Stadtplanerin über Sünden und Chancen für Luzern

«Das Auto hat Platz. Die Frage ist aber, wer wie viel Raum bekommt»

Deborah Arnold, Leiterin der Luzerner Stadtplanung, im Innenhof der Stadtverwaltung.

(Bild: jal)

Der St.-Karli-Quai, die Pfistergasse, die Quartierzentren: Luzern möchte die öffentlichen Räume pimpen. Doch das Stadtparlament hat den Plänen im März einen Strich durch die Rechnung gemacht. Stadtplanerin Deborah Arnold sagt im Interview, was das für die Entwicklung bedeutet und was sie von der Kritik an vermeintlichen «Luxusprojekten» hält.

zentralplus: Deborah Arnold, fangen wir mit etwas Einfachem an. Welcher Ort gefällt Ihnen als Stadtplanerin in Luzern am besten?

Deborah Arnold: Aus meiner Sicht gelungen ist das Helvetiagärtli. Ein historischer Ort, wunderbar gefasst, an dem von Cafés über Läden bis hin zu einem Markt ganz unterschiedliche Nutzungen stattfinden. Schön ist vor allem zu sehen, dass das Helvetiagärtli sowohl im Winter als auch im Sommer ein belebter Ort ist. 

zentralplus: Und welches ist die grösste städteplanerische Sünde?

Arnold: Der Kasernenplatz ist sicher kein Ort, an dem man seine Freundinnen und Freunde trifft. Er hat den Namen «Platz» eigentlich nicht verdient.

zentralplus: Die Stadt Luzern orientiert sich am dänischen Stadtplaner Jan Gehl. Er soll mal gesagt haben, ein guter Platz sei wie eine gute Party: Die Leute bleiben länger als geplant. Was macht in Ihren Augen einen guten Platz aus?

«Ein guter Platz ist ein Begegnungsort, der nicht verwaist, sondern eben belebt ist.»

Arnold: Ein guter Platz ist ein Begegnungsort, der nicht verwaist, sondern eben belebt ist. Auf einem guten Platz halten sich Menschen gerne auf. Jan Gehl, von dem wir uns inspirieren lassen, denkt den öffentlichem Raum vom Massstab Mensch aus. Das heisst, wir fragen: Was sind die Bedürfnisse und Blickwinkel der Menschen und zwar wenn sie zu Fuss unterwegs sind?

zentralplus: Die Antworten darauf hat die Stadt in der Stadtraumstrategie dargelegt (zentralplus berichtete). Wo besteht in Luzern am meisten Handlungsbedarf?

Arnold: Es geht um die zentralen Stadträume. Zum einen in der Innenstadt, wo wir grosses Potenzial sehen. Zum anderen entlang der Gewässer. Denn Wasser strahlt eine Ruhe und Weite aus, die viele Menschen in der Stadt suchen. Weiteren Handlungsbedarf orten wir in den Quartieren, wo wir die Zentren stärken und gestalten wollten.

zentralplus: Das Stadtparlament hat die Strategie zwar zur Kenntnis genommen, im März aber eine Aufstockung der Stellen der Stadtplanung verworfen (zentralplus berichtete). Wie geht es nun weiter?

Arnold: Wir haben mehr Stellenprozente beantragt, um die in der Stadtraumstrategie skizzierten Projekte umzusetzen. Das wurde nicht bewilligt – entsprechend werden wir nicht selber mit grossen Projekten aktiv werden. Das liegt schlicht nicht drin.

zentralplus: Was heisst das konkret?

Arnold: Wir werden für die Quartierzentren keine Nutzungs- und Gestaltungskonzepte erarbeiten, um sie umfassend anzuschauen und weiterzuentwickeln. Und der St.-Karli-Quai wird vorerst so bleiben, wie er ist. Genauso wie die Pfistergasse.

zentralplus: Dann hat die Stadt Luzern nun also einen Bericht für die Schublade erarbeitet?

Arnold: Nein, das würde ich nicht sagen. Die Strategie gilt ja nicht nur für die unmittelbare Zukunft, sondern langfristig. Wenn wir Projekte begleiten, beispielsweise bei der Bahnhofstrasse, versuchen wir die erarbeiteten Grundsätze anzuwenden. Nur können wir nun leider an keinen neuen Projekten zeigen, was das bedeutet und wie das in der konkreten Gestaltung aussieht.

zentralplus: Der Entscheid im Stadtparlament fiel äusserst knapp aus. Es war ein zufälliger Mehrheitsentscheid, weil einige Vertreter der Öko-Allianz an jenem Tag fehlten. Das stelle ich mir sehr frustrierend vor.

Arnold: Wir waren tatsächlich überrascht und der Entscheid hat beim einen mehr, beim anderen weniger Frustration ausgelöst. Aber das ist Teil der Verwaltungsarbeit.

Auch der St.-Karli-Quai soll neu gestaltet werden, zum Beispiel soll der Zugang zum Wasser verbessert werden.

