Luzerner Regierung «mut- und perspektivenlos»

Kontrolle der Justiz: Wieso sich auch nach dem Fall Villiger nichts ändert

Blick in den Gerichtssaal des Kriminalgerichts Luzern.

(Bild: zvg)

Begünstigt die Staatsanwaltschaft einen Prominenten? Das lässt sich im Kanton Luzern auch zukünftig nicht systematisch untersuchen. Der Regierungsrat sieht nach dem Fall Villiger keinen Grund, den Medien mitzuteilen, welche Verfahren eingestellt wurden. Damit bleiben Journalisten weiterhin auf Whistleblower angewiesen, sagen Kritiker.

Hat die Luzerner Staatsanwaltschaft den Zuger Regierungsrat Beat Villiger bevorteilt? Diese Frage warf letztes Jahr eine Recherche des Onlinemagazins «Republik» auf, als sie publik machte, dass ein Verfahren gegen den CVP-Magistraten eingestellt wurde. Experten äusserten Bedenken, ob dieser Schritt richtig war (zentralplus berichtete).

Ob sich der Verdacht der Begünstigung und des Amtsmissbrauchs erhärten lässt, wird derzeit von externen Staatsanwälten geprüft (zentralplus berichtete). Möglich wurde diese unabhängige Untersuchung nur, weil eine Privatperson nach der Publikation des Artikels Anzeige erstattete – und weil die «Republik» vom Verfahren gegen Villiger wusste.

Denn gegen wen die Staatsanwaltschaft ermittelt und welche Verfahren eingestellt werden, erfährt die Öffentlichkeit nur in seltenen Fällen. Zwar können Journalisten Einsicht in Verfügungen verlangen und erhalten diese in der Regel auch. Doch dazu müssen sie überhaupt erst wissen, welche Fälle eingestellt worden sind.

Regierung sieht keinen Handlungsbedarf

Genau das stört SP-Kantonsrätin Melanie Setz Isenegger. «Für eine öffentliche und kontrollierbare Justiz ist eine unkomplizierte Einsichtnahme für interessierte Personen mit einem schutzwürdigen Interesse wichtig», begründet sie ihre Anfrage zum Thema. «Zurzeit ist es aber Zufall, ob die Öffentlichkeit von einem eingestellten Verfahren erfährt.»

Sie wollte deshalb vom Regierungsrat wissen, welche Möglichkeiten Medienschaffende heute haben und welche – auch digitalen – Wege es gäbe, um ihnen die Einsichtnahme zu erleichtern. So könnte den akkreditierten Journalisten zum Beispiel monatlich eine Liste aller Einstellungs-Verfügungen oder eine Zusammenfassung der Gründe zur Verfügung gestellt werden, schlägt Setz Isenegger vor.

«Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Regierungsrat Verbesserungsmöglichkeiten überlegt.»

Melanie Setz Isenegger, SP-Kantonsrätin

Doch davon will der Regierungsrat nichts wissen. Er sieht keinen Grund, die geltende Praxis anzupassen, wie aus der Antwort auf die Anfrage von Setz Isenegger hervorgeht. Änderungen an diesem System seien «weder rechtlich möglich noch notwendig». Wer Einsicht wünsche, könne sein begründetes Gesuch schriftlich bei der Medienstelle der Staatsanwaltschaft einreichen. Diese bearbeite Anfragen umgehend und zeitnah. Pro Fall werden dafür 20 Franken Gebühren erhoben.

Ein automatisierter Zugang sei von Gesetzes wegen nicht zulässig, argumentiert der Regierungsrat. Er verweist auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die verlangt, dass jedes Gesuch um Einsichtnahme im Einzelfall zu prüfen sei. Luzern orientiert sich an den Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz und bleibt damit beim bestehenden System, das die meisten Kantone kennen.

Kritik an Abhängigkeit von Whistleblowern

Als «mut- und perspektivenlos» beurteilt Dominique Strebel die Haltung der Luzerner Regierung. «Es ist eine vertane Chance, das Vertrauen in die Strafjustiz nachhaltig zu festigen», sagt der Jurist und Studienleiter am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern.

Einstellungsverfügungen seien genauso wie Urteile und Strafbefehle Handlungen, mit denen ein Verfahren abgeschlossen werde. Hat die Justiz einen Prominenten bevorteilt? Hat sie ein Verfahren eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft schlecht arbeitete und der Straftatbestand verjährte? Hat sie es eingestellt, weil der Beschuldigte eine Wiedergutmachung zahlte und sich so quasi «freikaufte»? Damit die Medien solche Fragen beantworten könnten, brauche es nicht nur Einsicht in Sanktionen der Justiz, sondern ebenso in gegenteilige Entscheide. «Man muss den ganzen Teller präsentiert bekommen», sagt Strebel. «Alles andere ist halbbatzige Transparenz.»

