mitglieder, die circa 150’000 Wohnungen in der Schweiz besitzen.

«Es gibt nur eine Lösung – es braucht mehr gemeinnützigen Wohnungsbau.»

Urs Hauser, Direktor Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Für die Begrüssung verantwortlich war Alt-Nationalrat Louis Schelbert (Grüne). Der Luzerner amtet als Präsident der Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Als Gesprächsgäste waren neben Barbara Emmenegger der Direktor der Wohnbaugenossenschaften Schweiz, Urs Hauser, Sarah Grossenbacher, Ressortleiterin Wohnraumpolitik bei der Stadt Luzern, Jesús Turiño, Leiter Soziales und Genossenschaftskultur bei der Genossenschaft ABL, und Stephan Wicki geladen.

Wicki hat als Regisseur im Rahmen des Jubiläums insgesamt fünf Kurzfilme produziert, die fünf unterschiedliche Genossenschaften porträtieren. Eine davon ist die ABL, die rund 2’500 Wohnungen in und um Luzern besitzt.

Einen Drittel Genossenschaftswohnungen?

Im sechsminütigen Film kommt zuerst Jesús Turiño zu Wort, der die Aufgaben der ABL erklärt, bevor verschiedene Mieter in Littau und der Tribschenstadt ihren Weg und ihr Leben in einer Genossenschaft beschreiben. «Das soziale Netzwerk ist wichtig für mich. Ich mag es, dass ich Mitbesitzer und Mitbestimmer bin», sagt ein gebürtiger Kongolese.

Weber erwähnte im Anschluss an den Film, dass in der Schweiz nur fünf Prozent des gesamten Bestandes Genossenschaftswohnungen seien. Entsprechend gebe es ein Gerangel darum. Damit stiess sie bei Urs Hauser auf offene Ohren. «Die Nachfrage ist grösser als das Angebot. Für dieses Problem gibt es nur eine Lösung: Es braucht mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Warum nicht ein Anteil von einem Drittel in der Schweiz?» Die gesamte Branche müsse ein anderes Selbstbewusstsein entwickeln, so Hauser.

Ein verschlungener Weg führt durch die Himmelrichstrasse – diese soll attraktiver werden.

Beim Himmelrich sind 17 von 179 Wohnungen noch nicht vermietet.

(Bild: jwy)

Die Frage, für wen Genossenschaftswohnungen sind, ist für Hauser einfach zu beantworten. «Der Grundsatz ist: Wohnraum für alle.» Es gebe keinen Grund, jemanden auszuschliessen. Unterschiedliche Genossenschaften hätten auch unterschiedliche Zielgruppen, was sich wiederum auf die Durchmischung auswirke.

Die latente Frage nach der Durchmischung

Barbara Emmenegger mahnte in diesem Zusammenhang, dass sich eine Genossenschaft bei der Durchmischung die Frage stellen müsse, wie tief sie gehen will. «Ich bin vorsichtig, wenn die Genossenschafter sehr viele Angaben machen müssen», sagte sie. Als Beispiele nannte sie die Religionszugehörigkeit und die sexuelle Orientierung.

Turiño auf der anderen Seite erklärte, dass man aus Sicht der ABL – salopp ausgedrückt – nicht auf die Durchmischung schaue. Vielmehr ergebe sich diese von alleine.

Stadt steht in der Pflicht

Christine Weber sprach Sarah Grossenbacher als Vertreterin der Stadt Luzern auf die Volksinitiative «Für zahlbaren Wohnraum» an, welche 2012 angenommen wurde. Dadurch wurde der Stadtrat verpflichtet, den Anteil von gemeinnützigen Wohnungen innert 25 Jahren von 13,5 auf 16 Prozent zu erhöhen.

«Wir können auf diese Belehrungen, was Genossenschaften dürfen und was nicht, verzichten.»