So hätte der St.-Karli-Quai aussehen können, wenn es nach der Stadt gegangen wäre.

(Bild: Visualisierung zvg)

zentralplus: Auf bürgerlicher Seite wurde kritisiert, dass die Stadt kein Geld habe, um die Stadt «auf Vorrat aufzuhübschen». Was sagen Sie zu dieser grundsätzlichen Skepsis gegenüber Aufwertung?

Arnold: Mit der Verdichtung nimmt der Druck auf die öffentlichen Räume noch zu. Das sehen wir, wenn wir einen Blick in den Süden werfen, wo die Städte tendenziell noch dichter sind. Es wird auch in Luzern eine «Mediterranisierung» geben, auch getrieben vom Klimawandel. Das heisst: Die Menschen verbringen tendenziell mehr Zeit draussen. Das sieht man bei uns etwa im Sommer auf dem Mühlenplatz oder am Quai. Und wir spüren, dass es in der Bevölkerung ein Bedürfnis gibt nach gut nutzbaren und gut gestalteten öffentlichen Räumen.

«Womöglich hat sich die Mall of Switzerland als ursprüngliches Schreckgespenst inzwischen etwas verflüchtigt.»

zentralplus: Dann gibt es diesbezüglich eine Diskrepanz zwischen der Stimmung in der Politik und derjenigen in der Bevölkerung?

Arnold: Wir hatten nach der Debatte um das Parking Musegg das Gefühl, dass es einen breiten Konsens und einen Wunsch gibt, die Innenstadt aufzuwerten. Auch deshalb waren wir überrascht vom Entscheid des Grossen Stadtrates im März. Womöglich hat sich die Mall of Switzerland als ursprüngliches Schreckgespenst inzwischen etwas verflüchtigt.

Zur Person

Deborah Arnold ist seit 2015 Leiterin der Stadtplanung. Die 35-jährige Geografin war bereits zuvor, seit 2011, als Projektleiterin bei der Stadtentwicklung tätig. Die Stadtplanung ist zuständig für die Raumstrategie und Wohnraumpolitik, die Gebietsentwicklung und den öffentlichen Raum sowie die Nutzungsplanung.

zentralplus: Das mag ein Grund sein. Für manche scheint eine Umgestaltung des St.-Karli-Quais oder der Pfistergasse aber auch Luxus zu sein.

Arnold: Was einer als Luxus beurteilt, ist für jemand anders Standard. Das ist immer eine subjektive Beurteilung. Aber es ist absolut nicht unsere Absicht, Luxusprojekte vorzuschlagen, das können wir uns finanziell gar nicht leisten. Wichtig scheint mir, und das ist in der Debatte leider etwas untergegangen, dass wir auch in den Quartieren spannende öffentliche Räume entstehen lassen wollten, damit nicht der gesamte Druck auf der Innenstadt lastet.

zentralplus: SVP-Vertreter monierten, auf den Visualisierungen seien gar keine Parkplätze zu sehen. Haben Autos überhaupt Platz, wenn man den öffentlichen Raum aufwerten will?

Arnold: Ja, das Auto hat Platz. Die Frage ist aber, wer wie viel Raum bekommt. Ein ruhendes Auto nimmt nun mal relativ viel Platz ein. Also muss man überlegen, wo man es abstellen kann, damit die Einschränkungen für die anderen möglichst gering ausfallen. Gerade das eingangs erwähnte Helvetiagärtli zeigt, dass auch ein stark befahrener Platz mit Parkplätzen in der Nähe gut gestaltet werden kann. Strassen- und Lebensraum schliessen sich also nicht aus. Aber man kann nicht einfach einzelne Bedürfnisse als unverhandelbar postulieren, sondern wir müssen gesamthaft gute Lösungen finden.

«Auch wenn wir nichts tun, wird es eine Veränderung geben.»

zentralplus: Der Verkehr prägt eine Stadt. In Luzern stehen mit dem Durchgangsbahnhof und Bypass zwei riesige Projekte an. Mit welchen Folgen für Ihre Arbeit?

Arnold: Es findet in diesem Bereich derzeit ein Umdenken statt. Man sagt nicht mehr: Diese Strasse oder diese Schiene wird so gebaut – schaut nachher selber weiter, was dies für das Stadtleben bedeutet. Wir fragen bereits bei der Planung, wie eine Infrastruktur integriert werden kann. In dieser Hinsicht ist der Durchgangsbahnhof ein zentrales Projekt. Für uns geht es darum: Wie gestaltet man die Ränder aus, sodass der Durchgangsbahnhof sich einbettet und nicht wie ein Fremdkörper daherkommt?

zentralplus: Was meinen Sie mit «Rändern»?

Arnold: Das ist der Bahnhofplatz, das sind die Eingänge zum Bahnhof, das sind aber auch die Gleisflächen bei der Rösslimatt, die dank des Durchgangsbahnhofs frei werden. Diese Ränder sind eminent wichtig: Wie will man sie gestalten, wofür nutzen? Auch hier leiten uns übrigens die Grundsätze aus der Stadtraumstrategie.

zentralplus: Weiss man schon konkret, was das für den Bahnhofplatz bedeutet?