«Wenn die Staatsanwaltschaft einem Prominenten entgegenkommt, fehlt ein Korrektiv.»

Dominique Strebel, Jurist und Studienleiter

Gerade auch das Verfahren rund um Beat Villiger zeige die Notwendigkeit einer Anpassung. Denn in diesem Fall gab es kein Opfer und demnach niemanden, der ein Interesse daran hatte, das eingestellte Verfahren weiterzuziehen. «Wenn die Staatsanwaltschaft einem Prominenten entgegenkommt, fehlt ein Korrektiv», sagt Strebel. «Genau in solchen Fällen ist es entscheidend, dass die Justizkontrolle von den Medien gewährleistet wird – ohne dass sie auf Whistleblower oder den Zufall angewiesen sind.»

Dass dabei die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden müssten, ist für den Juristen und Journalisten selbstverständlich. Dafür gebe es bereits Vorgaben, an die sich Journalisten halten müssten. Und falls jemand mit den sensiblen Daten nicht korrekt umgehe, bestehe die Möglichkeit, die Akkreditierung entziehen. «Die Abwägung, ob ein öffentliches Interesse vorliegt, ist jedoch Sache der Medien und nicht der Justiz. Ansonsten haben wir eine gesteuerte Information und somit eine Manipulation der öffentlichen Meinung.»

Luzern will keine Liste

Dominique Strebel widerspricht der Luzerner Regierung auch, was die praktische Umsetzung betrifft. Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen, akkreditierten Journalisten in einem passwortgeschützten Bereich eine Liste aller Entscheide zugänglich zu machen. Die Staatsanwaltschaft könnte so nach wie vor im Einzelfall prüfen, ob ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht gegeben sei. Strebel verweist auch auf eine Dissertation einer Juristin der Universität Zürich, die kürzlich genau eine solche Entscheidliste forderte.

«Ein schutzwürdiges Informationsinteresse kann nicht erst durch Einsichtnahme in eine Übersichtsliste begründet werden.»

Erwin Rast, Mediensprecher Justizdepartement

Beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern stösst das aber auf wenig Anklang. «Ein schutzwürdiges Informationsinteresse muss vor jeglicher Einsichtnahme bestehen und kann nicht erst durch Einsichtnahme in eine Übersichtsliste begründet werden», schreibt Mediensprecher Erwin Rast auf Anfrage. Daran ändere auch eine allfällig abweichende Meinung eines Experten nichts. Die Staatsanwaltschaft halte sich an die bundesgerichtliche Praxis und an die Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz.

Der Kanton stützt sich dabei auf die unterschiedliche Handhabung zwischen Strafbefehlen und Einstellungsverfügungen. Bei Letzteren seien die Bedingungen restriktiver, sagt Rast. Und dafür gebe es gute Gründe, da es dabei nicht um rechtskräftig verurteilte Personen gehe.

Womöglich nicht das letzte Kapitel

Das letzte Wort allerdings dürfte in dieser Sache womöglich noch nicht gesprochen sein. Nicht zufrieden mit der Antwort der Regierung ist nämlich auch Melanie Setz Isenegger. Zwar sei es erfreulich, dass die Gesuche nicht zu viel Aufwand und Kosten verursachen, sagt die Kantonsrätin. «Ich hätte mir aber gewünscht, dass sich der Regierungsrat Verbesserungsmöglichkeiten überlegt.» Sie schliesst nicht aus, dass sie das Thema mit einem neuen Vorstoss nochmals aufgreift.

Staatsanwälte entscheiden die meisten Fälle

Dass in einem Verfahren Anklage erhoben wird, kommt in der Realität nur mehr selten vor. Die meisten Fälle erledigt die Staatsanwaltschaft mittels Strafbefehl. 2018 stellte die Luzerner Staatsanwaltschaft über 37’000 Strafbefehle aus – rund 100 pro Tag (siehe Grafik). Ein Strafbefehl ist ein Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft, der rechtskräftig wird, wenn nicht schriftlich Einsprache dagegen erhoben wird. Er kommt in Frage bei Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen oder einer Busse. Weil Strafbefehle urteilenden Charakter haben, sind sie gemäss Strafprozessordnung öffentlich einsehbar.

Wenn sich bei den Ermittlungen kein Tatverdacht erhärtet, der eine Anklage rechtfertigt, stellt die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein. Im Zweifelsfall gilt jedoch, dass Anklage erhoben wird und das Gericht urteilen soll. Wer eine Einstellungsverfügung einsehen will, muss ein schutzwürdiges Interesse vorweisen und dies schriftlich begründen.

Wenn die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind, kann die Staatsanwaltschaft eine sogenannte Nichtanhandnahme verfügen.

 

 
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