Eisiger als in Antarktis: Die Luzerner Kältekammer

Fast nackt bei minus 110 Grad: Wie geht das?

In den Kammern hinter Astrid Bösch wird es richtig kalt.

(Bild: jwy)

Dagegen ist alles ein Klacks: In der Luzerner Kältekammer herrschen minus 110 Grad. Und man geht da fast nackt hinein. Wieso? Und wie genau? Ein Selbstversuch.

Wie fühlt sich richtig kalt an? Der Moment, wenn man die Dusche abrupt auf kalt dreht? Barfuss im Schnee? Wenn man aus dem warmen Bett muss? Alles Peanuts. Für richtige Kälte muss man zu Astrid Bösch. In ihrer Kältekammer auf der Allmend misst man sage und schreibe minus 110 Grad. So kalt war es selbst in der Antarktis noch nie, da müsste man schon auf den Jupiter fliegen.

Die Ganzkörper-Kältetherapie, auch Kryotherapie genannt, weckt Geist und müde Glieder. Sie hilft Rheuma- und Schmerzpatienten ebenso wie Sportlern. Doch wie fühlt sich dieser Kälteschock auf nackter Haut an? Das wollten wir wissen und sind darum in die Kältekammer gestiegen.

«Wenn Sie keinen Herzschrittmacher tragen, gibt’s sonst nichts zu berücksichtigen. Einfach so kommen», schrieb Astrid Bösch auf meine Anfrage. So schlimm kann’s also nicht sein. An einem Montagnachmittag betrete ich das Gesundheitszentrum auf der Allmend über dem Hallenbad, wo sich die Kältekammer befindet.

Die Vorbereitung: Ist das nicht gefährlich?

Bevor ich in die eisige Kälte steige, will ich von Astrid Bösch die wichtigsten Antworten dazu.

zentralplus: Welche Fragen müssen sie am häufigsten beantworten?

Astrid Bösch: Wie läuft denn das? Wie kann man das aushalten? Erfriert man nicht bei minus 110 Grad? Wer noch nie da war, kann sich das nicht vorstellen.

zentralplus: Ich mir auch nicht. Ist das wirklich nicht gefährlich?

Bösch: Nein, es ist nicht gefährlich, da vorher immer eine Aufklärung stattfindet und ich niemanden in die Kammer lasse, wenn der Gesundheitszustand dies nicht erlaubt. Zudem findet die Therapie ausschliesslich unter Aufsicht statt und dauert maximal 3,5 Minuten. Aber so lange bleiben die wenigsten. Gefährlich wär’s erst, wenn man irgendwelche Rekorde aufstellen wollte. Dann läuft man Gefahr, Gefrierbrand oder sogar Nekrose, also Erfrierungen, zu bekommen.

«Anstatt in die Sauna gehen sie drei Minuten in die Kältekammer.»

zentralplus: Ist Kälte also nicht gleich Kälte?

Bösch: Nein, in der Kammer herrscht eine komplett andere Kälte, als wir sie kennen. Wir haben bei minus 110 Grad eine relative Luftfeuchtigkeit von null Prozent. Und das macht das Ganze so erträglich. Wenn es hingegen feucht ist, dann frieren wir.

zentralplus: Und was bringt mir die Kältekammer?

Bösch: Der kurze, trockene Kälteimpuls ist gut für den Körper und die Haut. Er vitalisiert.

zentralplus: Wer kommt zu ihnen? Private, Kranke, Sportler?

Bösch: Es gibt alles, viele meiner Kunden sind Rheuma- und Schmerzpatienten. Dann Spitzen- und Hobbysportler, die zur Regeneration kommen oder wenn sie verletzt sind. Einige wenige Leute kommen ein- bis zweimal in der Woche, einfach weil es ihnen guttut. Anstatt in die Sauna gehen sie drei Minuten in die Kältekammer, dann sind sie fit für den Rest des Tages.

zentralplus: Sind auch FCL-Spieler Ihre Kunden?

Bösch: Ja, auch wenn es in der Vergangenheit leider nicht immer viel geholfen hat, Tore schiessen müssen sie halt immer noch selber (lacht). Sie kommen zum Beispiel, wenn sie englische Wochen haben, also Sonntag und Mittwoch spielen.

«Eine angenehme Sache»: Astrid Bösch über ihre Kältekammer:

 

zentralplus: Ist es kein Problem, wenn ich aus reiner Neugierde komme?

Bösch: Das ist völlig in Ordnung. Mir ist wichtig, dass das Angebot bekannt wird. Ich mache das zwar schon sechseinhalb Jahre, aber es ist für viele immer noch Neuland. Wieso soll man sich damit beschäftigen, wenn man kein Rheuma hat und gesund ist?

zentralplus: Wieso muss ich zuerst in den Vorraum bei minus 60 Grad? Zum angewöhnen?

Bösch: Die Vorkammer ist unsere Schleuse, die braucht es, um die Temperatur dauerhaft bei minus 110 Grad zu halten. Es wäre technisch nicht möglich, direkt von der Umgebungstemperatur von rund 19 Grad in den minus 110 Grad kalten Raum zu gehen. Wir hätten starke Nebelbildung, zu viel Feuchtigkeit und die Temperatur würde rapide ansteigen.

