Kriminalgericht muss verzwickten Fall beurteilen

Luzerner plante Tötung seiner Sozialarbeiterin – zur Tat kam es nie

Zahlt der Kanton sogar die Bussen von Sozialhilfe-Bezügern?

(Bild: Adobe Stock)

Ein 34-Jähriger hatte vor, seine Sozialarbeiterin mit einem Messer zu töten. Zum Übergriff kam es nie, trotzdem steht der Luzerner diesen Donnerstag vor dem Kriminalgericht.

Wo fängt eine Gewalttat an, wie ist eine «nur» geplante Tat gesetzlich zu bestrafen und wollte der Angeklagte die Tat tatsächlich umsetzen? Mit diesen Fragen musste sich das Luzerner Kriminalgericht diesen Donnerstag beschäftigen. Vor Gericht: ein 34-Jähriger. Der Luzerner plante, seine Sozialarbeiterin mit einem Messer zu töten. Dies, weil er befürchtete, erneute Kürzungen seiner Beiträge des Sozialamtes zu erhalten. Zur tatsächlichen Tat kam es jedoch nie, stattdessen meldete er sich bei der Polizei.

Grossgewachsen, mit dunklen Haaren, Brille und brauner Fleecejacke betritt er diesen Donnerstag den Gerichtssaal. Bei der Befragung schildert er die Ereignisse vor zwei Jahren. Er hatte schon längere Zeit vor dem letzten Treffen mit seiner Sozialarbeiterin vor, diese durch einen Stich in den Hals umzubringen. Er plante den Vorgang, informierte sich über künftige Strafmasse und drohte per Mail an Behörden und Parteien mit Gewalttaten an kantonalen Institutionen. Organisiert, kühl und kurz angebunden schildert er seine damalige Notlage.

Trotz Planung kam es zu keinem Übergriff

Als das Treffen mit seiner Sozialarbeiterin in deren Büro bevorstand, packte er seinen Rucksack mit Ersatzwäsche für den erwarteten Gefängnisaufenthalt, verstaute sein Schmetterlingsmesser in seiner Hosentasche, löschte alle Dateien von seinem Computer und hinterlegte den Schlüssel für eine mögliche Hausdurchsuchung im Briefkasten. Während des Treffens jedoch kam es zu keinem Übergriff.

Er verliess das Büro und ging Richtung Luzerner Polizei, um dort sein verbotenes Messer und seine Pläne zu offenbaren. «Es war ein Hilfeschrei», meint der Angeklagte während der Verhandlung zu seinem Vorgehen. Er wollte gegen sich, aber auch gegen das Sozialamt Klage erheben. Vor Ort wurde er verhaftet. Seither befindet er sich im stationären Massnahmenvollzug und in klinischer Behandlung.

Wütend, aber nicht gewalttätig

Im Zentrum steht die Frage: Inwiefern hatte der Beschuldigte tatsächlich die Absicht, die Sozialarbeiterin anzugreifen beziehungsweise zu töten? Der Beschuldigte selbst kann darauf keine klare Antwort geben. Er habe an ebenjenem Tag, an dem er sich mit der Mitarbeiterin des Sozialamtes traf, zwar die bösen Gedanken gehabt, er könne jedoch so etwas eigentlich nie machen. «Ich bin kein gewalttätiger Mensch», sagt er.

Dennoch hatte er eine unglaubliche Wut in sich, als ihm vom Sozialamt erneute Kürzungen angedroht wurden. Mit einer Gewalttat als Hilferuf wollte er auf seine Notlage aufmerksam machen. Wen vom Sozialamt er niederstechen würde, wäre ihm bei der Planung egal gewesen. «Es hätte auch jemand anderes als meine Sozialarbeiterin sein können», so der Angeklagte.

Wenn das Gefängnis attraktiver als die Freiheit ist

Seit fast 15 Jahren bezieht er Leistungen des Sozialamtes. Eine Ausbildung hat der Luzerner nicht. Die Schuld für seine Notsituation tragen seiner Meinung nach andere: das Sozialamt, seine Sozialarbeiterin, seine ehemaligen Chefs. Wegen seiner finanziellen Notlage wäre er nach eigenen Aussagen sogar froh gewesen, ins Gefängnis zu kommen. «So hätte ich ein sicheres Dach über dem Kopf», meint er. Denn wegen der Probleme mit dem Sozialamt sei auch die Miete für seine Wohnung immer wieder ungewiss.

«Weshalb wurde niemand vom Sozialamt oder von anderen Stellen auf seine spezielle Notsituation aufmerksam?»

Verteidiger des Angeklagten

Dementsprechend zufrieden sprach er über seinen momentanen Aufenthalt in einer Anstalt in Graubünden, wo er momentan behandelt wird. «Dort habe ich Freunde gefunden», schildert der sonst isoliert lebende Luzerner. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt und Freunde habe er ausserhalb der Anstalt keine.

Opfer des Systems oder doch Täter?

Auch sein Verteidiger sieht den Angeklagten eher als Opfer, nicht nur als Täter. «Weshalb wurde niemand vom Sozialamt oder von anderen Stellen auf seine spezielle Notsituation aufmerksam? Weshalb wurde er nicht bei der IV angemeldet oder in psychische Behandlung gegeben?», fragt der Verteidiger am Donnerstag und lässt Kritik an den Behörden durchscheinen.

Denn erst bei eingeleiteten psychologischen Untersuchungen wurde eine paranoide Persönlichkeits- und eine Anpassungsstörung mit depressiven Reaktionen festgestellt. Krankheiten, welche laut dem Verteidiger schon vorher hätten diagnostiziert werden können und sollen, wenn das Sozialamt nicht krampfhaft versucht hätte, den Angeklagten in die Arbeitswelt zu integrieren. Zudem betonte der Verteidiger, dass der Beschuldigte die Tat zwar geplant habe, aber nie tatsächlich umsetzen wollte.

«Für ein Dach über dem Kopf hätte eine Sozialarbeiterin sterben müssen.»

Staatsanwalt

Deutlich anders sieht dies der Staatsanwalt. Er ist überzeugt, dass der Angeklagte die Tat nicht nur geplant hat, sondern auch hätte durchführen wollen. Reine Zufälle, wie die Anwesenheit einer Praktikantin während des Gesprächs mit der Sozialarbeiterin, hätten dazu geführt, dass es nicht zur Tat kam. «Für ein Dach über dem Kopf hätte eine Sozialarbeiterin sterben müssen», so der Staatsanwalt. Er beschuldigt den Angeklagten des versuchten Mordes und hält somit eine Freiheitsstrafe von 6,5 Jahren für angemessen.

Nach den Plädoyers des Staatsanwaltes und des Verteidigers kam das Gericht jedoch zu keiner Entscheidung. Es handle sich um einen speziellen Fall, der eine ausführliche Beratung verlange, heisst es von Seiten des Gerichts. Denn eine tatsächliche Tat gab es nicht. Das Urteil werde zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich verkündet, sagten die Richter am Luzerner Kriminalgericht abschliessend.

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