Louis Schelbert, Präsident Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Wie weit die Stadt denn da sei, wollte Weber wissen. Grossenbacher wollte oder konnte keine Zahlen nennen, gab aber zu, dass man bislang vor allem in die Aufbauarbeit investiert und die Zusammenarbeit mit den Genossenschaften intensiviert habe. Der Stadtrat hat kürzlich erklärt, dass noch in diesem Jahr ein erster Zwischenbericht mit der aktuellen Entwicklung präsentiert werden soll.

Weber versuchte Grossenbacher weiter etwas in die Mangel zu nehmen, als Turiño bei seinem Jobbeschrieb erklärte, dass man vor allem bei Neubauten wie aktuell bei der Himmelrich-Überbauung (zentralplus berichtete) das soziale Zusammenleben etwas ankurbeln müsse. «Das ist doch eigentlich Quartierarbeit. Ist dafür nicht die Stadt zuständig?», fragte Weber. «Wir haben eine liberale Haltung und sagen nicht, bloss die Stadt dürfe Quartierarbeit betreiben – wir können nicht alles besser», entgegnete Grossenbacher.

Auch für Banker offen

Bevor im schwülen Neubad-Pool in den erfrischenden Apéro übergegangen werden konnte, kam Stephan Wicki noch einmal auf den eingangs angetönten Punkt zurück. Nämlich inwieweit sich eine Genossenschaft gegen oben öffnen soll.

«Soll beispielsweise ein Banker mit üppigem Einkommen in einer Genossenschaftswohnung mit Kostenmiete und Spekulationsentzug hausen dürfen?», fragte er in die Runde. «Für mich ja», gab er gleich selbst die Antwort.

Der Luzerner Alt-Nationalrat Louis Schelbert ist Präsident der Wohnbaugenossenschaften Schweiz.

Der Luzerner Alt-Nationalrat Louis Schelbert ist Präsident der Wohnbaugenossenschaften Schweiz.

(Bild: sib)

Doch könne man sich vielleicht ein Beispiel nehmen an einer Genossenschaft in Zürich, wo das bestverdienende Viertel mehr Miete bezahle, um diejenigen der Genossenschaft zu unterstützen, die es nötig haben.

Zum Abschluss zog Louis Schelbert noch ein persönliches Fazit. Insgesamt seien die Genossenschaften auf einem guten Weg. Den Talk rundete er mit einem weiteren Seitenhieb in Richtung «NZZ» ab. «Wir können auf diese Belehrungen, was Genossenschaften dürfen und was nicht, verzichten. Doch diese Angriffe bedeuten auch, dass man uns ernst nimmt.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von danielmisteli
    danielmisteli, 29.06.2019, 16:43 Uhr

    @Snupi: Fair fände ich hier, nicht nur die allerteuersten der 179 Wohnung zu erwähnen. Gerne liefere ich Ihnen hier noch zur Ergänzung die günstigsten Wohnungsmieten im neuen Himmelrich auf:
    1.5-Zimmer-Wohnung, 32m2, Miete CHF 698.— + 120.— NK
    2.5-Zimmer-Wohnung, 65m2, Miete CHF 1345.— + 140.— NK
    Dazu steht die Dachterrasse, ein Gemeinschaftsraum, ein Partyraum, der Innenhof usw. kostenlos zur Mitbenutzung zur Verfügung. Kommt wohl immer etwas auf die Perspektive an…

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  • Profilfoto von Snupi
    Snupi, 28.06.2019, 09:06 Uhr

    als Rentner mit 2,700 Fränkli wollte ich eine Wohnung B, Genossenschaft Himmelrich,, , die Wohnungen , sind einfach gemacht ,auch kein W,T, in der Wohnung, eine 2 zimmer bis über 2000 Fr, eine kl, 1 Zimmer Wohnung ca 45, qm, a 1,400,- die wollten 2x für Genossenschaft Scheine und Depot, ist das Genossenschaft, schaut mal die Preise, es haut einem aus den Schuhen, der Mattenhof, ist ja billiger und hat eine Exklusive Küche mit W,T, 2 Zimmer a60 qm, nur 1,500 Fr es scheint Stadt und Bund ist das ja völlig Egal, diese Wohnungen sind ja nun weg, eben für gut Betuchte, Jörg

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