Nachwehen einer Sanierung in der Luzerner Neustadt

Baustellen-Krach: Nachbarn pochen auf Entschädigung

Optisch eine Aufwertung, aber der Baulärm ging an die Substanz: das sanierte Gebäude an der Neustadtstrasse 6 und 8.

(Bild: jwy)

Die Sanierung des 50 Jahre alten Gebäudes an der Neustadtstrasse 6 und 8 war für Nachbarn unzumutbar. Dreck und Lärm gingen an die Substanz, Geschäfte hatten Einbussen. Trotzdem ist ein Nachbar mit einem Gesuch um Mietzinsreduktion aufgelaufen. Die Bauherrin spricht von einem Missverständnis.

Keine Frage: Das sanierte Gebäude an der Neustadtstrasse 6 und 8 ist heute eine Augenweide. Eine hell schimmernde Fassade und elegant geschwungene Balkone haben den mattgrünen DDR-Mief des 60er-Jahre-Baus ersetzt.

Die Wohnungen sind wieder alle vermietet, die grossen Baukräne haben das Feld geräumt und der Staub hat sich gelegt. Doch es bleiben Altlasten, viele Nachbarn haben den Baulärm nicht verdaut.

Die Vorwürfe: schlechte Planung, zu viel Staub und Lärm sowie eine mangelhafte Kommunikation. Das Herausspitzen und -fräsen des Betons war kaum auszuhalten, wie verschiedenste Nachbarn versichern und mit Tonaufnahmen belegen.

Lauter als Rammstein

Ein Unternehmer, der unmittelbar beim besagten Haus ein Büro betreibt, hat darum bei der Verwaltung des sanierten Gebäudes eine Mietzinsreduktion verlangt – und erhielt eineinhalb Jahre später die knappe Absage: «Seitens Bauherrschaft wurden sämtliche Richtlinien eingehalten.» Das Objekt gehört der Zürich Versicherung.

Hier die Absage:

Die Absage der Verwaltung – trotzdem können die Nachbarn jetzt auf eine Entschädigung hoffen.

Die Absage der Verwaltung – trotzdem können die Nachbarn jetzt auf eine Entschädigung hoffen.

(Bild: zvg)

«Ich konnte in meinem Büro mindestens ein halbes Jahr lang an gewissen Tagen nicht mehr arbeiten, Kundentermine musste ich woanders abhalten», sagt der Unternehmer verärgert. Mit Namen hinstehen will er nicht.

Das permanente Hämmern, Dröhnen und Wummern setzte ihm zu, der Lärm habe mindestens von 8 bis 17 Uhr gedauert, zeitweise auch über den Mittag. Mindestens 120 Dezibel hat er am offenen Fenster gemessen. «Wenn Rammstein auf der Allmend spielt, liegt die Grenze bei 90 Dezibel, aber bei Baulärm kann man nichts machen», klagt er.

Der Lärm, aufgenommen vom Bürofenster:

 

Zum Lärm kam der Dreck: Sein am Morgen parkiertes Velo hatte am Abend eine dicke Staubschicht. Die Bauzeit sei für alle Nachbarn eine Extremsituation gewesen, eine Mietzinsreduktion wäre für ihn das Mindeste. Doch wie er per Brief abgewiesen wurde, nennt er «primitiv».

«Gäste sind früher abgereist und andere haben Geld zurückgefordert.»

Roger Stalder, Bettstatt

Er stand immer wieder im Austausch mit der Verwaltung. «Ja, das tönt wirklich ziemlich laut», gab der Immobilien-Bewirtschafter in einer Mail zu. Auch mit der Polizei und der städtischen Baudirektion war der Nachbar in Kontakt – ohne Folgen. «Die Sache wird von allen Beteiligten unter den Tisch gekehrt», sagt er. Er hat sich überlegt, einen Anwalt zu nehmen, fürchtet aber einen langen Rechtsstreit mit der Bauherrschaft. Möglich wäre ein gemeinsames Vorgehen mit weiteren Betroffenen, fünf Jahre Zeit bleibt für den Rechtsweg.

Auch der Architekt und Anwohner Mark Röösli hatte im Mai 2017 gegenüber zentralplus das Bauverfahren kritisiert, als die zweijährige Sanierung in vollem Gang war: «Da wird gebaut wie in den 70er-Jahren.»

Gäste reisten ab

Weitere Anstösser pochen auf eine Entschädigung. Im Haus an der Neustadtrasse 10, das nahtlos an das sanierte Gebäude grenzt, ist das Bed & Breakfast «Bettstatt» einquartiert. Das Geschäft hat unter dem Lärm und Dreck gelitten. «Ich hatte eindeutige Einbussen, Gäste sind früher abgereist und andere haben Geld zurückgefordert», sagt Roger Stalder, der die «Bettstatt» leitet. «Beim Frühstück konnte ich mich zeitweise nicht mehr mit den Gästen unterhalten.»