Arnold: Nein, das wissen wir noch nicht. Wir sind derzeit daran, einen Prozess auszuarbeiten, der im Herbst ins Stadtparlament kommt. Er soll aufzeigen, welche nächsten Schritte anstehen und welche Ressourcen es für die Planung braucht, damit wir diese riesige Chance für Luzern packen können.

zentralplus: Veränderungen begegnen viele Menschen skeptisch, weil Geliebtes verlorengeht und Gewohnheiten angepasst werden müssen. Sie hingegen scheinen sehr optimistisch.

Arnold: (überlegt). Auch wenn wir nichts tun, wird es eine Veränderung geben. Wir wollen sie nicht einfach geschehen lassen und eine Chance verpassen. Wenn man ein grösseres Auto kauft, sollte man auch schauen, dass es in die heimische Garage passt. Und genau darin sehe ich meine Aufgabe als Stadtplanerin: Diese vorausschauende Sicht einzunehmen.

Eine Idee, wie der Bundesplatz künftig gestaltet werden könnte.

Eine Idee, wie der Bundesplatz künftig gestaltet werden könnte, wenn der Verkehr anders geführt würde. Blick aus Richtung der Bundesstrasse auf den Kreisel.

(Bild: Visualisierung zvg)

zentralplus: Es gibt bei der Stadtplanung viele Schnittstellen mit dem Kanton, mit dem die Stadt das Heu bekanntlich nicht immer auf derselben Bühne hat. Beim Bundesplatz zum Beispiel hat man das Gefühl, der Kanton bremse die Pläne der Stadt etwas aus.

Arnold: Das würde ich nicht so beurteilen. Unser zentrales Anliegen ist es, die Strassen als Lebensräume zu gestalten. Wir stehen in regelmässigen Diskussionen mit dem Kanton zum Beispiel beim Bundesplatz. Dort tut sich demnächst einiges, der Kanton wird voraussichtlich das Zepter übernehmen. Die Entwicklung ist also keinesfalls blockiert.

«Wasser und Schatten werden bei der Gestaltung öffentlicher Räume in Zukunft eine viel grössere Bedeutung erhalten.»

zentralplus: Stadtplanung ist auch Zukunftsforschung. Welche Rolle spielen Entwicklungen wie Digitalisierung, Klimawandel, Smart City oder Lädelisterben für Ihre Arbeit?

Arnold: Sie haben einen starken Input auf den öffentlichen Raum und auf die Bedürfnisse der Menschen – und damit konkret auf unsere Planung. Nehmen wir als Beispiel den Klimawandel: Wasser und Schatten werden bei der Gestaltung öffentlicher Räume in Zukunft eine viel grössere Bedeutung erhalten als in der Vergangenheit. Oder den Onlinehandel: Plötzlich gibt es vielleicht Ausstellungsräume anstatt Läden. Wir müssen also Räume schaffen, die so flexibel sind, dass sie sich der Entwicklung anpassen können. Die Realität berücksichtigen und die Zukunft antizipieren, das prägt unsere Arbeit.

zentralplus: Sie müssen weit in die Zukunft blicken: Wie sieht Luzern in 50 Jahren aus?

Arnold: Da habe ich kein klares Bild, denn es gibt verschiedene mögliche Szenarien. Wir müssen deshalb einen gewissen Spielraum offenlassen für zukünftige Generationen. Das entspricht auch meiner Planungsphilosophie: Nicht verbissen an einem Plan festhalten, sondern Schritt für Schritt justieren – und nicht alles verbauen. Je mehr Geld man ausgibt und je mehr man zubetoniert, umso höher ist die Erwartung, dass ein Platz sich nicht mehr verändern soll.

zentralplus: Dann verfolgen Sie eher einen pragmatischen Ansatz anstatt die Erscheinung der Stadt persönlich zu prägen?

Arnold: Meine Handschrift prägt das Stadtbild wahrscheinlich nie prominent und diesen Anspruch habe ich auch nicht. Denn zum einen arbeiten wir im Team. Zum anderen will ich nicht, dass wir von der Stadtplanung einfach sagen, wie die Stadt aussehen muss, sondern dass wir interdisziplinär das beste Ergebnis erzielen.

zentralplus: Zum Schluss nochmals zurück zum Kasernenplatz: Das wird sich wohl in den nächsten paar Jahren noch nicht verschönern.

Arnold: Ich gehe davon aus, dass der Kasernenplatz – auch aufgrund der Abhängigkeit von Strassenbauprojekten – in den nächsten Jahren nicht wesentlich anders aussehen wird.

zentralplus: Und welcher Ort wird sein Gesicht in den nächsten Jahren am meisten verändern?

Arnold: Die Region um die Bahnhofstrasse, wo wir – hoffentlich im Herbst – mit einer Zwischennutzung und einem ersten, autofreien Teilstück starten.

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