Bewegungsverbote für knapp 100 Ausländer

Nach Rüge des Gerichts: Amt für Migration passt Praxis an

Knapp 100 Asylsuchende im Kanton Luzern dürfen zurzeit ein festgelegtes Gebiet nicht verlassen oder betreten. (Symbolbild: jal)

94 Ausländer, welche die Schweiz verlassen müssten, aber nicht ausreisen, dürfen sich im Kanton Luzern nicht frei bewegen. Das Luzerner Amt für Migration wurde deshalb zuletzt mehrfach auf dem Gerichtsweg in die Schranken gewiesen. Nun werden die Konsequenzen gezogen.

Der Asylsuchende hatte zu viel getrunken. Ende Juni wird der 25-Jährige, dessen Herkunft den Behörden unbekannt ist, von der Luzerner Polizei festgenommen. Tags drauf entscheidet das Amt für Migration des Kantons Luzern (Amigra), dass der im Kanton Bern wohnhafte Mann den Kanton Luzern nicht mehr betreten darf.

Der Betroffene gehört zu den knapp 100 Ausländern im Kanton Luzern, die ein bestimmtes Gebiet nicht mehr betreten oder – im umgekehrten Fall – nicht verlassen dürfen. 13 sogenannte Eingrenzungen und 81 Ausgrenzungen sind im Kanton Luzern aktuell gültig.

Ein solches Bewegungsverbot kann von den Behörden auferlegt werden, wenn ein abgewiesener Asylbewerber die Schweiz nicht auf eigene Faust verlässt oder mangels Dokumenten nicht ausreisen kann. Die Massnahme soll sie zur Ausreise oder aktiveren Mithilfe bewegen.

Formelle Fehler und die Folgen

Doch zuletzt wurde das Luzerner Amt für Migration (Amigra) gleich mehrfach vom Gericht zurückgepfiffen, etwa diesen Oktober (zentralplus berichtete). Oder auch im Fall des eingangs erwähnten 25-jährigen Asylbewerbers. Das Kantonsgericht spricht von einer «schweren Gehörsverletzung». Das Amigra verbot dem Mann, die nächsten zwei Jahre wieder nach Luzern zurückzukehren, ohne den Mann selber zu befragen und anzuhören. Zudem wurde diesem der Entscheid nicht durch das Amt, sondern durch die Polizei eröffnet.

Das Kantonsgericht kritisiert, dass damit die gesetzlich vorgesehene Anhörung nicht durch die zuständige Behörde durchgeführt wurde. «Dies, obwohl die entsprechende Praxis bereits in einem früheren Entscheid seitens des Kantonsgerichts gerügt werden musste», schreiben die Richter mit Verweis auf ein Urteil von 2017.

«Die Massnahme erlaubt, dem Ausländer bewusst zu machen, dass er sich hier illegal aufhält.»

Alexander Lieb, Leiter Amt für Migration Luzern

Angesichts dessen stellt sich die Frage: Wieso reagiert das Amigra nicht auf die richterlichen Aufforderungen? Leiter Alexander Lieb sagt auf Anfrage, dass sein Amt sich aufgrund des ersten Entscheides mit dem Rechtsdienst des Justiz- und Sicherheitsdepartements abgesprochen habe. Mit dem Resultat, dass Ein- und Ausgrenzungen im Rahmen des rechtlichen Gehörs ausführlicher begründet wurden. Zudem sei das Departement der Ansicht gewesen, mit dem Verweis auf die Amtshilfe durch die Polizei könne diese das rechtliche Gehör im Auftrag des Amigras ausführen. «Dies hat sich nun mit dem neuen Entscheid nicht bestätigt», räumt Lieb ein und verspricht eine Reaktion: «Das Amigra wird also das rechtliche Gehör zukünftig selber durchführen.»

Wiederholte Kritik

Nebst den formellen Fehlern haben auch die zeitlich unbegrenzten Rayonverbote mehrmals zu Kritik der Gerichte geführt. Etwa in einem dritten Fall diesen Herbst, als das Kantonsgericht eine Verfügung des Amigra aufhob, die einem 30-Jährigen untersagte, die Stadt Luzern zu verlassen. Der betroffene Tibeter stammt gemäss eigenen Aussagen aus China, was vom Bund aufgrund seiner Sprachkenntnisse aber als nicht glaubhaft eingestuft wurde. Deshalb hätte er die Schweiz verlassen müssen, liess die gesetzte Frist allerdings ungenutzt verstreichen. Dennoch ist laut den Richtern ein unbefristetes Bewegungsverbot unverhältnismässig.