Das Schleifgeräusch des Hydrojet-Verfahrens habe einen unglaublichen Krach und Schmutz verursacht. «Wir hatten eine Wolke aus Staub vor unserem Haus», sagt er. Fenster und Balkone seien total verdreckt gewesen.

Die Bettstatt an der Neustadtstrasse links grenzt direkt an an das sanierte Gebäude.

Die Bettstatt an der Neustadtstrasse links grenzt direkt an an das sanierte Gebäude.

(Bild: jwy)

Auch das Graffiti hat gelitten

Die Stadt Luzern hat noch während der Bauzeit Massnahmen verfügt: Zeiteinschränkungen und Abschirmungen. Davon hat Stalder nicht viel bemerkt: «Wenn es so laut und dreckig ist, nützen einfache Dämmungen nichts.» Er hätte sich seitens der Behörden mehr Unterstützung gewünscht. Es habe offizielle Lärmmessungen gegeben, Einsicht hat er vergeblich verlangt.

Das Haus der Bettstatt gehört Roger Stalders Vater – auch dieser will Entschädigungen einfordern. Denn von den Zürich Versicherungen seien sie wiederholt vertröstet worden, seither hätten sie nichts mehr gehört. Auf eine versprochene Fassadenreinigung wartet er noch immer.

In der Hofeinfahrt zwischen den Häusern steht eines der schönsten Graffitis der Stadt. Auch das Riesenbild des Künstlers Ezra Pirk hat sichtlich unter den Arbeiten gelitten. «Mir wurde versprochen, dass dieses nach den Bauarbeiten gereinigt wird, doch nichts ist passiert. Nun muss ich mich selber darum bemühen, das ist nicht in Ordnung», so Stalder.

Das Graffiti in der Einfahrt beim sanierten Gebäude hat auch gelitten.

Das Graffiti in der Einfahrt beim sanierten Gebäude hat auch gelitten.

(Bild: jwy)

Mieter wurde hingehalten

Im gleichen Haus hat der Kulturschaffende Marcel Bieri während der Bauphase gewohnt – auch er kritisiert: «Das Verhalten von Seiten Zürich Versicherung war nicht akzeptabel. Man hat uns hingehalten und nie aktiv über Änderungen der Pläne informiert.»

Es sei schlicht nicht mehr zumutbar gewesen, sich in den Wohnungen aufzuhalten, schildert er die Situation. Der Balkon sei während der gesamten Bauzeit nicht benutzbar gewesen. Mehrfach stand er mit der Bauherrschaft in Kontakt – und wurde immer wieder vertröstet.

Kein Gesetz, nur Richtlinien

Für die Stadt Luzern ist das Bauvorhaben abgeschlossen. Untätig waren die Behörden nicht: Man sei sowohl mit der Bauherrschaft wie auch Anrainern in Kontakt gewesen, sagt Markus Hofmann, Bereichsleiter Baugesuche. «Sowohl betriebliche wie auch technische Massnahmen wurden angeordnet: Lärmmessungen, Zeitbeschränkungen, Abschirmungsmassnahmen, Arbeitstechnik.»

«Die Gesuchsteller erhalten noch im April ein Angebot von uns.»

Zürich Versicherung

Würde man das kritisierte Bauverfahren mit hohen Lärm- und Dreckimmissionen an dieser Lage erneut bewilligen? «Eine Baubewilligung befasst sich in der Regel mit der Einhaltung der baurechtlichen Rahmenbedingungen und damit verbunden mit den Emissionen eines Bauvorhabens nach der Fertigstellung», sagt Hoffmann.

Eine Obergrenze für Baustellenlärm existiert tatsächlich nicht: «Für Baustellen sind keine gesetzlichen Belastungsgrenzwerte für Lärm vorgegeben», sagt Hofmann. Es gebe eine Richtlinie des Bundesamts für Umwelt (BAFU) über bauliche und betriebliche Massnahmen zur Begrenzung des Baulärms. Diese Richtlinien seien auch im vorliegenden Fall angewendet und kontrolliert worden.

Auf Unterstützung seitens der Stadt können die Anstösser nicht mehr hoffen: «Dies ist eine privatrechtliche Angelegenheit», so Hofmann.

Das Versprechen der Bauherrin

Bei der Verwaltung – der Apleona in Luzern – gibt man keine Auskunft zur Sache und verweist auf die Eigentümerin, die Zürich Versicherung.

Diese will von einem abgelehnten Gesuch nichts wissen, wie sie auf Anfrage mitteilt, und spricht von einem Missverständnis. «Zürich hat Gesuche zu Mietzinsreduktionen nicht abgewiesen, sondern bis zum Ende der Bauarbeiten zurückgestellt», teilt die Kommunikationsstelle mit. Dieses Verfahren sei üblich, weil es erst nach Abschluss aller Bauarbeiten möglich sei, die Gesamtbeeinträchtigung für die Gesuchsteller zu beurteilen.

Nun dürfen die Anwohner auf ein Entgegenkommen hoffen: «In den nächsten Tagen werden die letzten Arbeiten beendet sein. Die Gesuchsteller erhalten noch im April ein Angebot von Zürich.»

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