«Alles, was vorsteht, müssen wir schützen.»

zentralplus: Ist das für alle Hauttypen geeignet?

Bösch: Bei hellen, empfindlichen Hauttypen bin ich vorsichtiger, weil die Haut dünner ist. Und ich beginne beim ersten Mal meist mit 2,5 Minuten, also mit der unteren Therapiezeit, um auf Nummer sicher zu gehen.

zentralplus: Und wieso fast ohne Kleider? Das ist ja absurd bei dieser Kälte.

Bösch: Die Kälte wirkt auch über die Nervenrezeptoren in der Haut, darum sollte man möglichst wenig Kleidung tragen. Zudem steckt in der Kleidung immer Feuchtigkeit und wir wollen möglichst wenig Luftfeuchtigkeit reinbringen, sonst wird’s unangenehm. Am besten ist ein Zweiteiler bei den Damen, bei den Herren Boxershorts. Für Nasen, Ohren, Füsse und Hände gibt’s von mir Schutz. Ich sage immer: Alles, was vorsteht, müssen wir schützen.

Die Instruktion: Nicht zu tief atmen!

Nun geht’s ans Eingemachte und ich ziehe mich bis auf Socken, Sportschuhe und Shorts aus, Astrid Bösch reicht mir Atemmaske, Stirnband und Handschuhe.

Sie erörtert den Ablauf: Zuerst 20 Sekunden im Vorraum bei immerhin schon sibirischen 60 Grad unter Null. Dann 2 Minuten 40 Sekunden bei minus 110 Grad. Das muss fürs erste Mal reichen.

Locker bleiben sei das Wichtigste, nicht zu tief und besser durch die Nase atmen. Im Kreis gehen, Arme und Beine moderat bewegen. Gut zu wissen: Die Tür ist nie verschlossen, die Flucht also jederzeit möglich.

Bösch warnt: Ab zwei Minuten wird es hart, wenn sich das Blut zurückzieht in die inneren Organe.

Der Versuch: Die Schleuse schliesst

Es geht hinein in die surreal blaue Kammer und die Tür schliesst. Ich warte in der kühlen Vorkammer. «Jetzt können sie eintreten», sagt Astrid Bösch kurz darauf, und ich öffne die dicke Tür zur richtigen Kältekammer.

Fühlbar kälter ist es hier, glasklare Luft, man ist geneigt tief einzuatmen. Aber kein Schockmoment wie beim Sprung ins Eisbecken. Ich denke an die Ausgangsfrage: «Richtig kalt» fühlt sich die Kältekammer nicht an – noch nicht. Eher tastet man sich langsam an die Kälte heran. In dieser absoluten Trockenheit bildet sich mit jedem Ausatmen eine Wolke vor dem Gesicht.

Die Leiterin beobachtet mich durch ein Fenster und via Monitor, lässt lockere Musik laufen und gibt immer Zwischenzeiten durch – ein wenig wie bei «Wetten, dass …» früher.

«Noch zwei Minuten.»

Der Beweis: Der Autor in der Kältekammer bei minus 110 Grad.

Der Beweis: Der Autor in der Kältekammer bei minus 110 Grad.

(Bild: zvg)

Was tun in diesen Minuten in klirrender Kälte? Ach ja, bewegen. Ich laufe im Kreis, schwinge meine Arme, schüttle die Beine. Ich denke nicht viel. Soll ich zur Musik tanzen?

Nach zwei Minuten wird’s tatsächlich hart und härter, mit jeder Sekunde kälter. Wie lange schon? Wie lange noch?

Haut, Blut, Nase gefrieren vor meinem inneren Auge. Locker bleiben. Ich bekomme ein Gefühl, wie sich Erfrieren anfühlt. Es kribbelt und brennt auf der Haut, aber unangenehm ist das nicht.

«Noch zehn Sekunden.» – Na endlich.

Danach: Rot, aber vital

Und raus … Ich bin froh, kann ich die Kabine verlassen. «Ihre Nase sieht komisch aus», sagt Astrid Bösch, als ich die Maske abstreife, mit ihrem trockenen Humor. Ich sehe im Spiegel, wie sich meine Haut rötet. Ich fühle mich fit, befreit, stark. «Gut gemacht», sagt sie. Die Sohle des Turnschuhs ist steifgefroren.

10 Minuten, schätzt Bösch, würde man es in der Kältekammer aushalten. «Aber es wäre ein angenehmer Tod.» Ähnlich wie bei Bergsteigern kurz vor dem Erfrieren, man spricht von «Kälteidiotie»: Das Paradox, dass sie bei Unterkühlung ein Wärmeempfinden haben, ja sogar schwitzen, weil sich die Gefässe kurz vor dem Tod ausweiten und das Blut zurückströmt.

Gut zu wissen. Ob das jedoch genau so auch in der Kältekammer ablaufen würde, werden wir – zum Glück – niemals herausfinden. «Ein vernünftiger Umgang mit der Therapie ist oberstes Gebot», so Bösch.

Leicht bibbernd, aber vitaler als zuvor, werde ich in den lächerlich warmen Winter entlassen.

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