Wie kommt es, dass das Amigra im letzten Jahr mehrfach von den Gerichten zurückgepfiffen wurde, im Februar 2018 gar durch das Bundesgericht (zentralplus berichtete)? Dazu will sich Leiter Alexander Lieb nicht äussern. «Wir kommentieren keine Entscheide eines Gerichts», sagt der Jurist, der das Amigra seit fünfeinhalb Jahren führt. «Wir wollen und haben diese Entscheide zu akzeptieren und entsprechend zu handeln.»

Rayonverbote – was bringen sie?

Trotz der Kritik beurteilt man die Bewegungsverbote für abgewiesene Asylbewerber in Luzern grundsätzlich positiv. «Wir gehen davon aus, dass in vielen Fällen die Anordnung ihre Wirkung hat», sagt Alexander Lieb. Mit «Wirkung» meint der Leiter des Migrationsamts mehrere Aspekte. «Die Massnahme dient einerseits dazu, gegen Ausländer vorgehen zu können, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, bei denen aber eine sofortige Wegweisung nicht möglich ist.»

Politisch umstritten

Mit einer Eingrenzung wollen die Behörden in der Regel abgewiesene Asylbewerber zu einer freiwilligen Ausreise oder zur Kooperation bewegen sowie ihren Aufenthaltsort kontrollieren – insbesondere auch für den Fall, dass die Bedingungen für eine Zwangsausschaffung erfüllt sind. Die Massnahme ist politisch umstritten. Besonders in den Fokus geriet der Zürcher SP-Regierungsrat Mario Fehr, dessen eigene Partei seinen «schikanösen Umgang mit abgewiesenen Asylsuchenden» kritisierte. In einem Leitentscheid hat das Bundesgericht im Dezember 2017 ihm aber den Rücken gestärkt. Der Staat habe ein grundlegendes Interesse daran, dass Verfügungen befolgt würden. Die Eingrenzung wurde demnach als verhältnismässiges Druckmittel anerkannt, auch für den Fall, dass eine Zwangsausschaffung gar nicht möglich ist.

Andererseits sei es eine Zwangsmassnahme – und damit eine mildere Form als die Haft – und dürfe insofern eine gewisse Druckwirkung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht entfalten. «Die Massnahme erlaubt, dem Ausländer bewusst zu machen, dass er sich hier illegal aufhält und nicht vorbehaltlos von den mit einem Anwesenheitsrecht verbundenen Freiheiten profitieren kann», sagt Lieb und verweist unter anderem auf einen vielbeachteten Entscheid des Bundesgerichts, das Ende 2017 dem umstrittenen Zürcher Regierungsrat Mario Fehr den Rücken stärkte (siehe Box).

Auch das Kantonsgericht kommt in den erwähnten Fällen nicht immer zum Schluss, dass das verhängte Bewegungsverbot nicht tragbar wäre. Im Fall des Tibeters sind die Richter sogar explizit der Meinung, dass eine Eingrenzung nach wie vor erforderlich sei, weil der Mann zu wenig dazu beitrug, um Klarheit über sein Heimatland und seine Identität zu schaffen.

Und genau das wäre zentral, denn die wenigsten Personen aus dem Asylbereich besitzen offizielle Dokumente, die ihre Identität und Staatsangehörigkeit belegen. Das ist denn auch oftmals ein Problem bei den Ausschaffungen. «Die hauptsächlichen Schwierigkeiten liegen darin, dass die Identität der Person nicht bekannt ist und die Papierbeschaffung mit dem Heimatland blockiert ist», begründet Alexander Lieb. In den letzten Jahren hielten sich im Kanton Luzern jeweils etwa 120 ausreisepflichtige, abgewiesene Asylbewerber auf. Zum Vergleich: Gleichzeitig hat das Amt für Migration pro Jahr rund 200 Personen aus dem Bereich Asyl und rund 100 Personen aus dem Ausländerbereich ins Heimatland oder ein Dublinland zurückgeführt.

Nebst den fehlenden Papieren können auch der Widerstand der Betroffenen oder die unkooperative Haltung der Heimatländer Rückführungen erschweren oder verunmöglichen, wie 2017 aus einer Stellungnahme des Regierungsrates hervorging. Was das Problem betrifft, dass Luzerner Polizisten bei einer Zwangsausschaffung am Flughafen festsitzen, wie kürzlich aus Algier bekannt wurde (zentralplus berichtete), hält Lieb hingegen fest: «Dies war ein absoluter Einzelfall.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon