Zugerin und Medienhaus trafen sich vor Gericht

Spiess-Hegglin über Ringier: «Polemik, Zynismus und Gegenangriffe»

Jolanda Spiess-Hegglin muss sich noch eine Weile gedulden, bis ein Urteil vorliegen wird.

(Bild: sib)

Jolanda Spiess-Hegglin verklagte das Medienhaus Ringier wegen Persönlichkeitsverletzung. Die entscheidende Frage: Durfte der «Blick» in seiner Berichterstattung über die Vorfälle an der Zuger Landammannfeier die Namen der beiden Kantonsräte nennen? Was am Mittwoch am Kantonsgericht folgte, war eine hitzige Verhandlung.

«Ich bin froh, ist es vorbei», sagte Jolanda Spiess-Hegglin nach der Verhandlung am Zuger Kantonsgericht. Sie sei zuversichtlich, was den Ausgang anbelangt. Ein Urteil ist jedoch erst in rund zwei Monaten zu erwarten.

Gegenstand der Verhandlung war ein «Blick»-Artikel vom 24. Dezember 2014 (zentralplus berichtete). Warum nur ein Artikel? Gegenüber der «NZZ» erklärte Spiess-Hegglin, man müsse erst die Frage klären, ob der «Blick» ihren Namen habe veröffentlichen und somit den Opferschutz missachten dürfen. Alle Folgen könne man anschliessend einklagen.

Es handelt sich um jenen Artikel, welcher die damalige Zuger ALG-Kantonsrätin quasi über Nacht schweizweit bekannt gemacht hat. Grund war die angebliche Affäre zwischen Spiess-Hegglin und ihrem Ratskollegen Markus Hürlimann (SVP) an der Zuger Landammannfeier im Dezember 2014 und der im Raum stehende Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. zentralplus machte diesen Vorfall schweizweit bekannt, der Blick zog tags darauf nach (zentralplus berichtete).

Eine späte Genugtuung?

Was folgte, war eine mediale Lawine, die über die Protagonisten hinwegrollte. Besonders Spiess-Hegglin sieht sich bis heute immer wieder Beschimpfungen ausgesetzt. Anders als zentralplus nannte der«Blick» just an Heiligabend in seinem Artikel als erstes Medium die Namen der beiden Politiker. «Hat er sie geschändet?» prangte in grossen Lettern auf der Titelseite.

Nun soll für die Zugerin die späte Genugtuung folgen. Sie hat das Medienhaus Ringier wegen Persönlichkeitsverletzung verklagt. Am Mittwoch ging die Hauptverhandlung über die Bühne.

Ringier soll «sorry» sagen

Spiess-Hegglin überliess dabei ihrer Rechtsvertreterin das Wort. Diese richtete verschiedene Anträge an Ringier. Unter anderem soll sich der Konzern und damit der «Blick» (endlich) entschuldigen. Sowohl auf der Frontseite als auch auf seiner Homepage. Eine Entschuldigung sei ein Zeichen menschlichen Anstands sowie mediale Pflicht – andere Medienhäuser würden dies auch machen.

«Jolanda Spiess-Hegglin führt dieses Leben, um zu überleben.»

Rechtsvertreterin von Jolanda Spiess-Hegglin

Zudem soll der Zeitung verboten werden, zukünftig auf herablassende Weise über Spiess-Hegglin zu schreiben. Weiter macht die Zugerin eine Genugtuung von 25’000 Franken geltend. Diese Summe sei «moderat», so ihre Rechtsvertreterin.

Gerade wenn man bedenke, dass es sich um eine schwere Persönlichkeitsverletzung handle und die politische Karriere von Spiess-Hegglin mit nur 34 Jahren vom «Blick» zerstört worden sei. Ohne diesen Artikel wäre ihre Mandantin ihrer Meinung nach in der Politik tätig, hätte ein politisches Amt inne.

Ihr heutiger Aufgabenbereich – sich unter anderem gegen Hate-Speech im Internet einzusetzen – sei nicht selbstgewählt. «Jolanda Spiess-Hegglin führt dieses Leben, um zu überleben», sagte sie.

Ringier gesteht Löschung

Als letzten Antrag nannte die Rechtsvertreterin das vorgehaltene Nachklagerecht. Es geht dabei um die Möglichkeit der Gewinnherausgabe von Ringier an Spiess-Hegglin. Damit verlangt sie das Geld, welches der Konzern mit den Artikeln über die Zugerin verdient hat.

Annegret Kammermann, Mitarbeiterin der Rechtsabteilung von Ringier, räumte im Anschluss an die Verhandlung ein, diese mögliche Klage sei auch der Grund, weshalb das Medienhaus sämtliche Artikel, in denen seine Medien über Spiess-Hegglin berichtet haben, aus der Online-Datenbank gelöscht hat – mit Ausnahme des Artikels vom 24. Dezember 2014. Aus Sicht der Spiess-Hegglin-Vertreterin ein klares Schuldgeständnis.

Wie unantastbar ist der Schutz der Privatsphäre?

Während der Verhandlung kam die Rechtsvertreterin auf den Kern dieses Falls zu sprechen: die Persönlichkeitsverletzung. Sie sprach von einem «öffentlichkeitsirrelevanten und privatsphäreverletzenden Sachverhalt», zumal der Sachverhalt bis heute ungeklärt sei und der Schutz der Privatsphäre absolut sei. «Blick» habe sich um Opferschutz und Unschuldsvermutung foutiert. Sie warf dem Medium ein «grobes und feindseliges Menschenbild» vor.

«Worin die Persönlichkeitsverletzung besteht, ist unklar.»

Anwalt von Ringier

Dies war nur einer von zahlreichen Punkten, in denen sich die Klägerseite und der Anwalt von Ringier gänzlich uneinig waren: Der Ringier-Anwalt sprach davon, dass der Schutz der Privatsphäre eben nicht absolut sei.

Die Frage nach dem öffentlichen Interesse

Der Vorfall an der Landammannfeier habe in der Halböffentlichkeit stattgefunden, weitere Kantonsräte hätten mitbekommen, dass sich Spiess-Hegglin und Hürlimann nähergekommen waren, so der Anwalt weiter. «Ausserdem hat es sich bei den Protagonisten um die damaligen Präsidenten der Kantonalparteien gehandelt.»

Es habe somit ein öffentliches Interesse bestanden, weswegen es auch gerechtfertigt gewesen sei, dass «Blick» die Namen genannt habe. «Worin die Persönlichkeitsverletzung besteht, ist also unklar.» Und wo keine Persönlichkeitsverletzung, da auch keine Genugtuung.

Die Rechtsvertreterin von Spiess-Hegglin hingegen sprach von einem privaten Vorfall ohne öffentliches Interesse. In diesem Zusammenhang zitierte sie den Presserat, die Selbstregulierungsinstanz der Schweizer Medien. Dieser habe festgehalten, dass in Artikeln zu Sexualdelikten nicht auf die Identität geschlossen werden dürfe.

Spiess-Hegglin wird der Falschbehauptungen bezichtigt

Immer wieder bezichtigte der Ringier-Anwalt Jolanda Spiess-Hegglin der Erfindung der Geschehnisse an diesem verhängnisvollen Dezemberabend. Er stütze sich dabei auf die Einigung zwischen Hürlimann und Spiess-Hegglin (zentralplus berichtete). Ein Sexualdelikt habe es seines Erachtens also nie gegeben – obwohl Spiess-Hegglin dies jahrelang behauptet habe.

Ihr Vorwurf habe zur Verhaftung eines unschuldigen Mannes geführt. Die Formulierung «Sex-Skandal um SVP-Präsident» sei inhaltlich korrekt. Genau wie der Rest des Artikels.

Persönliche Attacken

Der Anwalt des Medienkonzerns griff Spiess-Hegglin auch wiederholt persönlich an. Er bezichtigte die gegnerische Seite selbst der billigen Polemik. Die 38-Jährige wolle sich als Vorkämpferin der Frauen darstellen.

Schliesslich kam der Anwalt auf die geforderte Entschuldigung zu sprechen: «Mir ist nicht bekannt, dass sich je ein Medienhaus wegen eines Urteilsspruchs entschuldigen musste, es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Entschuldigung.»

«Bei einem solchen Kontrahenten ist das nicht anders zu erwarten.»

Jolanda Spiess-Hegglin

Die Verhandlung wurde bisweilen emotional geführt, besonders die Rechtsvertreterin von Jolanda Spiess-Hegglin enervierte sich zeitweise und dürfte sich auch an der teils nonchalanten Vortragsweise des Ringier-Anwalts gestört haben.

Spiess-Hegglin hingegen liess sich nichts anmerken. Im Anschluss sagte sie: «Es war klar, dass Polemik, Zynismus und Gegenangriffe kommen würden. Bei einem solchen Kontrahenten ist das nicht anders zu erwarten.» Solche Angriffe würden inzwischen an ihr abprallen. «Ich weiss, was gewesen ist und was nicht.»

Mit diesem Prozess wolle sie eine Änderung im Boulevard-Journalismus erreichen, auch stellvertretend für andere. «Die Boulevard-Hexenjagd hat mich fast umgebracht.» Und was würde ihr eine gerichtlich angeordnete Entschuldigung bringen? «Gute Frage. Besser eine gerichtlich angeordnete Entschuldigung als gar keine.»

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